24. April 2025
TürkeiYeni Hayat

CDU, SPD und Grüne: Komplizen der Ein-Mann-Diktatur

Übernommen von Yeni Hayat / Neues Leben:

Eren Gültekin

Seit der Verhaftung des Istanbuler Oberbürgermeisters Ekrem İmamoğlu hat sich in der Türkei eine Welle des Protests entfacht – doch nicht nur dort: Auch in Europa mit Millionen von Türkeistämmigen, insbesondere in Deutschland, wurden die Straßen zum Ort politischer Solidarität. Tausende versammelten sich in deutschen Großstädten, schwenkten Flaggen und Banner türkeistämmiger Organisationen, hielten kreative Plakate in die Höhe und skandierten lautstark gegen die Repressionen. Doch was wird gerufen? Welche Signale senden diese Menschen aus der Ferne in Richtung Türkei – voller Wut, aber auch voller Hoffnung auf Veränderung? Die Partei, der İmamoğlu angehört – die CHP – ist die Schwesterpartei der SPD. Sollte man da nicht erwarten, dass zumindest die Sozialdemokraten alles in ihrer Macht Stehende tun, um ihren türkischen Genossen zur Seite zu stehen?

Die deutsch-türkischen Beziehungen – eng wie nie zuvor
Die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei reichen historisch weit zurück, doch heute sind sie enger und weitreichender denn je – sei es durch ihre gemeinsame NATO-Mitgliedschaft, intensive wirtschaftliche Verflechtungen, militärische Kooperationen oder Migrationsabkommen. Deutschland ist der wichtigste Handelspartner der Türkei. 2023 erreichte das bilaterale Handelsvolumen einen Rekordwert von 55 Milliarden Euro. Deutschland exportiert vor allem Maschinen, Autos und chemische Produkte, während die Türkei Textilien, Maschinen und Nahrungsmittel liefert. Über 8.000 Unternehmen in der Türkei verfügen über deutsche Kapitalbeteiligung – ein Investitionsvolumen von rund 14,5 Milliarden US-Dollar seit 1980. Plattformen wie JETCO und das Deutsch-Türkische Energieforum fördern die bilaterale Kooperation zusätzlich, insbesondere im Bereich Energie.
Für 2025 wird ein Wirtschaftswachstum von 2,6 % erwartet – infolge einer strikteren Geldpolitik sowie einer schwächelnden Nachfrage in wichtigen Exportmärkten. Die Inflation liegt aktuell bei rund 39 % (Stand: Februar 2025).

Militärische Kooperation
Deutschland unterstützt weiterhin Rüstungslieferungen an die Türkei, darunter Torpedos, Lenkflugkörper sowie technologische Kooperationen trotz anhaltender Menschenrechtsverletzungen. Im Jahr 2024 genehmigte Deutschland Rüstungsexporte im Wert von 230,8 Millionen Euro an die Türkei – darunter 79,7 Millionen Euro für Kriegswaffen. Dies stellt den höchsten Wert seit 2006 dar. Kanzler Scholz rechtfertigte dies mit der Bedeutung der Türkei als NATO-Mitglied. Im Dezember 2024 hob die Bundesregierung ihre Blockade auf und genehmigte den Export von 40 Eurofighter Typhoon-Kampfflugzeugen – nach Unterstützung durch NATO-Partner wie Großbritannien, Spanien und Italien.

Geopolitik und NATO
Die Türkei besitzt die zweitgrößte Armee innerhalb der NATO und ist aufgrund ihrer geografischen Lage – zwischen Europa, Asien und dem Nahen Osten – ein sicherheitspolitischer Schlüsselstaat. Doch trotz ihrer Bedeutung bestehen innerhalb der NATO Spannungen. Diese reichen vom Erwerb des russischen S-400-Luftabwehrsystems bis hin zur zwischenzeitlichen Blockade des NATO-Beitritts Schwedens und Finnlands. Die Türkei bleibt ein unverzichtbarer Partner für Europa – eine engere Zusammenarbeit könnte die militärische Unabhängigkeit der EU stärken, jedoch auf Kosten demokratischer Werte.

Migration & Visaerleichterungen
2024 unterzeichneten Deutschland und die Türkei ein neues Abkommen zur beschleunigten Rückführung abgelehnter Asylbewerber. Wöchentlich sollen bis zu 500 Menschen in die Türkei abgeschoben werden – darunter auch viele kurdische und oppositionelle Geflüchtete. Das Abkommen ist hoch umstritten, da Rückgeführte in der Türkei nicht selten Repression, Diskriminierung oder gar Haftstrafen befürchten müssen. Kritiker fordern stattdessen eine politische Lösung der Kurdenfrage und grundlegende Verbesserungen der Menschenrechtslage. Im Gegenzug wurden Visaerleichterungen für türkische Staatsbürger beschlossen, die die Beantragung von Visa für Deutschland und andere EU-Staaten erleichtern soll.

Europäische Sicherheitsinteressen & Verteidigungsfonds
Erdoğan nutzt die geopolitische Lage, um die Türkei als wichtigen Partner Europas in Sicherheitsfragen zu positionieren. Ankara könnte zukünftig sogar eine aktivere Rolle in der Ukraine-Krise übernehmen – etwa als Vermittler oder zur Überwachung einer möglichen Waffenruhe. Im März 2025 stellte die EU den neuen 150-Milliarden-Euro-Verteidigungsfonds vor, der ab 2026 verfügbar sein soll. Ziel ist die Stärkung der strategischen Autonomie Europas und die Förderung gemeinsamer Rüstungsprojekte.
Obwohl dieser Fonds primär für EU-Staaten gedacht ist, ist auch die Beteiligung von Drittstaaten möglich – sofern entsprechende Verteidigungsabkommen mit der EU bestehen. Eine Beteiligung der Türkei gilt angesichts ihrer strategischen Rolle nicht als unwahrscheinlich und wird in sicherheitspolitischen Kreisen bereits offen diskutiert.

Menschenrechte und Demokratie eine Nebenrolle
Anhand dieser engen Verflechtungen wird deutlich: Die Zurückhaltung deutscher und europäischer Politik gegenüber dem Erdoğan-Regime ist kein Zufall, sondern Ausdruck handfester Interessen. Ob Handelsvolumen, Migrationskontrolle oder militärische Kooperation – Menschenrechte und Demokratie spielen in dieser Kalkulation oft nur eine Nebenrolle.
Die bloße symbolische Solidarität mit İmamoğlu und der Opposition genügt nicht. Wenn Vertreter deutscher Regierungsparteien auf Solidaritätsdemos sprechen, während ihre Parteien parallel Abschiebungen in die Türkei forcieren oder Waffenexporte an Erdoğan genehmigen, offenbart sich ein tiefes politisches Paradox.
Ekrem İmamoğlu wäre für deutsche Unternehmen vermutlich nicht der bevorzugte Partner im Vergleich zur aktuellen Regierung. Seine nationalistische Ausrichtung, die auch die CDU betreffen würde, könnte etwa den 2016 abgeschlossenen Flüchtlingsdeal mit der EU gefährden – ein Punkt, der für deutsche Unternehmen, die von diesem Abkommen profitieren, problematisch wäre. Daher bleibt die Kooperation mit der Erdoğan-Regierung für viele deutsche Firmen aus pragmatischen Gründen die bevorzugte Wahl.

Umso wichtiger ist es, dass türkeistämmige Organisationen, zivilgesellschaftliche Gruppen und progressive Kräfte in Deutschland den Finger auf die Wunden legen – und die Bundesregierung an ihre Verantwortung erinnern. Solidarität beginnt nicht nur auf der Straße – sie muss sich auch im Regierungshandeln widerspiegeln. Volkswagen, BASF, Bayer und viele weitere deutsche Unternehmen, die in die Türkei exportieren oder vor Ort tätig sind und Kapitalbeteiligungen an türkischen Firmen halten, dürfte eine politische Wende und mehr als eine Kritik an Erdoğan missfallen – wirtschaftliche Interessen bleiben auch hier ein stiller Komplize der politischen Zurückhaltung.

Quelle: Yeni Hayat / Neues Leben