In 286 Jahren gleichberechtigt?
Man sage nicht, im Kapitalismus werde nicht längerfristig gedacht und kalkuliert. So hat etwa der diesjährige Gender Snapshot Report der Frauenorganisation der Vereinten Nationen errechnet, dass es beim derzeitigen Tempo noch 286 Jahre bis zur rechtlichen (!) Gleichstellung der Geschlechter dauern wird. Die vielfach bemühte Losung „Lieber gleich berechtigt als später“ erhält so eine bisher nicht für möglich gehaltene Konkretion. Seine Bedeutung lautet heute also eigentlich: „Lieber gleich berechtigt als in 286 Jahren“. Da entsprechend bemalte Transparente aber jährlich erneuert werden müssten, wird es vielleicht doch eher beim altbekannten Spruch bleiben.
Das Leben von Frauen im Kapitalismus
Einige andere der aufgeführten Zahlen und Fakten sind greifbarer: Jedes zehnte Mädchen bzw. jede zehnte Frau zwischen 15 und 49 war im vergangenen Jahr Opfer sexueller Gewalt durch einen Intimpartner. Weltweit leben über 380 Millionen Frauen und Mädchen in extremer Armut, also von weniger als 1,90 $ pro Tag. Alleine die pandemiebedingten Schließungen von Schulen und Kinderbetreuungsstätten haben im Jahr 2020 zu 512 Milliarden mehr unbezahlten Stunden an Kinderbetreuung durch Frauen geführt. 1,2 Milliarden Frauen und Mädchen leben in Ländern, in denen der Zugang zu sicheren Abtreibungen eingeschränkt ist, 102 Millionen in Ländern, in denen Abtreibungen gänzlich verboten sind. Die Hälfte der Frauen, die in Städten wohnen, berichten, dass sie sich weniger sicher als vor der Pandemie fühlen, wenn sie nachts alleine durch die Stadt gehen.
Keine Befreiung der Frau ohne Sozialismus
Richtigerweise betont der Bericht, dass Krisen jeder Art die Frauen und Mädchen ungleich härter treffen und mögliche erreichte Fortschritte oftmals wieder obsolet machen. Da der Kapitalismus immanent krisenbehaftet ist, fragt sich, ob die 286 Jahre im Kapitalismus überhaupt realistisch sind oder es da nicht noch viel länger dauern würde. Über die Möglichkeit und Notwendigkeit des Sozialismus verliert der Bericht nämlich kein Wort. Wenn man jedoch die Gesellschaft als ganze samt ihrer Entwicklungstendenzen in den Blick nimmt, wird man zum Schluss kommen, dass der Kapitalismus in 286 Jahren nur noch in Geschichtsbüchern existieren wird. Seine barbarischen Auswirkungen auf Mädchen und Frauen wie auf die Völker der Welt werden der Menschheit als Mahnung in Erinnerung bleiben.
Quelle: Zeitung der Arbeit