Ein Herz für Afrika
Die US-Geostrategie hat den afrikanischen Kontinent entdeckt. Das Weiße Haus hatte im August dieses Jahres ein 16-seitiges Strategiepapier unter dem Titel „U. S. Strategy Toward Sub-Saharan Africa“ herausgegeben. Vom 13. bis 15. Dezember hatte Washington nun zum Treffen der Staatschefs Afrikas und der USA geladen. Auch an das erste Treffen dieser Art unter Ex-Präsident Barack Obama 2014 gab es hohe Erwartungen. Der erste „U. S.-Africa Leaders Summit (USALS)“ beschränkte sich allerdings mehr oder weniger kläglich auf einige inszenierte Medien-Events.
Die Biden-Regierung hatte eine ordentliche Summe in Aussicht gestellt: 55 Milliarden US-Dollar (USD) in den nächsten drei Jahren. Das ist zwar nicht annähernd so viel, wie sie aufgewandt hat, um den Krieg in der Ukraine am Laufen zu halten, aber für nicht wenige afrikanische Staaten sind 55 Milliarden USD eine beachtliche Größenordnung.
Andererseits sind 55 Milliarden bei 54 Staaten nicht gerade üppig. Das chinesisch-afrikanische Handelsvolumen erreichte 2021 254 Milliarden USD. Der vergleichbare Wert des US-Afrika-Handels liegt bei 65 Milliarden. Die chinesischen Auslandsinvestitionen (FDI) in Afrika lagen 2020 bei 43,4 Milliarden USD. Das Geld floss zudem vorwiegend in die von Afrika dringend benötigten Infrastrukturprojekte. 49 afrikanische Führer kamen nach Washington, 52 afrikanische Staaten haben bei der Belt and Road Initiative ein Memorandum of Understanding (MoU) unterzeichnet.
Beim ersten Blick auf die neue US-Afrikastrategie wird klar: Hier geht es nicht um ein Entwicklungs- und Hilfsprogramm, sondern um die Degradierung des afrikanischen Kontinents zu einem Vehikel des geostrategischen Kampfes um die Aufrechterhaltung der globalen US-Vorherrschaft. China sehe, so das Strategiepapier, „die Region als eine wichtige Arena, um die regelbasierte internationale Ordnung herauszufordern, um seine engen kommerziellen und geopolitischen Interessen voranzutreiben, Transparenz und Offenheit zu unterminieren und die Verbindungen der USA mit den Menschen und den Regierungen Afrikas zu schwächen“. Russland betrachte „die Region als ein permissives Umfeld für halbstaatliche und private Militärunternehmen, die oft Instabilität für strategische und finanzielle Zwecke propagierten“. Es nutze „seine sicherheitspolitischen und ökonomischen Verbindungen, ebenso wie seine Desinformationen, um Afrikas prinzipielle Opposition gegen Russlands fortgesetzte Invasion in die Ukraine und die damit verbundenen Menschenrechtsverletzungen zu untergraben“. Die USA seien für Afrika „die bessere Wahl“.
Afrika beherberge bis „2050 25 Prozent der globalen Bevölkerung“, so das Strategiedokument. Es sei „an den zentralen Kommunikations- und Handelsrouten am Atlantischen Ozean, am Indischen Ozean und am Golf von Aden gelegen“, es repräsentiere „28 Prozent der UN-Stimmrechte“, in Afrika wachse „der global zweitgrößte Regenwald“ und der afrikanische Boden enthalte „30 Prozent der ‚Kritischen Mineralien‘“. (Das „United States Geological Survey“, eine Behörde des US-Innenministeriums, hat 50 Rohstoffe aufgelistet, die als „kritisch für die US-Ökonomie und die nationale Sicherheit“ eingestuft werden.) Die neue Afrikapose der Biden-Regierung hat einen durchaus realstrategischen Hintergrund. Der Krieg um die Rohstoffe und die Vorherrschaft des US-Imperiums ist längst in seine kritische Phase eingetreten. Die 2020er-Jahre werden von Washington als die entscheidende Dekade angesehen: Afrika soll zu einem der zentralen Austragungsorte werden.
„Afrika ist eine bedeutende geopolitische Macht“, wird US-Außenminister Antony Blinken zitiert, „es ist eine, die unsere Vergangenheit geformt hat, sie formt unsere Gegenwart und sie wird unsere Zukunft formen.“ Hinter solchen Schmeicheleien verbirgt sich der tiefe Frust Washingtons über die mangelnde bis nicht vorhandene Unterstützung der US-Sanktionspolitik durch die Staaten des Globalen Südens. Die US-„Diplomatie“ hat begriffen, dass eine Änderung ihrer Rhetorik dringend erforderlich ist, wenn sie denn auf dem afrikanischen Kontinent etwas erreichen will. Der Globale Süden verfügt nun über Alternativen.
Den afrikanischen Führern dürfte bewusst sein, dass Washington am Schicksal der afrikanischen Staaten nicht ganz unbeteiligt gewesen ist. Vom schwunghaften Sklavenhandel bis zu den Austeritätsprogrammen der Weltbank und des IWF: Die USA standen immer in der ersten Reihe, wenn es darum ging, den afrikanischen Kontinent zu plündern. So dürfte es für Joseph Biden und seinen Außenminister künftig nicht einfach sein, die Afrikaner von den plötzlich erwachten guten Absichten der US-Geopolitik zu überzeugen.
Quelle: Unsere Zeit