DGB Baden-Württemberg: Das von Kretschmann geäußerte Bedauern über staatliches Unrecht ist mehr als flau
Nach extrem langem Zögern hat Ministerpräsident Winfried Kretschmann heute in einem offenen Brief bekundet, dass er das im Zusammenhang mit dem Radikalenerlass begangene staatliche Unrecht bedauere. Seit Amtsantritt des grünen Regierungschefs im Jahr 2011 warten die von den Berufsverboten Betroffenen auf eine Entschuldigung Kretschmanns und eine Entschädigung durch das Land.
Kai Burmeister, Vorsitzender DGB Baden-Württemberg: „Der Brief des Ministerpräsidenten ist ein positives Signal – inhaltlich ist er jedoch mehr als enttäuschend. Er enthält gerade mal ein flaues Bedauern über das zigfach von baden-württembergischen Behörden begangene Unrecht. Zu einer Rehabilitation der Betroffenen ist der Ministerpräsident offenkundig nicht bereit. Das ist angesichts der eindeutigen Faktenlage ein Armutszeugnis. Als DGB bleiben wir dabei: Wir erwarten eine Entschuldigung bei den Kolleginnen und Kollegen, deren angestrebter Berufsweg durch den Radikalenerlass verhindert worden ist. Genauso erwarten wir eine Entschädigung für all diejenigen, die durch die Berufsverbote herbe materielle Einbußen erlitten haben. Das Land muss jetzt einen Entschädigungsfonds auflegen.“
Martin Gross, Landesbezirksleiter ver.di Baden-Württemberg: „Die Betroffenen warten zum Teil seit 50 Jahren darauf, dass ein Ministerpräsident für die Fehler der Berufsverbote geradesteht. Gut, dass Winfried Kretschmann diesen Schritt nun endlich gegangen ist. Er gesteht ein, dass vielen erhebliches Leid zugefügt wurde und bis heute wird. Wir vertrauen darauf, dass beim persönlichen Termin im Februar eine Entschuldigung im Namen des Landes ausgesprochen wird und auch, dass das Thema Entschädigungen nicht tabuisiert wird.
Es ist aber schade, dass Kretschmann weiterhin nicht auf Zuschreibungen wie Verblendung, Verirrung oder Demokratiefeinde verzichten kann. So wird ein falscher Generalverdacht letztlich fortgeführt. Viele waren einfach nur zur falschen Zeit Mitglied in der falschen Partei oder Organisation. Verirrt und verblendet war schon eher eine Politik, bei der ein Politiker wie Hans Filbinger mit nationalsozialistischer Vergangenheit zwar Landesvater werden konnte, ein DKP-Mitglied wie Werner Siebler aber nicht Briefträger.“
Monika Stein, Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW): „1977 wurde Ministerpräsident Winfried Kretschmann die Einstellung in den Schuldienst verwehrt. Die von der Landesregierung beauftragte Studie bescheinigt Baden-Württemberg eine exzessive Anwendung des Radikalenerlasses, selbst Reinigungskräfte an Hochschulen wurden überprüft. Vor diesem Hintergrund ist es gut, dass der Ministerpräsident dies als Fehler benennt und es ist gleichzeitig beschämend, dass gerade ein grüner Ministerpräsident nicht in der Lage ist, sich bei den Opfern zu entschuldigen und sie zu entschädigen. Der Brief ist ein schlechtes Beispiel für den Gemeinschaftskundeunterricht an unseren Schulen. Es zeichnet funktionierende Demokratien aus, wenn sie nicht nur Fehler der Vergangenheit eingestehen, sondern diese auch ernsthaft korrigieren.“
Hintergrund:
Im Ländervergleich waren in Baden-Württemberg besonders viele Bewerber*innen für den öffentlichen Dienst vom sogenannten Radikalenerlass betroffen: Lehrkräfte, Referendar*innen in der Justiz bis hin zu Postbot*innen und Putzkräften, insgesamt fast 700.000 Frauen und Männer. Diese Regelanfragen des Verfassungsschutzes waren seit 1972 bis Anfang der neunziger Jahre üblich, länger als in anderen Bundesländern.
Quelle: DGB Baden-Württemberg