Altes Schreckgespenst
Kommentar zur Anti-Sozialismus-Resolution in den USA
Das US-Repräsentantenhaus hat eine Resolution „zur Verurteilung der Schrecken des Sozialismus“ verabschiedet – und diese liest sich genau so, wie man sich das vorstellt. Als Beispiele für welthistorische Schurken, die „einige der größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte“ begangen hätten, nennt das Dokument Stalin und Pol Pot in einem Atemzug mit Hugo Chávez, Nicolás Maduro und Fidel Castro. Vor allem Letzterer scheint im rapide gentrifizierenden Washington weiter mietfrei im Kopf des US-Establishments zu wohnen: Enteignungen von Land und Betrieben nach der kubanischen Revolution schaffen es auf dieselbe Liste der Vergehen wie sowjetische Gulags. Diese Vergleiche sind so absurd, dass sie sich selbst disqualifizieren sollten.
Verbrechen, die im Namen des Sozialismus begangen wurden, sind und bleiben Verbrechen und müssen verurteilt werden – ohne Wenn und Aber. Man kann dies tun, ohne vorzugeben, das Erbe des „Sozialismus“ beschränke sich auf gescheiterte autoritäre Experimente. Sozialist*innen riefen vielerorts die Arbeiterbewegung ins Leben, erkämpften fundamentale demokratische Rechte, ebenso wie die Gleichberechtigung von Frauen und Minderheiten und führten antikoloniale Befreiungsbewegungen an.
Niemand in Washington käme jemals auf die Idee, die Gewalttaten, die unter Augusto Pinochet oder Suharto begangen wurden, „dem Kapitalismus“ anzulasten. Mit der Resolution verfolgten die Republikaner wohl den Zweck, die Demokratische Fraktion bloßzustellen, die dem Entwurf etwa zur Hälfte zustimmte. Doch schon daran zeigt sich, dass sich „Sozialismus“ in den USA nicht mehr annähernd so gut als Schreckgespenst eignet wie zur Zeit des Kalten Krieges: Vor 20 Jahren wäre die Abstimmung wohl einstimmig ausgefallen – oder gegen die einsame Gegenstimme eines gewissen Abgeordneten Sanders.