Ein Weckruf
Die CDU hat ihr Ergebnis in Berlin stark verbessert. Ein Votum für einen Regierungswechsel ist das dennoch nicht. Denn 72 Prozent derjenigen, die zur Wahl gegangen sind, haben die CDU gerade nicht gewählt. Der CDU ist es gelungen, die Unzufriedenheit bei sich zu sammeln, während sich im progressiven Spektrum die Stimmen auf drei Parteien aufgeteilt haben. Das schwächt natürlich das Ergebnis jeder einzelnen.
Berlin hat Rot-Grün-Rot nicht abgewählt. Wie kann eine Koalition abgewählt sein, die in Summe mehr Stimmen hat als jede denkbare unter Führung der CDU? In Berlin gibt es trotz fünf Prozent Verlust eine klare Gestaltungsmehrheit für eine progressive Politik. Und es wäre auch nicht das erste Mal, dass eine stabile Koalition ohne die stärkste Partei gebildet würde. Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün sind zwar rechnerisch möglich, wären aber reiner Machtopportunismus. Inhaltlich gäbe es keine Basis. SPD oder Grüne würden nicht nur die Interessen ihrer je 18 Prozent Wähler verraten, die sie nicht als Mehrheitsbeschaffer für Kai Wegner angekreuzt haben. Sondern gleichzeitig auch alle Wähler, die eine sozialökologische Politik mit einer immer noch satten Mehrheit ausgestattet haben.
Dennoch: Das Wahlergebnis sollte ein Weckruf sein für SPD, Grüne und Linke, denn ihre Mehrheit ist geschrumpft. Der CDU ist es gelungen, den Eindruck zu erwecken, als seien die linken Konzepte für bezahlbare Mieten, eine Verkehrs- und Klimawende Politik gegen die Berlinerinnen und Berliner. Dabei hängt von deren Umsetzung ab, ob die Hauptstadt in Zukunft noch lebenswert ist. In den verbleibenden dreieinhalb Jahren steht für Rot-Grün-Rot daher die Herausforderung, die Zögernden und Zweifelnden bei den notwendigen Veränderungen besser mitzunehmen, ohne jene zu verprellen, denen das alles viel zu langsam geht.