März 1938 in Österreich
Vor 85 Jahren kam es zur militärischen Okkupation Österreichs durch die deutsch-faschistische Wehrmacht und in weiterer Folge zur Annexion des Landes durch das Deutsche Reich. Wir bringen zu den Jahrestagen den Artikel “März 1938 in Österreich – Hintergründe, Vorgeschichte und Folgen des ‘Anschlusses’ ” von Tibor Zenker, Vorsitzender der Partei der Arbeit Österreichs (PdA).
Der im März und April 1938 vollzogene „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich markiert einerseits die Ersetzung des einen faschistischen, des austrofaschistischen Regimes durch ein anderes faschistisches, das nationalsozialistische. Gleichzeitig handelt es sich hierbei um den Beginn der deutschen Fremdherrschaft in Österreich, denn völkerrechtlich bedeutete der „Anschluss“ die durchaus einseitige Annexion Österreichs durch Deutschland, die durch die inszenierte „Volksabstimmung“ nicht legitimiert wurde.
Der Charakter des Faschismus
Georgi Dimitroff charakterisierte den Faschismus 1935 im Sinne einer besonderen bürgerlichen Herrschaftsform als „die offene terroristische Diktatur der reaktionärsten, der am meisten chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals.“ [1] Damit ist in wenigen Worten recht viel über Ursache, Herkunft, Funktion und Zielsetzung des Faschismus gesagt, daher nur noch einmal eine kurze Rekapitulation: Der spezifische Klassencharakter des Faschismus ist ein finanzkapitalistischer, d.h. er markiert die Herrschaft der Monopolbourgeoisie oder der Finanzoligarchie, womit seine historische Verortung gleichzeitig am monopolkapitalistischen Stadium des Kapitalismus, am Imperialismus festgemacht ist. Der Faschismus ist weiters die offene Diktatur im Gegensatz zur verdeckten des bürgerlich-demokratischen Parlamentarismus; er ist Terrorherrschaft im Gegensatz zum bürgerlichen Rechtsstaat; die Ausrichtung der faschistischen Diktatur ist besonders reaktionär, d.h. nicht nur antiliberal, sondern v.a. konsequent antisozialistisch und antikommunistisch; der Faschismus stützt sich zumeist auf einen überaus chauvinistischen Nationalismus, im Inneren wie nach außen; zuletzt bedeutet der Faschismus eine aggressive Außenpolitik, nicht nur diplomatischer, sondern v.a. ökonomischer und auch militärischer Natur, in ihrer Intensität freilich nach Maßgabe der regionalen und globalen Stärke des betreffenden Staates.
Das austrofaschistische Regime 1934–1938 ist im Rahmen einer Typologie des Faschismus nicht leicht einzuordnen und weist seine Besonderheiten auf. „Das österreichische Ständestaatsregime hat sich“, schreibt Kurt Gossweiler, „nach dem Februar 1934 und der Maiverfassung als die österreichische Ausprägung einer faschistischen Diktatur entfaltet. Damit ist zugleich gesagt, dass sie trotz vielfacher Ähnlichkeiten keine Kopie irgendeines anderen faschistischen Regimes war, weder in ökonomischer noch in politischer oder ideologischer Hinsicht. Die Besonderheiten der Existenzbedingungen des österreichischen Kapitalismus – vor allem die Spaltung der Monopolbourgeoisie und dementsprechend auch des Faschismus in ein großdeutsches und ein österreichisches Lager, die Abhängigkeit des kleinen Landes von den europäischen Großmächten und auch von seinen unmittelbaren Nachbarn – um nur diese Faktoren zu nennen –, mussten dem Austrofaschismus ihren Stempel aufdrücken.“ [2] So nimmt der Austrofaschismus eine Zwischenstellung ein zwischen den beiden Haupttypen der faschistischen Diktatur, nämlich zwischen der totalitär-faschistischen Diktatur („Massenparteifaschismus“; Hitler-Deutschland, Mussolini-Italien) und der autoritär-faschistischen Diktatur („Militärfaschismus“, Horthy-Ungarn, Pinochet-Chile). Der Austrofaschismus weist Elemente beider Varianten sowie ganz eigentümliche Besonderheiten auf. Der faschistische Charakter der Dollfuß- und Schuschnigg-Diktatur ist dadurch jedoch nicht in Frage gestellt.
Konkurrenzfaschismen in Österreich
Eine im Hinblick auf die Ereignisse im März 1938 und somit auf das Ende des Schuschnigg-Regimes besonders relevante Eigenheit spricht Gossweiler oben an: die Spaltung der österreichischen Großbourgeoisie. Diese Spaltung bedeutete jedoch nicht etwa einen demokratischen und einen faschistischen Flügel, sondern zwei faschistische Flügel, die nebeneinander verschiedene Konzepte verfolgten und in Konkurrenz standen. Auf der einen Seite waren die austrofaschistischen Kräfte, repräsentiert durch die reaktionärsten Führer der Christlichsozialen Partei (CSP) und die Mehrheit der Heimwehrbewegung, bemüht, die staatliche Eigenständigkeit Österreichs zu bewahren. Auf der anderen Seite orientierte sich der großdeutsch eingestellte Flügel am deutschen Nationalsozialismus.
Dass sich die NS-Orientierung, in Österreich vertreten durch die hiesige Filiale der NSDAP, 1938 letztlich durchsetzte und die Austrofaschisten kapitulierten, war nicht nur der Übermacht Hitler-Deutschlands geschuldet, sondern auch inneren Faktoren. Der Austrofaschismus konnte die Erhaltung der österreichischen Souveränität gegenüber NS-Deutschland gar nicht gewährleisten, was ideologische und äußerst praktische Gründe hatte. „Mit der Niederschlagung der Arbeiterschaft“, schreibt Arnold Reisberg, „hatte der Austrofaschismus den Weg zum Nazifaschismus geebnet. Mit dem Verlust der Demokratie war die Widerstandskraft gegen die Lockungen des Hitler-Faschismus geschwächt, mit der Zerschlagung der Arbeiterorganisationen die stärkste Kraft im Kampf um die Unabhängigkeit Österreichs, die Arbeiterklasse, in die Illegalität gedrängt.“ [3] Die österreichischen ArbeiterInnen, die sozialdemokratischen ebenso wie die kommunistischen, waren 1938 zwar willens, gegen die drohende Annexion durch NS-Deutschland mit allen Mitteln zu kämpfen – doch die Voraussetzung dafür war, dass die Schuschnigg-Regierung zu demokratischen und sozialen Reformen bereit war. Doch Schuschnigg hatte mehr Angst vor der Demokratie und der Arbeiterklasse als vor Hitler.
Deutschnationalismus oder österreichische Nation?
Dass der Austrofaschismus zum antinationalen Totengräber Österreichs wurde, war neben dem faschistischen Charakter des Regimes auch seinem ideologischen Hintergrund geschuldet. Der Austrofaschismus war zwar auf die staatliche Souveränität Österreichs orientiert – dies hatte jedoch bloß innere konkurrenzfaschistische Gründe. Dollfuß und Schuschnigg definierten Österreich explizit als „deutschen Staat“, die Österreicher somit als Deutsche. Die Ideologie des Austrofaschismus war deutschnational, aber antinationalsozialistisch – in diesem Sinne wurde Österreich nicht nur als zweiter, sondern auch als „besserer deutscher Staat“ als das Deutsche Reich propagiert.
Die Vorstellung, dass die Österreicher Teil des deutschen Volkes seien, war damals nichts Ungewöhnliches. Mit dem Ende des Habsburger-Reiches 1918 war es sogar allgemeine Meinung, dass sich das deutschsprachige Rest-Österreich der neuen deutschen Republik anschließen solle. Dieser Anschluss wurde seitens der Siegermächte des Ersten Weltkrieges untersagt, dennoch wurde diese Zielsetzung sowohl seitens der CSP als auch der Sozialdemokratie weiter verfolgt. Im „Linzer Programm“ der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) wurde 1926 die Anschlussforderung ausdrücklich erhoben. Die 1918 gegründete KPÖ war die einzige Partei, die gegen die Anschlusspropaganda auftrat. Dies geschah zunächst jedoch noch aus konkreten politischen und revolutionären Erwägungen, ohne dass die nationale Frage seitens der Kommunisten geklärt gewesen wäre – dies war erst später der Fall, nämlich 1937.
Im Gefolge des 1936 unterzeichneten „Juli-Abkommens“ zwischen Schuschnigg und Hitler bedurfte die nationale Frage in Österreich einer dringenden Klärung. Die Frage lautete, ob der Widerstand gegen den „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich nur ein antifaschistischer sei – oder eben auch ein nationaler. Seitens der KPÖ wurde Alfred Klahr mit den theoretischen Ausarbeitungen zur nationalen Frage in Österreich beauftragt. [4] Im Jahr 1937 kam Klahr zu dem Ergebnis: „Die Österreicher haben auf der Grundlage der jahrzehntelangen staatlichen Selbständigkeit eine eigene nationale, von der deutschen Nation verschiedene Entwicklung durchgemacht. Ihr Kampf um die Aufrechterhaltung der staatlichen Selbständigkeit bedeutet den Kampf um die Erhaltung der Grundlage der selbständigen nationalen Entwicklung, um die Erhaltung der nationalen Unabhängigkeit Österreichs. Er ist ein nationaler Kampf, ein Kampf für die nationale Selbstbestimmung des österreichischen Volkes.“ Klahr schreibt weiters: „Und wir müssen klar sehen und aussprechen, dass die Eroberung Österreichs durch Hitler das österreichische Volk nicht nur dem brutalsten politischen System, das die Geschichte kennt, ausliefern, sondern auch seine nationale Unterdrückung durch den deutschen Faschismus bedeuten würde. Nationale Unterdrückung kann es auch dort geben, wo der nationale Unterdrücker dieselbe Sprache spricht…“ [5]
Während die Entwicklung und Herausbildung der eigenständigen österreichischen Nation seitens der „austromarxistischen“ Sozialdemokratie negiert wurde, hat die KPÖ mit der Klärung der nationalen Frage in Österreich ein bleibendes Verdienst, das auch Grundlage des Kampfes vieler Österreicher gegen die deutsche NS-Herrschaft und für das Wiedererstehen des unabhängigen österreichischen Staates 1945 war.
Was geschah im März 1938?
Nachdem Hitler am 12. Februar 1938 Schuschnigg das „Berchtesgadener Abkommen“, womit u.a. der Nationalsozialist Arthur Seyß-Inquart Innenminister wurde und die österreichischen Nazis sich legal politisch betätigen durften, diktiert hatte, erkannten selbst die Austrofaschisten den unmittelbaren Handlungsbedarf. Am 9. März verkündete Schuschnigg die Abhaltung einer Volksbefragung am 13. März über die Unabhängigkeit Österreichs von Deutschland. Auch die Sozialdemokratie und die KPÖ propagierten das „Ja“ zur österreichischen Unabhängigkeit, wobei hervorgehoben wurde, dass dies keine Zustimmung zur austrofaschistischen Regierung sei.
Da hierdurch bei der Volksbefragung ein deutliches Votum für die Unabhängigkeit zu erwarten war, musste Hitler dieser zuvorkommen. Er kündigte offen den Einmarsch der deutschen Wehrmacht an, woraufhin Schuschnigg am 11. März zurücktrat und Seyß-Inquart die Regierung übernahm. Am 12. März erfolgte die widerstandslose Okkupation Österreichs durch deutsche Truppen. Die Volksbefragung am 13. März fand nicht statt, stattdessen verkündete Seyß-Inquart an diesem Tag den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich sowie die Abhaltung einer diesbezüglichen „Volksabstimmung“ für den 10. April 1938.
Natürlich war eine „Volksabstimmung“ unter den Bedingungen einer militärischen Okkupation und Fremdherrschaft sowie v.a. unter jenen einer faschistischen Terrorherrschaft ohnedies nur eine inszenierte „Formalität“. Das Ergebnis der „Volksabstimmung“, von der rund 400.000 Österreicher aus politischen und rassistischen Gründen ausgeschlossen waren, erbrachte offiziell über 99 Prozent Zustimmung zum „Anschluss“. Die genannten Rahmenbedingungen machten eine Fälschung des Ergebnisses – zumindest im großen Ausmaß – nicht erforderlich, entziehen dieser „Volksabstimmung“ aber freilich auch jede reale Aussagekraft. Selbstverständlich handelte es sich nicht um die demokratische Entscheidung der Österreicher, sondern um einen deutschen Gewaltakt.
Widerstand und Befreiung
Im Gegensatz zum Großteil der Sozialdemokratie und des christlichsozialen bzw. austrofaschistischen Lagers kapitulierten die österreichischen Kommunisten 1938 nicht. Noch am Tag des deutschen Einmarsches, am 12. März 1938, äußerte sich KPÖ-Vorsitzender Johann Koplenig: „Für das österreichische Volk ist der Kampf um seine Unabhängigkeit nicht zu Ende. Es wird niemals eine ihm aufgezwungene Fremdherrschaft anerkennen. So schwer sich auch in der nächsten Zeit sein Schicksal gestalten mag, der Kampf für die Freiheit und Unabhängigkeit Österreichs wird aufs Neue entbrennen.“ [6] Die KPÖ trug in weiterer Folge die Hauptlast des antifaschistischen und nationalen Freiheitskampfes in Österreich, sei es in der Illegalität oder später im Rahmen der österreichischen Freiheitsbataillone innerhalb der jugoslawischen Partisanenarmee. Somit ist es v.a. den österreichischen Kommunisten zu verdanken, dass der in der Moskauer Deklaration von 1943 geforderte eigene Beitrag Österreichs zu seiner Befreiung erbracht wurde.
Im internationalen Maßstab ist es das Verdienst der Roten Armee der UdSSR, den Großteil Ost- und Mitteleuropas vom Faschismus befreit zu haben – auch die entscheidenden Teile Österreichs. Und es ist dem politischen Wirken österreichischer Kommunisten im Exil zu verdanken, dass sich gerade die siegreiche UdSSR für die Wiederherstellung Österreichs einsetzte – und sich mit diesem Anliegen auch gegen die Ziele Großbritanniens und der USA durchsetzen konnte. Ausdruck dessen war die bereits erwähnte Moskauer Deklaration. In dieser erklärten die Außenminister der USA, Großbritanniens und der UdSSR, ihre Regierungen seien „darin einer Meinung, dass Österreich, das erste freie Land, das der typischen Angriffspolitik Hitlers zum Opfer fallen sollte, von deutscher Herrschaft befreit werden soll … Sie erklären, dass sie wünschen, ein freies, unabhängiges Österreich wieder errichtet zu sehen … Österreich wird aber auch daran erinnert, dass es für die Teilnahme am Kriege an der Seite Hitler-Deutschlands eine Verantwortung trägt, der es nicht entrinnen kann, und dass anlässlich der endgültigen Abrechnung eine Bedachtnahme darauf unvermeidlich sein wird, wie viel es selbst zu seiner Befreiung beigetragen haben wird.“ [7]
Im Sinne dieser Deklaration erfolgte am 27. April 1945 die Unabhängigkeitserklärung Österreichs von Deutschland. Sie wurde unterzeichnet von Vertretern der demokratischen Parteien, der SPÖ, der KPÖ und der ÖVP, der Nachfolgeorganisation der CSP. Die endgültige Befreiung Österreichs ließ aber bis zur Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 8. und 9. Mai 1945 auf sich warten. Bis zu diesen Tagen wurde die Rote Armee in Niederösterreich in Kämpfe verwickelt. Wien war bereits am 13. April nach verlustreichen Kämpfen befreit worden. In Erinnerung an diese Kämpfe steht am Wiener Schwarzenbergplatz das Heldendenkmal der Roten Armee.
Fußnoten:
[1] Dimitroff, Georgi: Die Offensive des Faschismus und die Aufgaben der Kommunistischen Internationale im Kampf für die Einheit der Arbeiterklasse gegen den Faschismus. In: Ausgewählte Werke in zwei Bänden, Frankfurt/M. 1972, Bd. 2, S. 105.
[2] Gossweiler, Kurt: Faschistische Bewegungen und faschistische Diktatur in Österreich. In: Aufsätze zum Faschismus, Köln 1988, Bd. II, S. 679.
[3] Reisberg, Arnold: Februar 1934 – Hintergründe und Folgen. Wien 1974, S. 230.
[4] vgl. Klahr, Alfred: Zur österreichischen Nation. Wien 1994.
[5] zitiert nach: Fürnberg, Friedl: Österreichische Freiheitsbataillone – Österreichische Nation. Wien 1975, S. 43.
[6] Koplenig, Johann: Trotz alledem: Österreichs Volk kämpft weiter für seine Unabhängigkeit! In: Reden und Aufsätze 1924–1950, Wien 1951, S. 95.
[7] zitiert nach: Spira, Leopold: 20 Jahre – Wohin geht Österreich? Wien 1965, S. 31.
Quelle: rotcrowd – Zeitung des KSV Graz, Nr. 12 (März 2008)
Quelle: Partei der Arbeit