Kiews arbeiterfeindliches- und antigewerkschaftliches Tabula rasa – PRW und der ÖGB
Dass das rechts-nationale Oligarchen-Regime in der Ukraine nicht gerade ein „Arbeiterparadies“ ist, dürfte – sollte man meinen – selbst für heutige Selenskyi-Apologeten außer Streit stehen. Entsprechend ließ denn auch der ÖGB noch im Oktober 2021 verlautbaren: „Der ÖGB ist wie viele Gewerkschaften Europas in großer Sorge über die Entwicklungen in der Ukraine. Die geplanten Verschlechterungen für ArbeitnehmerInnen können [ebenso wie die Enteignung der Gewerkschaftsimmobilien] nicht widerstandslos akzeptiert werden“ – und prangerte Selenskyis offen arbeiter- und gewerkschaftsfeindliche Politik an. Zwischenzeitlich hat das arbeiterfeindliche und antigewerkschaftliche Tabula rasa mit einem erlassenen „Kriegsarbeitsrecht“ und vollzogener Enteignung der Gewerkschaftshäuser eine völlig neue Brisanz und Dimension angenommen. Die Vorsitzende der SPÖ, Pamela Rendi-Wagner indes, erklärte solches vorgestern im ORF-„Report“ souverän mal einfachhin für „grundfalsch“.
Stein des Anstoßes war Petra Tanzlers unter anderem mit Selenskyis Kampf gegen die Gewerkschaften begründetes Fernblieben an dessen parlamentarischer Video-Zuschaltung. Die Begründungen der Abstinenz der sozialdemokratischen Bildungssprecherin – die darüber hinaus auch die Ablehnung einer „Rede eines kriegsführenden Staatschefs, der Kriegspropaganda betreibt“ im österreichischen Parlament beinhaltete – sei „nicht die Position der SPÖ“, als ob dies den Sachverhalt tangierte, „nicht entschuldbar“ und „grundfalsch“. Bei der von Nikolaus Kowall jüngst zu Recht als „relativ unpolitische Persönlichkeit“ charakterisierten SP-Vorsitzenden ist in der Tat nicht immer ganz einfach herauszufiltern, was oftmals ihrer frappierenden politischen Unbedarftheit und was ihrer manischen Nibelungentreue an den westlichen Polit-Mainstream zuzuschreiben ist. Dass es seitens der sozialdemokratischen GewerkschafterInnen allerdings keinen Aufschrei gab, setzt dem Ganzen nicht nur die Krone auf, sondern ist schlichter Verrat an den ukrainischen Gewerkschaften und Arbeitenden. Daher ein paar aufklärende Worte.
Den Machthabern in Kiew von West-Parvenü Wiktor Juschtschenko und „Gasprinzessin“ Julija Timoschenko, über den „Schokokönig“ Petro Poroschenko bis zu Selenskyi waren die aus der Sowjetzeit ererbte Arbeitsgesetzgebung und Gewerkschaftsfreiheit schon lange ein Dorn im Auge. Schon zu Poroschenkos Frontalangriff im Frühherbst 2015 meinte etwa der Präsident des unabhängigen ukrainischen Gewerkschaftsverbandes KPVU Michail Wolynez pointiert: Die aus dem Maidan hervorgegangene Kiewer Putschregierung will „im Interesse des Investitionsklimas die ukrainischen Arbeiter zu Sklaven machen“.
Der Mindestlohn im Land liegt seit 2021 bei gerade einmal 1,21 Euro und gepaart mit zahlreichen Umgehungen „weit unterhalb des offiziellen Existenzminimums“, wie der Journalist Werner Rügemer unlängst herausstrich.
Nach zahlreichen „Reformen“ des ukrainischen Arbeitsgesetzes wurden unter dem neuen politischen Statthalter der blau-gelben Oligarchen, Wolodymyr Selenskyi, Ende Dezember 2019 dann die Kollektivverträge in der Ukraine allen voran für Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten (das sind über 95 Prozent der ukrainischen Unternehmen) gesetzlich ausgehebelt, sprich: abgeschafft und durch Einzelverträge ersetzt, die auch gegenüber gesetzlichen Mindeststandards Vorrang haben.
Die Proteste und Mobilisierungen der ukrainischen Beschäftigten hiergegen im Jänner 2020 standen vielsagend unter dem Motto: „Gegen legalisierte Sklaverei“. Zu dem im Februar desselben Jahres von den Gewerkschaften der Ukraine organisierten landesweiten Protesttag riefen zudem auch mehrere internationale Gewerkschaftsverbände (bis in die USA) weltweit zu Solidaritätsaktionen, u.a. unter dem Hashtag #HandsOffUkraineUnions, auf.
Parallel mit diesem Radikalumbau, die die etablierte Arbeitsrechtsordnung geradezu auf den Kopf stellt und kollektive Vereinbarungen und gesetzliche Mindeststandards zur Makulatur degradiert, wurden mit der Arbeitsgesetzesnovelle auch die Rechtmäßigkeit (der in anderen Ländern zunehmend verbotenen) Arbeit auf Abruf (in Österreich vielfach auch als KAPOVAZ, Kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit, firmierend) auf den Weg gebracht, Kündigungen erleichtert und die Verantwortung der Unternehmer für die Nichtzahlung von Löhnen markant geschliffen.
Gleichzeitig mit der brachialen Arbeitsrechtsnovelle ging es den Gewerkschaften auch ganz direkt an den Kragen und wurden diese zudem im großen Maßstab enteignet. „Offiziell“, so auch der ÖGB seinerzeit, „sollen die Gewerkschaftsimmobilien als ehemaliges sowjetisches Eigentum enteignet werden; in Wirklichkeit, so der Vizepräsident des Gewerkschafts-Dachverbands FPU (Föderation der Gewerkschaften der Ukraine) Oleksandr Shubin, gehe es aber um die wertvollen Gewerkschaftshäuser, die meist auf den Hauptplätzen fast aller großen Städte stehen.“ Nach Angaben der FPU wurden ihre Gewerkschaftshäuser und Erholungsheime nun definitiv beschlagnahmt, vom Staat kalt kassiert und sieht es so aus, als ob die ukrainischen Gewerkschaften jetzt auch aus ihren Immobilien und Gewerkschaftszentralen ausziehen müssten. Gegen führende Gewerkschaftsfunktionäre der FPU sind begleitend strafrechtliche Ermittlungen angekündigt.
Im Zusammenhang der anhaltenden großen Bergarbeiterstreiks seit dem Jahr darauf, zeigte der schon aus seiner Zeit als TV-Komiker bekannte Gewerkschaftsfeind Wolodymyr Selenskyj abermals unmissverständlich seinen Standort im Klassenverhältnis zwischen Kapital und Arbeit. Die brutale Unterdrückung der Streikführer durch die bestreikten Grubenbesitzer wurde (von dem am Tropf der Oligarchen, allem voran jenen des „Kohleoligarchen“ Rinat Achmetow sowie jenen des berüchtigten „Bankenzars“ und Asow-Förderers Igor Kolomojskij hängenden) neuen Präsidenten ebenso gedeckt, wie die Strafverfahren gegen aktive Streikende und Anklagen gegen die Kumpels wegen „Anstiftung zu Massenunruhen“. Selbst der ukrainische Inlandsgeheimdienst SBU wurde in die Niederbügelung des Arbeitskampfs sowie Unterdrückung und Einschüchterung der Streikführer und mehrere Dutzend der aktivsten Kumpels eingebunden und ohne viel Federlesen mobil gemacht.
Unter dem nun herrschenden Kriegsrecht hat Kiew das Arbeitsrecht mit dem Gesetz 2136-IX „Über die Organisation der Arbeitsbeziehungen unter dem Kriegsrecht“ (vorerst für die Dauer des Kriegszustands) per Dekret Selenskyis weiter verschärft. Unternehmer können die Wochenarbeitszeit nach Gutdünken von 40 auf 60 Stunden hinaufsetzen, arbeitsfreie staatliche Feiertag verkürzen oder ganz kassieren, Überlaubstage streichen. Die Begrenzung von Überstunden wurde ebenso aufgehoben wie Kündigungen weiter wesentlich erleichtert.
„Die Geschäftsführer können“ zudem, so der Journalist Benjamin Kirchhoff, „verlangen, dass die Beschäftigten Arbeiten verrichten, die nicht in ihrem Arbeitsvertrag festgeschrieben sind, wenn das zu Verteidigungszwecken erforderlich ist, sofern diese Tätigkeit nicht die Gesundheit der Arbeiter beeinträchtigt.“ Ebenso können Frauen jetzt, was nach den dahingehend bis dato noch aus der Sowjetunion ererbten Arbeitsschutzbestimmungen verboten war, auf Weisung der Firmenleitungen auch zu körperlich schweren und gefährlichen Arbeiten (etwa in Bergwerken oder Tagebau) verpflichtet werden.
„Die Unternehmer können den Arbeitsvertrag, insbesondere im Falle einer erzwungenen Arbeitsniederlegung aufgrund der Kriegsmaßnahmen aussetzen und den Lohn vorenthalten. Die Zahlung des Gehalts und anderer Garantien und Entschädigungen wird dem ‚Staat, der die militärische Aggression begeht‘, also Russland, übertragen.“ Der in der Ukraine nun in Kraft gesetzte Erlass eines ‚Kriegsarbeitsrechts‘ hebt in der Tat, wie Kirchhoff zutreffend zusammenfasst „den Kündigungsschutz, Lohnansprüche, Arbeitsschutzbestimmungen und Rechte aus Tarifverträgen in weiten Teilen auf“, die von den Oligarchen und Otto-Normal-Kapitalisten nun auch jederzeit einseitig gekündet werden können.
Jegliche Streiks wiederum wurden flankierend zu diesem Frontalangriff verboten. Die Gewerkschaften ihrer Funktion als Kollektivvertragspartner enthoben.
Ukrainische GewerkschafterInnen zweifeln indes am vorübergehenden Charakter des erlassenen neuen Gesetzes und sind der Auffassung, dass Selenskyi die Gelegenheit gleichsam beim Schopf gepackt hat, um seine gewerkschafts- und arbeiterfeindliche Agenda durchzupeitschen.
Das Land soll mit seinen Hungerlöhnen und staatlich-systematischen „Union Busting“ vielmehr noch weiter als integraler Billigstandort in die globalen Produktionsnetzwerke und Lieferketten platziert werden. „Westliche Gewerkschaften und ‚Menschenrechtler‘ blicken“, so Werner Rügemer pointiert zur Lage in der Ukraine, „noch nach Asien und Bangladesh, wenn es um menschenrechtswidrige Niedriglöhnerei in der Textilindustrie geht. Obwohl die Niedriglöhne in der Ukraine viel niedriger sind.“ Entsprechend gibt es in der Ukraine auch sagenhafte 2.800 offiziell registrierte Textilunternehmen, „aber auch eine vermutlich ebenso hohe Zahl an nicht registrierten Kleinunternehmen“. Und: „So ähnlich wie in der Textil- und Lederindustrie läuft es auch in anderen Bereichen“ – wie Autozulieferern, Pharma oder im Maschinenbau. Ja, „die Ukraine ist für westliche Unternehmen ein gefälliger Standort für Praktiken, die sonst verboten sind, ein tausendfach genutzter Standort für die US-geführte Globalisierung.“
Zudem hat, zumindest das sollte der sich in der bevorstehenden sozialdemokratischen Mitgliederbefragung über den Parteivorsitz als „Frauenkandidatin“ inszenierenden SP-Vorsitzenden schon einmal zu Ohren gedrungen sein, der „patriarchale Oligarchenstaat Ukraine“ – um noch einmal Werner Rügemer heranzuziehen –, „die Ungleichheit zwischen Mann und Frau extrem vertieft“. „Mit 32 Prozent gender pay gap stehen ukrainische Frauen an der allerletzten Stelle in Europa: Im Durchschnitt bekommen sie ein Drittel weniger Lohn und Gehalt als ihre männlichen Kollegen, im Bereich Finanzen und Versicherung sind es bei gleicher Arbeit sogar 40 Prozent – der EU-Durchschnitt ist 14 Prozent. Wegen der patriarchalen Stereotype werden Frauen zudem besonders häufig in prekäre Teilzeitjobs abgedrängt.“ Da weibliche Beschäftigte in der Ukraine, ganz zu schweigen von Arbeitslosen und Alleinerzieherinnen im Billiglohnland Europas mit ihren Einkommen massenhaft ihr Leben nicht fristen können, entwickelte sich das Land mit geschätzten 180.000 Prostituierten (darunter auch en gros auch etwa Grundschullehrerinnen, die auf Zusatzverdienste angewiesen sind, um über die Runden zu kommen) zum „Bordell Europas“. Parallel blüht in diesem unerschöpflichen Reservoir die „industrielle Leihmutterschaft“ für begütertere Paare des „Wertewestens“.
Nun passt das Ganze freilich nicht so ganz zu den Erzählungen und in die Kriegs-Narrative „unserer europäischen Werte“. Insofern war schon seit längerem kaum anzunehmen, dass der ÖGB seine „große Sorge“ über dieses Zurück zu Zuständen des „150 Jahre alten Manchesterkapitalismus“, das in der Tat „nicht widerstandslos akzeptiert werden“ kann, auch in der gegenwärtigen schrillen Kriegshysterie beibehalten würde, auf der nachdrücklichen Forderung nach Rückgabe des Eigentums an die Gewerkschaften beharren bleibt, die Wiederzulassung der verbotenen Parteien und Kräfte der ArbeiterInnenbewegung einfordert und im gebotenen proletarischen Internationalismus seine Kräfte für die Aufhebung des brachialen Umbaus des Arbeitsrechts sowie der Entmachtung der Gewerkschaften geltend macht. Und nach PRWs Machtspruch, es dann besser gleich für „grundfalsch“ zu erklären, ist noch nicht einmal anzunehmen, dass ihr die Gewerkschafts-Spitzen auch nur geboten antworten.
Quelle: KOMintern