23. November 2024

Zur Eröffnung des „Politischen Zentrums Jura Soyfer“ in Wien

Ansprache von Tibor Zenker, Vorsitzender des Vereins Aurora und der Partei der Arbeit Österreichs (PdA), bei der Eröffnung des „Politischen Zentrums Jura Soyfer“ in Wien-Erdberg, 22. April 2023.

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Genossinnen und Genossen!

Ich darf euch im Namen des Vereinsvorstandes von Aurora und des Parteivorstandes der PdA einige Worte und Gedanken zur heutigen Eröffnungsfeier mitgeben.

Wir haben uns entschieden, das neue Lokal nach dem Dichter Jura Soyfer zu benennen, der als Teenager hier in dieser Gegend seinen Lebensmittelpunkt hatte. Er besuchte von 1923 bis 1931 das Gymnasium in der Hagenmüllergasse, an dessen Fassade auch eine entsprechende Gedenktafel angebracht wurde – wer von euch von der U3-Station am Kardinal-Nagl-Platz hierher spaziert ist, ist direkt daran vorbeigekommen; die Schule befindet sich gleich am nächsten Eck. Die Wohnung der Familie Soyfer war zur selben Zeit in der Gärtnergasse, von hier aus ein Stück weiter in Richtung Bahnhof Wien-Mitte – dort markiert eine so genannte „Stolperstein“-Plakette mit Jura Soyfers Namen das Haus Nummer 4.

Jura Soyfer ist trotz seines viel zu kurzen Lebens aus mehreren Gründen eine gute Wahl. Er war Kriegsflüchtling, schon in jungen Jahren ein produktiver Schriftsteller der Arbeiterbewegung, er war ein Kommunist, der die Unzulänglichkeiten der Sozialdemokratie erkannt und benannt hat – und er bezahlte sein konsequentes politisches Engagement mit einem frühen Tod in einem deutsch-faschistischen KZ. Doch gehen wir der Reihe nach vor.

Geboren wurde Juri, wie er eigentlich hieß, am 8. Dezember 1912 in der russischen Stadt Charkow. Diese befindet sich heute in der nordöstlichen Ukraine und stellt im gegenwärtigen Krieg gewiss ein bedeutendes strategisches wie symbolisches Ziel beider Seiten dar. Die Familie Soyfer war russischsprachig und jüdisch – man wird sehen, wann die bestehende Soyfer-Straße in Charkow nach einem ukrainischen Nazi-Kollaborateur umbenannt werden soll. Jedenfalls, im Jahr 1920 – Juri war sieben Jahre alt – floh die Familie vor dem Bürgerkrieg nach Österreich, zunächst nach Baden, denn es war in Wien nicht möglich, einen Antrag auf Asylaufenthalt in Wien zu stellen – man sieht, es gab schon immer gewisse Schikanen für Flüchtlinge. Nichtsdestotrotz erlangte die Familie Soyfer 1926 sogar die österreichische Staatsbürgerschaft.

Bald darauf schloss sich Jura Soyfer den sozialistischen Mittelschülern an, nämlich an besagtem Gymnasium in unserer unmittelbaren Nachbarschaft. Er beschäftigte sich mit dem Marxismus und ging seiner eigentlichen Berufung als Dichter nach – wohlgemerkt, im Alter von gerade mal 15, 16 Jahren. Er nützte sein sprachliches und literarisches Talent für die Mitarbeit in sozialdemokratischen Agitprop‑, Kabarett- und Theatergruppen, für die er szenische Situationen schrieb. In der „Arbeiter-Zeitung“ veröffentlichte er politische Lyrik – wir haben aus diesem Werk heute bereits Auszüge gehört, später folgen weitere Rezitationen.

Nach den Februarkämpfen von 1934 war Soyfer, wie viele andere Sozialdemokraten, enttäuscht vom Versagen der SDAP und schloss sich der bereits zuvor illegalen KPÖ an. In dieser Zeit begann er auch die Arbeit an seinem Roman „So starb eine Partei“, der eine Abrechnung mit der falschen Politik der Sozialdemokratie darstellen sollte, von dem aber nur ein, wenngleich umfangreiches Fragment erhalten ist. Unter den schwierigen Bedingungen des Austrofaschismus bemühte sich Soyfer als Theaterautor um eine Politisierung des Volksstückes und näherte sich auf diese Weise dem epischen Theater im Sinne Bertolt Brechts an.

Die Werke der Jahre 1936 und 1937 beinhalten Aufklärung und Kritik, Anklage und Aufruf, teilweise unter Ausnützung absurder Elemente und Situationen – immer propagandistisch auf die proletarischen Massen orientiert, die sich in der realen Welt gegen die kapitalistische und faschistische Unterdrückung erheben müssen. Zu diesen Stücken gehören „Der Weltuntergang – Die Welt steht auf kein’ Fall mehr lang“, „Der Lechner Edi schaut ins Paradies“, „Astoria“, „Vineta“ und „Broadway Melodie 1492“ sowie die Szenen „Geschichtsstunde im Jahre 2035“, „Bilder um einen Würstelwagen“ und „Der treueste Bürger Bagdads“.

1937 wurde Soyfer aufgrund einer Verwechslung eigentlich bloß irrtümlich von den austrofaschistischen Behörden verhaftet, wegen seiner kritischen Stücke aber trotzdem gleich zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Am 17. Februar 1938 kam er wieder frei, blieb es aber nur für 26 Tage. Denn nach dem Februar 1938 folgte der März 1938 – und damit der Einmarsch, die Machtübernahme der Nazis in Österreich. Damit war Soyfer auch der doppelten Verfolgung ausgesetzt, als Kommunist und als Jude. Er versuchte auf recht abenteuerliche Weise in die Schweiz zu fliegen, wurde jedoch in Vorarlberg festgenommen. Über Gefängnisse in Feldkirch, Bludenz und Innsbruck kam er im Juni 1938 ins KZ Dachau. Dort schuf er mit dem Text zu dem von Herbert Zipperer komponierten „Dachau-Lied“ ein letztes eindrucksvolles Werk, das wir heute ebenfalls noch hören werden. Im Herbst desselben Jahres wurde Soyfer ins KZ Buchenwald verlegt, wo er am 16. Februar 1939 im Alter von erst 26 Jahren an Typhus starb. Seine Asche wurde später nach New York verbracht, wo sich sein Grabstein am Mount Richmond Cemetery befindet.

Es ist würdig und recht, diese Räumlichkeiten nach Jura Soyfer zu benennen. Er mag nicht für alle von uns ein direktes Vorbild sein können, denn nicht jeder ist ein ähnlich talentierter Schriftsteller. Aber er ist ein Vorbild an antifaschistischer und revolutionärer Konsequenz und Aufrichtigkeit, für die Sache der Arbeiterklasse und des Sozialismus. Dass er schon vor 90 Jahren erkannt hat, dass mit der Sozialdemokratie nichts zu gewinnen ist, ist eine Einsicht, die immer noch nicht durchgedrungen ist, aber höchst aktuell bleibt.

So wie Jura Soyfer das Sterben der SDAP als revolutionärer Arbeiterpartei nachzeichnen wollte, hatte Rosa Luxemburg in einem bekannten Zitat über die Sozialdemokratie dieser den Zustand eines stinkenden Leichnams attestiert. Als im Wortsinn sozialistische, gar revolutionär-marxistische Arbeiterpartei ist die SPÖ schon lange tot – und man kann sie nicht wiederbeleben. Was seit Jahrzehnten durch die klassenharmonische Kapitalismusverwaltung torkelt, ist, ob mit Pamela Rendi-Wagner oder Hans Peter Doskozil an der Spitze, jedenfalls bloß ein untoter Zombie. Und was Andreas Babler mit Leichenteilen vom SP-Friedhof reanimieren möchte, wäre bestenfalls Dr. Bernsteins Monster.

Man weiß es seit über 100 Jahren, Jura Soyfer wusste es und wir wissen es: Es braucht statt der Sozialdemokratie eine marxistisch-leninistische Kampfpartei der Arbeiterklasse – eine kommunistische Partei. Diese definiert sich freilich nicht über ihren Namen, denn die KPÖ, mit einer ehrenvollen und kämpferischen Geschichte ausgestattet, beschreitet längst einen anderen Weg. Die heutige KPÖ dupliziert als Ersatzsozialdemokratie den wahlorientierten Irrweg der alten Sozialdemokratie, und dies durchaus erfolgreich. Insofern unterscheiden sich Graz und Traiskirchen nur in Nuancen. Wir wollen aber etwas ganz Anderes. Und es ist, wie die zuvor bereits gehörten „Schmetterlinge“ andernorts, nämlich im „Lied vom Hausbau“ singen: Gibt es keine Kampfpartei, müssen wir sie schaffen. Denn sie muss unser Hammer sein.

Nach gegenwärtigem Stand der Dinge liegt es uns, die neue kommunistische Partei aufzubauen. Schwierig, aber unerlässlich. Wir nehmen heute einen weiteren Schritt mit der Eröffnung der Aurora-Räumlichkeiten hier in Wien-Erdberg. Und es ist ein historischer Tag. Nein, nicht wegen dieser Eröffnungsfeier, sondern weil wir den 22. April haben – das bedeutet: Vor genau 153 Jahren, am 22. April 1870, wurde ein gewisser Wladimir Iljitsch Uljanow geboren, besser bekannt als Lenin. Hier leiten wir unsere Ansätze und unser Alleinstellungsmerkmal ab: Leninismus, Bolschewismus, revolutionärer Klassenkampf. Wir feiern heute also doppelt, die Eröffnung des Politischen Zentrums Jura Soyfer und den Geburtstag Lenins. Beider müssen wir uns würdig erweisen, vor der Arbeiterklasse und vor der Geschichte.

In diesem Sinne: Für eine starke Partei der Arbeit, für den Marxismus-Leninismus, für den Sozialismus! Freiheit!


Im Laufe des Abends hielten mehrere Genossen der Jugendfront Beiträge von Jura Soyfer. Eröffnet wurde die Veranstaltung mit dem “Lied von der Erde” von den “Schmetterlingen”, welches wir nachfolgend an dieser Stelle zum Nachlesen dokumentieren möchten.

Denn nahe, viel näher, als ihr es begreift,
Hab ich die Erde gesehn.
Ich sah sie von goldenen Saaten umreift,
Vom Schatten des Bombenflugzeugs gestreift
Und erfüllt von Maschinengedröhn.
Ich sah sie von Radiosendern bespickt;
Die warfen Wellen von Lüge und Hass.
Ich sah sie verlaust, verarmt – und beglückt
Mit Reichtum ohne Maß.

Voll Hunger und voll Brot ist diese Erde,
Voll Leben und voll Tod ist diese Erde,
In Armut und in Reichtum grenzenlos.
Gesegnet und verdammt ist diese Erde,
Von Schönheit hell umflammt ist diese Erde,
Und ihre Zukunft ist herrlich und groß.

Denn nahe, viel näher, als ihr es begreift,
Steht diese Zukunft bevor.
Ich sah, wie sie zwischen den Saaten schon reift,
Die Schatten vom Antlitz der Erde schon streift
Und greift zu den Sternen empor.
Ich weiß, dass von Sender zu Sender bald fliegt
Die Nachricht vom Tag, da die Erde genas.
Dann schwelgt diese Erde, erlöst und beglückt,
In Reichtum ohne Maß.

Voll Hunger und voll Brot ist diese Erde,
Voll Leben und voll Tod ist diese Erde,
In Armut und in Reichtum grenzenlos.
Gesegnet und verdammt ist diese Erde,
Von Schönheit hell umflammt ist diese Erde,
Und ihre Zukunft ist herrlich und groß!


Hier noch ein paar Eindrücke:

Quelle: Partei der Arbeit

Partei der Arbeit Österreichs