18. Dezember 2024

Zweiter wilder Streik in Gräfenhausen wirft ein neues Schlaglicht auf anhaltende Menschenrechtsverletzungen im europäischen Straßentransport

Übernommen von der Internationalen Transportarbeiterföderation ITF:

Ein zweiter wilder Streik von Lkw-Fahrern auf der Raststätte Gräfenhausen in Deutschland lenkt erneut die Aufmerksamkeit auf die systemischen Probleme im europäischen Straßentransport und den dringenden Handlungsbedarf seitens der Regierungen und Branchenakteure für den Schutz der Rechte von Drittstaatsangehörigen.

Die streikenden Fahrer haben sich auf der Raststätte versammelt, um die Zahlung von Löhnen zu fordern, die ihnen die polnische Unternehmensgruppe Mazur, zu der die Speditionen Agmaz, Lukmaz und Imperia gehören, schuldet. Mittlerweile haben sich mehr als 130 Lkws und ihre Fahrer, die unter anderem aus Georgien, Usbekistan, Ukraine, Kasachstan, den Philippinen und Tadschikistan stammen, auf der Raststätte eingefunden.

Eine kleine Gruppe von Fahrern erhielt mit Unterstützung der Stiftung für Sorgfaltspflicht im Straßentransport (Road Transport Due Diligence – RTDD) und des Projekts „Faire Mobilität“ sowie der Europäischen Transportarbeiter-Föderation (ETF), der Internationalen Transportarbeiter-Föderation (ITF) und der den beiden Föderationen angehörenden Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) sowie dem DGB in Deutschland innerhalb weniger Tage eine Zahlung. Die Mehrzahl der streikenden Lkw-Fahrer hat bis jetzt die ihnen von dem Unternehmen geschuldeten Löhne allerdings noch nicht erhalten. Neben der Auszahlung der ausstehenden Löhne fordern die Fahrer auch ein Ende unmenschlicher Arbeitsbedingungen, darunter lange Arbeitszeiten, der Zwang, ausschließlich in den Lastwagen zu leben, und weitere sicherheitsgefährdende Arbeitspraktiken.

Während eines ähnlichen Streiks auf dem Rastplatz Gräfenhausen im März und April wurde bekannt, dass die Mazur-Gruppe Güter für große multinationale Kunden und Logistikunternehmen in ganz Europa transportiert, darunter IKEA, Volkswagen, CH Robinson, LKW Walter und Sennder. Nach dem deutschen Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten (Lieferkettengesetz), sind diese Unternehmen dazu verpflichtet, Menschenrechtsverletzungen zu verhindern und dafür zu sorgen, dass die Rechte der Beschäftigten in ihren Lieferketten geschützt sind.

„Das derzeitige Geschäftsmodell für den Straßentransport führt zu einer ständigen Verletzung der Arbeits- und Menschenrechte,“ erklärte die Generalsekretärin der ETF Livia Spera. „Im europäischen Straßentransport stellen multinationale Unternehmen Profite über Menschen und lassen zu, dass die am wenigsten geschützten Beschäftigten in ihren Lieferketten unmenschlicher Behandlung, Lohnverzögerungen und vielen weiteren Missständen ausgesetzt sind. Die Behörden müssen diese Unternehmen unbedingt zur Verantwortung ziehen und bestehende Vorschriften durchsetzen, um sicherzustellen, dass Sozialgesetze für alle Fahrer und Fahrerinnen, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit, umfassend eingehalten werden.“

„Leider sind die Probleme, auf die diese Fahrer und Fahrerinnen so mutig aufmerksam machen, im europäischen Straßentransport allgegenwärtig,“ so der Generalsekretär der ITF Stephen Cotton. „Marken- und Verkehrsunternehmen haben jetzt die Wahl. Sie können mit den Gewerkschaften zusammenarbeiten und der Ausbeutung von Beschäftigten im grenzüberschreitenden Verkehr ein Ende setzen, oder sie müssen sich damit abfinden, dass wilde Streiks im europäischen Straßengüterverkehr zur Regel werden. Wir werden weiter mit verantwortungsvollen Unternehmen zusammenarbeiten und ihnen helfen, Menschenrechtsverletzungen in ihren Betrieben und Lieferketten zu verfolgen und abzustellen. Die Unternehmen, die Verkehrsbeschäftigte weiter ausbeuten, können sich auf weitere solcher Ereignisse wie in Gräfenhausen gefasst machen.“

ETF und ITF führen Kampagnen gegen die Ausbeutung von Drittstaatsangehörigen im Straßentransport durch. Es ist gängige Praxis, dass diese Beschäftigten stark diskriminierenden Bedingungen ausgesetzt sind, einschließlich der Verweigerung grundlegender Rechte auf angemessene Entlohnung und menschenwürdige Arbeitsbedingungen. Um diese systemischen Probleme anzugehen, fordern die beiden Gewerkschaftsverbände eine verstärkte Durchsetzung geltender Vorschriften, insbesondere die ordnungsgemäße Umsetzung des Mobilitätspakets, mit besonderem Schwerpunkt auf der Sicherung der Rechte von Arbeitnehmer*innen, unabhängig davon, woher sie kommen.

Die Gewerkschaften stehen auch in Zusammenarbeit mit der Stiftung für Sorgfaltspflicht im Straßentransport, die als unabhängige Organisation Verstöße gegen Arbeits- und Menschenrechtsnormen in den Lieferketten des europäischen Straßengüterverkehrs überwacht und gegen sie vorgeht.

Quelle: ITF

ITFWirtschaft & Gewerkschaft