30. August 2018 – Aktionstag gegen Abschiebungen und Gedenken an die Opfer der Abschiebungshaft
PRO ASYL: Rechtswidrige Verhängung von Abschiebungshaft ist an der Tagesordnung
Die Abschiebungshaft ist wieder auf dem Vormarsch, nachdem über viele Jahre hinweg die Zahl der Abschiebungshäftlinge vergleichsweise gering gewesen war. Die Inbetriebnahme neuer Haftanstalten ordnet sich ein in die im Oktober 2016 von der Bundeskanzlerin geforderte »nationale Kraftanstrengung« zum Vollzug von mehr Abschiebungen.
Mit der steigenden Zahl von Abschiebungshaftplätzen wächst nach allen Erfahrungen die Wahrscheinlichkeit, dass vorhandene Plätze auch belegt werden. Hierzu leistet eine Justiz ihren Beitrag, die in kaum einem anderen Bereich sehenden Auges so häufig rechtswidrig entscheidet wie bei der Verhängung von Abschiebungshaft. Beispiele: Ein Jahr lang von Anfang August 2016 bis Ende Juli 2017 haben Mitarbeitende des Niedersächsischen Flüchtlingsrates mehr als 200 Abschiebungshaftgefangene beraten und 124 Haftverfahren begleitet (aktuell steht das Projekt vor dem Aus). In 42 Prozent dieser Verfahren wurde nach erneuter gerichtlicher Prüfung festgestellt, dass die Inhaftierung zu Unrecht erfolgt war. Zu ähnlichen Zahlen kommt der Verein »Hilfe für Menschen in der Abschiebehaft Büren e.V.« für den Zeitraum von Mai 2015 bis Dezember 2017 nach Untersuchung von 119 abgeschlossenen Verfahren. In 60 Prozent der Fälle stellte sich die Inhaftierung gerichtlich attestiert als rechtswidrig heraus. Wer den Rechtsstaat dafür lobt, dass er die Ursprungsentscheidungen korrigiert hat, der sollte bedenken: Die Feststellung, dass sie unrechtmäßig inhaftiert waren, hilft den Betroffenen, die oft viele Tage ihres Lebens ihrer Freiheit beraubt wurden, nur wenig. Die Mehrzahl der Entscheidungen erging im Nachhinein.
Eklatante und von den Oberinstanzen später gerügte Rechtsfehler legen die Schlussfolgerung nahe: In vielen Köpfen der Amtsrichter*innen stand die Entscheidung zur Inhaftierung bereits vorher fest. Manche Betroffene erhielten gar erst Gelegenheit, sich zur Sache zu äußern, nachdem sie längst inhaftiert waren. Mit der Renaissance der Abschiebungshaft wächst das Risiko, dass sich in immer mehr Abschiebungshaftanstalten das abspielt, was seit Jahrzehnten als Problem bekannt ist: Ein Konglomerat aus Psychostress, Verzweiflung, Enttäuschung und verletzten Gerechtigkeitsgefühlen zieht eine Palette von Reaktionen nach sich, die von Aggressionen gegen das Personal über Selbstverletzungen und Hungerstreiks bis zu schweren psychischen Erkrankungen und Suiziden reicht. Im Zeitraum von 1993 bis 2010 haben sich nach Recherchen der »Antirassistischen Initiative Berlin« im Durchschnitt drei bis vier Menschen pro Jahr in Abschiebungshaft das Leben genommen. Auch aus den Folgejahren sind Suizide bekannt, die zum Teil mit erheblichem Behördenversagen einhergingen.
Der bekannteste Fall geschah aber noch viel früher: Vor 35 Jahren stürzte sich am 30. August 1983 der politische Flüchtling Kemal Altun im Alter von 23 Jahren aus dem Fenster eines Gerichtssaals in Berlin, wo über seine Auslieferung an die Türkei verhandelt wurde. Der Schock darüber war einer der Initialzündungen für die Gründung vieler zivilgesellschaftlicher Organisationen, die sich für das Asylrecht, gegen Abschiebungen und Abschiebungshaft einsetzen. Seit 1983 sind noch drei weitere Todesfälle an einem 30. August, die in unmittelbaren Zusammenhang mit Abschiebungsmaßnahmen stehen, bekannt geworden. Daher machen seit 2001 Flüchtlingsinitiativen mit einem bundesweiten Aktionstag gegen Abschiebungshaft am 30. August auf die Situation aufmerksam. An mehreren Orten finden Veranstaltungen statt, zum Beispiel in Berlin und Büren.
Zivilgesellschaftliche Organisationen und Initiativen stehen heute vor alten und neuen Aufgaben: Die Kontakte zu den Abschiebungshäftlingen herzustellen, sich gegen Haftbedingungen zu wenden, die sich auch heutzutage wieder vielerorts denen der Strafhaft annähern, obwohl Abschiebungshaft keine Strafhaft ist und sein darf. Vor allem aber ist dagegen anzugehen, dass Abschiebungshaftplätze weiter ausgebaut werden. Statt der viel zitierten »ultima ratio« wird Abschiebehaft so zu einer als »normal« empfundenen Maßnahme. In diesem Klima werden auch rechtswidrige Entscheidungen der Amtsgerichte zur Normalität.
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