Zuversicht trotz alter und neuer Lasten
Kubas Entwicklung wurde auch 2023 durch die umfassende Blockade der USA beeinträchtigt. Doch trotz erneut verschärfter Sanktionen konnte sich das Land etwas von den Folgen der Pandemie und den Auswirkungen der weltweiten Krisen erholen.
Das Bruttoinlandsprodukt, das nach einem Rückgang um knapp elf Prozent im Jahr 2020 bereits 2021 wieder um 1,3 Prozent und 2022 um weitere 1,8 Prozent wuchs, dürfte nach einer Schätzung des Londoner Wirtschaftsinstituts Economist Intelligence Unit (EIU) im laufenden Jahr ein Plus von 2,5 Prozent erreichen und 2024 auf jährlich rund vier Prozent steigen.
Auch die Bruttoanlageinvestitionen und der private Verbrauch kamen in diesem Jahr wieder aus dem Minus heraus. Damit steht Kuba derzeit – allerdings auf einem erheblich niedrigeren Niveau – besser da als etwa die Bundesrepublik Deutschland, für die das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung im vergangenen und im neuen Jahr mit Rückgängen der Wirtschaftsleistung um jeweils 0,3 Prozent rechnet.
Für den größten Teil der Bevölkerung Kubas bieten die schlechten Perspektiven anderer Länder allerdings keinen Trost. Denn die Engpässe bei Warenangebot und Stromversorgung, Nahrungsmitteln, Treibstoffen oder Medikamenten in Kuba werden vorerst weiter bestehen.
Geknebelte Wirtschaft
»Die Wirtschaft ist nach wie vor in einer schwierigen Lage«, räumte Wirtschaftsminister Alejandro Gil Mitte Dezember auf einer Plenarsitzung des ZK der Kommunistischen Partei (PCC) ein. Regierung und Bürger seien zu Recht unzufrieden mit der Entwicklung, erklärte der im April vom im Vormonat neugewählten Parlament im Amt bestätigte Präsident Miguel Díaz-Canel bei der Tagung. Vor einem Jahr hatten die Ökonomen für 2023 noch ein Wachstum von drei Prozent bei konstanten Preisen in Aussicht gestellt. Jetzt bestätigte Alejandro Gil, daß die erwarteten Werte nicht erreicht werden.
Zu den wichtigsten Faktoren, die sich negativ auswirkten, gehörten die Verschärfung der Blockade, die multidimensionale Wirtschaftskrise, der Anstieg der Preise auf dem Weltmarkt, die unzureichende Erwirtschaftung von Devisen und die makroökonomischen Ungleichgewichte der kubanischen Wirtschaft, sagte er. Das ganze Jahr über sei die nationale Produktion sowohl für den Inlandsverbrauch als auch für den Export aufgrund des Brennstoffdefizits und des Mangels an Produktionsmitteln beeinträchtigt gewesen.
Als weitere Ursachen nannte der Minister den Arbeitskräftemangel auf dem Land, die niedrigen landwirtschaftlichen Erträge, das Haushaltsdefizit, einen Rückgang des Angebots im staatlichen Sektor und die Spekulation sowie die Unwirksamkeit der Maßnahmen zu ihrer Eindämmung.
Nachdem es im Herbst Einschränkungen bei den staatlich subventionierten Nahrungsmittelrationen über das »Libreta« genannte Bezugsheft gab, gehöre der Standardlebensmittelkorb für Familien, der »uns 1,6 Milliarden US-Dollar kostet«, im kommenden Jahr zu den grundlegenden Prioritäten des Landes, versicherte Alejandro Gil.
Weitere Prioritäten seien die Verbesserung der Stromerzeugung und die Verfügbarkeit von Brennstoffen. 2023 sei es bereits gelungen, die Stromausfälle gegenüber 2022 um 32 Prozent zu verringern. Auch die Preisanstiege ließen nach. Ebenso sei die Zahl der staatlichen Unternehmen mit Verlusten zurückgegangen. Ein Teil der insgesamt knapp 1.950 Staatsbetriebe arbeitet allerdings offenbar noch immer häufig ineffizient und defizitär.
Auch 2024 müsse man aufgrund der Blockade der USA und der internationalen Krise mit der Fortsetzung des »kriegswirtschaftlichen Szenarios« rechnen, ergänzte Premierminister Manuel Marrero Cruz die Aussagen des Wirtschaftsministers. Und weiter: »Wir müssen verstehen, daß die Ressourcen, auf die wir im Jahr 2024 zählen können, die sind, die wir selbst produzieren.«
Der Regierungschef erklärte, daß es »neben objektiven Schwierigkeiten auch eigene Unzulänglichkeiten« zu überwinden gelte. Er verwies unter anderem darauf, daß der Rückgang der Deviseneinnahmen derzeit nicht durch eine ausreichende Senkung der Ausgaben ausgeglichen werde, und kritisierte, daß es nicht gelungen sei, nichtstaatliche Aktivitäten wirksam in die Wirtschaft einzubinden. Die vorrangigen Maßnahmen für das kommende Jahr zielten laut Marrero Cruz darauf ab, die Deviseneinnahmen zu erhöhen und die nationale Produktion sowie ausländische Investitionen – mit besonderem Schwerpunkt auf der Nahrungsmittelproduktion – zu steigern, um eine stabile Versorgung mit Gütern zu erreichen.
Helfer in aller Welt
Zur leichten Erholung der Wirtschaft hat vor allem die nach der Pandemie wieder steigende Zahl von Touristen beigetragen. Laut des Nationalen Statistik- und Informationsamts (ONEI) kamen 2023 zwischen Januar und September 1,81 Millionen Besucher ins Land, 68,8 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Allerdings war die Zahl 2019 noch fast doppelt so hoch gewesen. Die größten Gruppen kamen aus Kanada und den USA (Kubaner auf Familienbesuch), gefolgt von Gästen aus der Russischen Föderation. Nachdem Zigtausende russische Staatsbürger 2022 gezwungen waren, bereits gebuchte Kuba-Reisen infolge der gegen Rußland verhängten Sanktionen abzusagen, konnten bis September dieses Jahres wieder 120.000 russische Urlauber die Insel besuchen, ein Anstieg um 77 Prozent.
Neben dem Ausbau der touristischen Infrastruktur und der Wirtschaftsbeziehungen zu Brasilien, Rußland, China und Vietnam verstärkte Kuba die Kontakte zu weiteren Ländern. Im Juni konnte Präsident Díaz-Canel auf einer Europareise neue Handelsabkommen mit Serbien und Italien vereinbaren. Anschließend nahm er in Paris für die »Gruppe der 77 plus«, deren Vorsitz Kuba im Januar übertragen worden war, an Beratungen über einen neuen globalen Finanzpakt teil. In dieser Funktion vertrat Miguel Díaz-Canel die Länder des globalen Südens im August auch auf einem dreitägigen Gipfeltreffen der BRICS-Länder in Johannesburg. Zuvor hatte der kubanische Staatschef in Angola, Namibia und Mosambik bilaterale Kooperationsverträge unterzeichnet.
Doch die sozialistische Inselrepublik suchte in der Welt nicht nur Handelspartner, sondern leistete auch anderen Ländern – trotz der eigenen Probleme durch die USA-Blockade – internationalistische Hilfe. Nach den Erdbeben in der Türkei und in Syrien reisten im Februar zum Beispiel Helfer der kubanischen Ärztebrigade »Henry Reeve« in die betroffenen Gebiete.
Während die positive Rolle Kubas in der Welt im November von nahezu allen Rednern in der jährlichen UNO-Debatte über die USA-Blockade hervorgehoben wurde, setzt Washington sich weiter über die fast einstimmige Forderung der Weltgemeinschaft zur Beendigung aller Sanktionen hinweg. Damit verletzen die USA internationales Recht, befand ein internationales Tribunal, das am 16. und 17. November 2023 am Sitz des EU-Parlaments in Brüssel getagt hatte.
Doch ungeachtet der weltweiten Verurteilung ihrer Blockade versucht Washington, deren erklärtes Ziel eines Sturzes der kubanischen Regierung auch mit Gewalt zu erreichen. Ungehindert von der USA-Polizei verübte ein Attentäter Ende September mit Molotowcocktails einen Anschlag auf die kubanische Botschaft in der Hauptstadt der USA, nur wenige Stunden nachdem Präsident Díaz-Canel als Vertreter der »G77 plus« in der UNO-Generalversammlung gesprochen hatte.
Im Dezember verhafteten Einheiten des kubanischen Innenministeriums mehrere Verdächtige, die in Verbindung mit Terrorgruppen in Florida zum Jahreswechsel Anschläge und andere »destabilisierende Aktionen« auf Kuba geplant hatten. Der »Schutz und die Toleranz für die Förderer von Terrorakten gegen Kuba in den USA« sei »gleichbedeutend mit einer Komplizenschaft«, warf Außenminister Bruno Rodríguez der USA-Regierung am 15. Dezember vor.
Quelle: Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek