25. November 2024

120. Jahrestag des Aufstands der Herero gegen das deutsche Kolonialverbrechen des ersten Genozids im 20. Jh.

Anfang des 20. Jahrhunderts leitete eine 1904 einsetzende Welle machtvoller Aufstände in Afrika eine neue Ära im antikolonialen Befreiungskampf ein. Am heutigen 12. Jänner vor 120 Jahren erhoben sich zunächst die Herero im Norden des damaligen Deutsch-Südwestafrikas (heute: Namibia) gegen das deutsche Kolonialjoch. Berlin beantwortete ihren Aufstand mit einem kolonialen Vernichtungskrieg unsäglichen Gräuels: dem ersten Genozid des 20. Jahrhunderts, dem rund 80% der Herero zum Opfer fielen.

Der „Wettlauf um Afrika“ und die Aufteilung des Kontinents am Verhandlungstisch der Berliner Kongo-Konferenz

Der sogenannte „Wettlauf um Afrika“ unter den Kolonialmächten und Kolonialrivalen hatte zwar schon früher begonnen. Die entscheidende Grundlage für die fast restlose Aufteilung des afrikanischen Kontinents in Kolonien markierte historisch dann jedoch die Berliner Afrika-Konferenz (auch als Kongo-Konferenz bekannt) vor 140 Jahren (genauer: vom 15. November 1884 bis 26. Februar 1885), auf der die vom deutschen Reichskanzler Otto von Bismarck geladenen Großmächte über die Zukunft und eine einträchtig abgesteckte koloniale Aufgliederung Afrikas berieten.

Auf ihr legten die Vertreter Frankreichs, Großbritanniens, Spaniens, Portugals, Hollands, Belgiens, Italiens, Österreich-Ungarns, Dänemarks, Schwedens, Norwegens, Russlands und natürlich des Deutschen Kaiserreichs, sowie Vertreter aus den USA und dem Osmanischen Reich am Reißbrett riesiger Landkarten des Kontinents dessen Aufteilung unter sich fest. Afrikaner – die Delegierten am Berliner Verhandlungstisch waren seinerzeit wie selbstverständlich männlichen Geschlechts – waren nicht vertreten (wie Aert von Riel seine jüngst erschienene Arbeit zum bis heute verschwiegenen deutschen Völkermord in Deutsch-Ostafrika eröffnet).

„Es liegt auf der Hand“, äußerte nur wenige Jahre zuvor der Kaufmann und Reeder Adolph Woermann, eine Schlüsselfigur der deutschen Kolonialwirtschaftskreise, „dass in Afrika zwei große ungehobene Schätze sind: Die Fruchtbarkeit des Bodens und die Arbeitskraft vieler Millionen Neger.“

Nach dreimonatigem Feilschen war das Objekt der Begierde filetiert, die Kolonialsphären abgesteckt und multilaterale Verträge abgeschlossen sowie eine „Generalakte“ (Kongo-Akte) verabschiedet. Man feierte einander mit dieser einträchtigen Kolonialunterwerfung die „Hebung der sittlichen und materiellen Wohlfahrt der eingeborenen Völkerschaften“ zu fördern und huldigte zum Abschluss „edlen Absichten“ des Privatstaats des belgischen Königs Leopold II. im Kongo – ein viehisches Schreckensregime, dem binnen kürzestem 10 Millionen Menschen zum Opfer fielen.

Die Grenzverläufe in Afrika – vielfach geradezu ins Auge springend wie mit dem Lineal gezogen, mitten durch historisch gewachsene Regionen und kulturelle ethnisch-religiöse Gebiete hindurch und andererseits Räume mit keiner oder kaum einer gemeinsamen Vorgeschichte neu versammelnd –, sowie das vielfältige Erbe des Kolonialismus, der Kolonialverbrechen und der Entwicklungsblockaden (siehe, gerade neu aufgelegt, etwa Walter Rodneys Klassiker „Wie Europa Afrika unterentwickelte“) legen noch heute Zeugnis jener Zeit, als der Kontinent unter den Kolonialmächten am europäischen Verhandlungstisch aufgeteilt und unterworfen wurde.

Der Meilenschwindel als erster Grundstein Deutsch-Südwestafrikas

Den ersten Grundstein der nach der „Kongo-Konferenz“ zügig vorangetriebenen weiteren Kolonialisierung Namibias (sowie parallelen Errichtung eines kolonialen deutschen Überseereichs) legte bereits zuvor ein mieses Schurkenstück. Am 1. Mai 1883 erwarb ein Beauftragter Adolf Lüderitz‘, Sohn eines Bremer Handels- und Tabakmagnaten und ein weiterer prominenter Wegbereiter des deutschen Kolonialismus aus der Geschäftswelt, ein Stück Land auf dem er Kupfervorkommen vermutete von Nama-Oberhaupt Josef David Fredericks für einen „Handelsposten“. „Vermessen ließ Lüderitz die Fläche in den damals gebräuchlichen englischen Meilen [1,6 km], im Vertrag war dann lediglich von ‚Meilen‘ die Rede“, wie ebenso Christian Selz unlängst nochmals in Erinnerung rief. Entsprechend beanspruchte Lüderitz die viermal längeren deutschen Meilen [von 7,5 km], also eine rund 16mal größere Fläche. „Da in unserem Kaufvertrag steht – 20 geographische Meilen im Inland –, so wollen wir diese auch beanspruchen“, wies Lüderitz seinen Beauftragten Heinrich Vogelsang an. „Lassen Sie Fredericks aber vorerst im Glauben, dass es 20 englische Meilen sind.“ Die Proteste der Nama gegen dieses Geschäftsgebaren stießen in Berlin auf taube Ohren. „Das Täuschungsmanöver ging [letztlich] als Meilenschwindel in die Annalen ein“, so derFreitag. Dem Vertrag folgten im selben Jahr noch weitere betrügerische Verträge zur Landerwerbung und: die Erklärung der okkupierten Gebiete zu deutschen „Schutzgebieten“ sowie „Seiner Majestät, Wilhelm I.“ Marine, kaiserliche „Schutztruppen“ und das Hissen deutscher Flaggen auf nunmehr „deutschem Boden in Afrika“ – wie es mit stolz geschwellter Kolonialherrenbrust hieß.

Aufstand der Verzweifelten und das beginnende Kolonialmassakers gegen die Herero und Nama

Die – neben den Nama – von kolonial-rassistischer Unterdrückung, Demütigung, Landraub, Dezimierung ihrer Rinderherden, Deportationen und Gewalt gepeinigten und verzweifelten Herero, denen sich die Nama anschlossen, wagten im Jänner 1904 den Aufstand gegen die deutschen Kolonialherren. Der Aufstand kam für die deutschen Kolonialkreise völlig überraschend – obgleich ihm bereits im 19. Jahrhundert eine Reihe kleinerer Erhebungen verschiedener Ethnien, vor allem der Nama, vorausgegangen waren. Ihr ausgeprägter Rassismus – dem wir uns in Teil II noch ausführlicher zuwenden – hatte sie dazu verleitet, die von ihnen unterjochten Herero zu unterschätzen.

Jedoch gilt mit Gerd Schumann: Die von Kolonialismus und dem Joch rassistischen Herrenmenschentums „betroffenen Völker revoltierten früher oder später dagegen. Sie wehrten sich gegen Terror, Mord und Totschlag, Sklavenarbeit und Entrechtung. Die Geschichte des Kolonialismus, so auch des deutschen, ist zugleich die Geschichte von Kämpfen Unterdrückter gegen ihre Unterdrücker. Dass sich die aufgestaute Wut über Unrecht irgendwann in Widerstand verwandeln kann, ist keine Gesetzmäßigkeit, aber doch wahrscheinlich. Es geschieht in allen deutschen Kolonien.“

Und auch die ‚Antwort‘ des deutschen Kolonialismus wiederholte sich. Dem Genozid an den Herero und Nama 1904 in Deutsch-Südwestafrika folgte mit der brutalen Niederschlagung des breit getragenen antikolonialen Aufstands im Maji-Maji-Krieg in Deutsch-Ostafrika (heute: Tansania) und der „Strategie der verbrannten Erde“ bereits 1905 der zweite Völkermord im deutschen Kolonialreich des noch jungen 20. Jahrhunderts. An Opferzahl den Genozid an den Herero und Nama sogar noch in den Schatten stellend.

Die Herero, die ihre Erhebung aufgrund einer Reihe weiterer koloniale Verordnungen, Enteignungen, Vertreibungen und Reservats-Pläne, vielfach als letzte Chance auf ein Leben in Freiheit begriffen, beschlossen im Dezember 1903 den Aufstand und drängten ihr Oberhaupt Samuel Maharero den Entscheidungskampf zu suchen. Nichts drang nach außen. Auch die Herero-Christen, Gemeindemitglieder, Lehrer und Missionshelfer hatten die Aufstandsvorbereitungen geheim gehalten und beteiligten sich fast ausnahmslos am bewaffneten Kampf gegen die verhasste Fremdherrschaft. Am heutigen 12. Jänner begann dieser mit erfolgreichen Angriffen gegen militärische Stützpunkte der Deutschen (zunächst der deutschen Festung in der Kleinstadt Okahandja) und Farmen deutscher Siedler in Zentralnamibia. Trotz beachtlicher Anfangserfolge (etwa auch der Einnahme des deutschen Armeeposten am Waterberg) gelang es ihnen jedoch nicht, Ortschaften oder Kasernen einzunehmen. Ihre größten Erfolge erzielten sie vorrangig gegen koloniale Landgehöfte und einzelne Truppen bzw. stationierte Soldaten.

Die daraufhin um über zehntausend Mann verstärkte „Schutztruppe“ (welch unsäglicher Euphemismus), eine zu jener Zeit dazu bereits moderne Armee (bestückt und bewaffnet mit schwerer Artillerie und Maschinengewehren), unter dem (schließlichen) Kommando Generalleutnants Lothar von Trotha, reagierte mit brutaler Gewalt, einem Kolonialmassaker sondergleichen sowie befohlenem Völkermord: Der kaiserliche Oberbefehlshaber, der den Befehl zu vollständigen Vernichtung der Empörung – ja, der Herero „als solcher“ – ausgab, ließ fast das gesamte Volk der Herero in die Wüste jagen, diese abriegeln und die wenigen Überlebenden in Konzentrationslager und Reservate zur Zwangsarbeit internieren.

Die Herero, die entsprechend ihres Moralkodex sowie auf Weisung Mahareros ihrerseits weiße Frauen und Kinder sowie Mischlinge und eine Reihe weiterer Gruppen verschonten, unterlagen damit in letzter Instanz der erdrückenden Überlegenheit der deutschen Kolonialherren und erlagen durch die Berliner Order einer bedingungslosen Unterwerfung und weitgehenden Vernichtung.

Mühselige Aufarbeitung der deutschen Kolonialgräuel und des Genozids

Über Jahrzehnte ignoriert, allenfalls als „trauriges Ereignis“ oder „dunkles Kapitel“ in der deutschen Geschichte abgetan, begann die schleppende Aufarbeitung der Kolonialgräuel und des Genozids an den Herrero und Nama im sich heute hinsichtlich seiner Kolonialverbrechen in unerträglicher Selbstgefälligkeit suhlenden (West-)Deutschland erst nach über 100 Jahren. Dabei, so Anke Schwarzer, „waren die Ereignisse im Deutschen Reich keineswegs geheim gehalten worden. Mit bemerkenswerter Unverblümtheit wurde der Krieg gegen die Herero der damaligen Öffentlichkeit präsentiert. Postkarten, die Gefangene in Ketter, Lager- und Hinrichtungsszenen zeigten, wurden hergestellt. Auch gibt es Bilder von Hererofrauen, die mit Glasscherben die Schädel ihrer toten Verwandten säubern mussten, damit diese in das Pathologische Institut Berlin geschickt werden konnten.“ Zu alledem flutete eine ebenso ausgedehnte wie erfolgreiche rassistisch-koloniale Reise- und Memoirenliteratur geradezu den deutschen Markt.

Dazu und zum Genozid als solchem dann eingehender in Teil II

Quelle: KOMintern

Deutsche GeschichteKomInternNamibia