»Sein Streik«
Mancher Reisende von und nach Luxemburg wird gemerkt haben, daß dies im Bahnverkehr aktuell erneut nicht so einfach ist. Die Züge der CFL enden in Wasserbillig. Auf deutscher Seite schwelt weiterhin der Streit zwischen der Lokführergewerkschaft GDL und der Deutschen Bahn, der auch nach einem erneuten Entgegenkommen der Beschäftigtenseite nicht entschärft werden konnte. Die DB hatte den Einigungsvorschlag umgehend abgelehnt.
Inhaltlich hatten die Lokführer unter anderem eine schrittweise Einführung der 35-Stundenwoche für Schichtarbeiter bis 2028 sowie eine grundsätzliche Einführung der Fünf-Tage-Woche mit mindestens 48 Stunden Ruhe im Anschluß sowie einen deutschlandweiten Rahmentarifvertrag für die Instandhaltungsabteilung gefordert, wie auch eine bessere Vergütung für Lehrlinge. Bei Lohn- und Inflationsausgleichsforderungen wurde zurückgerudert.
Wie bereits bei früheren Auseinandersetzungen der Lokführer mit dem Bahnkonzern wird auch der aktuelle Arbeitskampf wieder begleitet von einem medialen Framing, welches insbesondere den Vorsitzenden der GDL, Claus Weselsky, in ein schlechtes Licht rücken soll.
Auf der anderen Seite wird nur selten erwähnt, daß die Vorstände des deutschen Bahnkonzerns, bei dem es infrastrukturell und auch in der Arbeitsqualität der Lohnabhängigen an allen Ecken und Enden quietscht, sich mit Beginn des Jahres bis zu 9 Millionen Euro Boni genüßlich ausbezahlen durften.
Gleichzeitig fahren Lokführer und Zugbegleiter sprichwörtlich auf der Felge, an zahlreiche Neueinstellungen ist angesichts der miesen Arbeitsbedingungen kaum zu denken und während der Konzern mit Paradestrecken wie Hamburg-München prahlt, stehen sich in der Provinz Reisende und Pendler die Beine in den Bauch, während die Fahrpreise weiter steigen.
Schuld am Dilemma ist jedoch, wir ahnen es: Claus Weselsky. Seines Zeichens politisch gesehen nicht mal ein strammer Revoluzzer (CDU-Mitglied), sondern einfach der Vorsitzende einer Gewerkschaft, die sich nicht mit dem üblichen Sermon von Lohnmoderation und Arbeitsplatzsicherung zufrieden gibt. Das fällt auf, und wer auffällt, kriegt meist die volle Breitseite in unserer Gesellschaft. Da kommen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen am Abend Sozialwissenschaftler zu Wort, die analysieren, was Weselsky mit »seinem Streik« wohl erreichen möchte, das Radio zieht ihn ins Lächerliche, wie in einem Beitrag des Mitteldeutschen Rundfunks: »Bei der GDL ist er der Boß. Mit nur einem kleinen Anruf ist ein neuer Streik ausgerufen und die Deutsche Bahn mal wieder stillgelegt. Am Frühstückstisch der Familie ist Claus Weselsky allerdings meist machtlos.«
Zugegeben: Die mediale Menschenjagd war vor rund zehn Jahren deutlich schlimmer, als der Boulevard Weselskys Wohnhaus abbildete (Focus) oder seine Büro-Nummer öffentlich machte (Bild). Geblieben ist aber, daß der Bevölkerung suggeriert wird, es handele sich um eine Ein-Mann-Show, »seinen Streik«. Von Urabstimmungen und gewerkschaftlichen Strukturen scheinen die meisten Experten in diesen Medien offensichtlich noch nie etwas gehört zu haben.
Die GDL kämpft mit ihrer Forderung nach einer 35-Stunden-Woche auch einen Kampf für Nichteisenbahner: Für eine Diskussion um eine Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich im Sinne einer gerechteren Umverteilung des geschaffenen Wohlstands. Und: Sie läßt sich nicht einschüchtern.
Quelle: Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek