Raubüberfall mit Folgen
Von Lucas Zeise
Die Notenbanken der Welt haben „in den vergangenen beiden Jahren ganz außergewöhnlich viel Gold gekauft“, stellt Christian Siedenbiedel im Finanzteil der FAZ vom 16. Februar fest. Er beruft sich dabei auf den „World Gold Council“ (WGC), die internationale Lobby- und Marketingorganisation der Goldproduzenten. Der WGC produziert nicht nur fesche Sprüche, sondern auch ziemlich umfassende Statistiken über den Goldmarkt. Laut dieser Statistik haben alle erfassten Zentralbanken der Welt 2022 und 2023 jeweils etwas über 1.000 Tonnen Gold zugekauft und damit erheblich mehr als in den Jahren zuvor, als die Summe der Zukäufe jährlich zwischen 200 und 600 Tonnen lag.
Bei der Frage „Warum?“ ziert sich der FAZ-Autor. Er zitiert einen „Goldfachmann“ (Frank Schallenberger) der Landesbank Baden-Württemberg mit der Bemerkung, Gold erhöhe „die Glaubwürdigkeit einer Notenbank“ und „ein bisschen Gold in den Tresoren der Notenbanken scheint wohl den Glauben an die Stabilität des Systems deutlich zu stärken“. Der „Goldfachmann“ greift auch auf die – zutreffende – Erkenntnis des WGC zurück: Bis zur Weltfinanzkrise 2008/09 hätten die Zentralbanken Gold eher verkauft. Danach seien sie auf die Käuferseite gewechselt, weil die Finanzkrise gezeigt habe, wie schnell der Glaube an die Stabilität des Finanzsystems erschüttert werden könne. Man kann dazu anmerken, dass wohl nicht nur der Glaube, sondern das Finanzsystem selbst erschüttert wurde. Richtig ist jedenfalls, dass die Zentralbanken, wie der WGC schreibt, nach dem Ende des Bretton-Woods-Systems (1971 – Ende der Goldbindung des Dollars) zunächst einige Jahrzehnte lang ihre Goldreserven abgebaut, aber sich seit etwa 2010 wieder als Nettokäufer von Gold betätigt haben.
Die Zentralbanken halten Gold aus Sicherheitsgründen. Gold muss kostspielig gelagert und streng bewacht werden und bringt keine Zinsen. Es ist außerdem mühsam in anderes Geld umzutauschen, also, wie die Händler sagen, wenig liquide. Es ist nicht einmal wertstabil. Sein Preis schwankt, gemessen in Dollar, Euro, Yen oder Schweizer Franken. Nur in Notzeiten, wenn der kapitalistische Weltmarkt nicht funktioniert, ist es wirklich von Nutzen. Es ist das Krisengeld schlechthin. Die Preisentwicklung des Goldes spiegelt das wider. Nach einem rasanten Anstieg seit 1971, als die Goldbindung zum Dollar (1 Unze = 35 Dollar) aufgelöst worden war, bröckelte in den 80er und 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts der Preis wieder und begann erst um die Jahrtausendwende wieder zu klettern. Während der Finanzkrise stieg er 2008 zum ersten Mal über 1.000 Dollar und schwankt derzeit um 2.000 Dollar.
Der Grund für die gestiegenen Goldkäufe der Zentralbanken 2022 und 2023 liegt übrigens auf der Hand: Vor zwei Jahren, am letzten Februarwochenende 2022, sperrten die Zentralbanken des Westens die Guthaben, die die russische Zentralbank als Devisenreserven in Dollar und Euro bei ihnen hatte. Es dreht sich dabei um etwa 300 Milliarden Dollar, je zur Hälfte in Euro und in Dollar. Juristisch war das eine Kriegserklärung. Technisch aber einfach. Das Geld befand sich lediglich in Form von juristischen Eigentumstiteln in Händen der russischen Zentralbank, kein einziger Dollar- oder Euroschein befand sich in Moskau. Anders natürlich die Goldreserven. Sie lagerten und lagern für die westlichen Staaten unangreifbar in Russland selbst. Nur eine militärische Operation hätte einen derartigen Raubüberfall auf die Goldreserven möglich gemacht. Kein Wunder, dass Zentralbanker in aller Welt sich nicht mehr darauf verlassen, dass Guthaben in Fremdwährung ihnen auch tatsächlich zur Verfügung stehen. Zu den Ländern, die ihre Goldreserven in den vergangenen Jahren stark aufgestockt haben, gehören neben China auch Polen, Singapur, Libyen, Tschechien, Indien, der Irak und Katar.
Quelle: Unsere Zeit