Unerträgliche Hetze
Große Aufregung in Berlin über einen Palästina-Kongreß, der vom gestrigen Freitag bis Sonntag in Berlin stattfinden sollte. Verschiedene Gruppen, die sich der Solidarität mit dem Volk von Palästina verschrieben haben, wollten über Möglichkeiten der Unterstützung für die Palästinenser und über das gemeinsame Auftreten für eine dauerhafte Waffenruhe, für die Anerkennung des Staates Palästina und gegen die politische und militärische Unterstützung der Bundesrepublik Deutschland für den israelischen Angriffskrieg beraten.
Unverzüglich erhob sich das zu erwartende Geschrei seitens der Stadtverwaltung unter Führung der »christlichen Demokraten« von der CDU. Der Berliner Bürgermeister bezeichnete es als »unerträglich«, daß ein solcher Kongreß in der Stadt tagen soll. »Wir dulden in Berlin keinen Antisemitismus, Haß und Hetze gegen Jüdinnen und Juden«, wird er von dpa zitiert. Vor dem Tagungsgebäude gab es einen großen Aufmarsch der Polizei, die laut dem CDU-Bürgermeister »für Recht und Ordnung in unserer Stadt sorgen – und unsere Werte schützen und verteidigen« soll.
Tatsächlich unerträglich ist die Kumpanei der bestimmenden Politiker in vielen NATO- und EU-Staaten mit dem Angriffskrieg Israels. Neben den USA und Britannien spielt dabei die Bundesrepublik Deutschland eine besondere Rolle, und wurde deshalb auch von Nicaragua vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag wegen des Verdachts der Beihilfe zum Völkermord angeklagt.
Unerträglich ist die Haltung der offiziellen deutschen Politik zu Israel, die »das Existenzrecht Israels« zur »deutschen Staatsraison« erklärt hat, bei jeder Gelegenheit das »Selbstverteidigungsrecht Israels« hervorhebt und dabei das Hinschlachten von zehntausenden Bewohnern des Gazastreifens, die flächendeckende Zerstörung von Städten und Siedlungen, die gezielten Tötungen von Journalisten, Medizinern, Helfern in Kauf nimmt und akzeptiert, daß mehr als eine Million Menschen einer akuten Hungersnot ausgesetzt sind.
Die Diffamierungen von Menschen, die eine solche Politik ablehnen, die für eine Waffenruhe und für einen Weg zu einem gerechten Frieden im Nahen Osten eintreten, erfaßt auch immer mehr Menschen jüdischen Glaubens, die dafür ebenfalls mit dem falschen Vorwurf des Antisemitismus belegt werden. Eine renommierte Philosophin aus den USA, eine Jüdin, wurde von der Uni Köln erst in dieser Woche offiziell ausgeladen. Die Liste der Beispiele für die Diskriminierung von Menschen, die – gleich welchen Glaubens – gegen den Krieg in Gaza protestieren, wird täglich länger, auch hierzulande.
Protest gegen den Krieg ist grundsätzlich gerecht. Protest gegen den Krieg ist dann effektiver und glaubwürdiger, wenn auf die wirklichen Ursachen und möglichst auch auf realistische Wege zur Beendigung des Krieges verwiesen wird. Das gilt in unseren Tagen vor allem für Gaza – und auch für die Ukraine.
Der Protest gegen den Krieg kann sehr unterschiedliche Formen annehmen. Angesichts der schieren Verzweiflung über die Toten und das Elend ist es auch nicht verwunderlich, wenn dabei überzogen wird. Aber ehrlicher Protest gegen den Krieg Israels in Gaza ist nicht gleichzusetzen mit Angriffen auf Juden und ist also weder antijüdisch noch antisemitisch, sondern Protest gegen die Politik des Staates Israel – ebenso wie Proteste gegen die Kriege der USA in Vietnam, Afghanistan, Irak … nicht »antiamerikanisch« waren, sondern gegen die Politik der USA-Regierung gerichtet. Diese Proteste zu diffamieren, ist unerträglich.
Quelle: Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek