23. Dezember 2024

Alles für den Frieden! – Wer bezahlt die Militarisierung Deutschlands?

Übernommen von ethecon:

Im Rahmen unserer Kampagne “Alles für den Frieden!” dokumentieren wir im Folgenden einen Vortrag, den Lühr Henken am 18. Juni 2024 im Rahmen des Webinars »Militarisierung gegen Soziales – Wer bezahlt die Militarisierung Deutschlands?« der Initiative »Nie wieder Krieg – Die Waffen nieder« gehalten hat.

Kriegstüchtig werden

Mit ihrem Gipfelbeschluss von Wales 2014 setzte die NATO einen Aufrüstungskurs in Gang, mit dem Ziel, dass 2024, also jetzt, alle europäischen NATO-Mitglieder sowie Kanada möglichst zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) für ihr Militär ausgeben sollten. Damals gab die Bundesrepublik nach NATO-Kriterien, und nur die zählen, 1,19 Prozent des BIP, knapp 35 Milliarden Euro aus, 2021, noch vor dem Ukraine-Krieg, waren es gut 52 Milliarden Euro, also 1,46 Prozent des BIP, eine deutliche Erhöhung also.

Seit der Zeitenwenderede von Olaf Scholz am 27. Februar 2022 aber ist aus Aufrüstung Hochrüstung geworden. Scholz sagte damals wörtlich: »Wir werden von nun an Jahr für Jahr mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in unsere Verteidigung investieren.«¹ Das hätte damals plötzlich 25 Milliarden Euro mehr aus dem Haushalt bedeutet. Das war nicht drin. Also machte man 100 Milliarden Euro Schulden. Dies war wegen der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse nicht durch eine schlichte Kreditaufnahme möglich, sondern nur durch die Schaffung eines Nebenhaushalts in Form eines sogenannten Sondervermögens Bundeswehr. Die wiederum dafür notwendige Zweidrittelmehrheit für die Änderung des Grundgesetzes ermöglichte die CDU/CSU.

Gelder aus dem Topf stehen maximal bis Ende 2030 zur Verfügung. Von den 100 Milliarden gehen 13 Milliarden Euro für Zinsen drauf.² Somit schrumpft der Betrag für Waffen und Ausrüstung auf 87 Milliarden Euro. Die Rückzahlung aus dem Bundeshaushalt beginnt 2031, läuft 31 Jahre lang und kostet etwa drei Milliarden Euro pro Jahr.

»Wir müssen gewinnen«

Zur Begründung für die Hochrüstung führte der Bundeskanzler in seiner Rede aus: »Putin will ein russisches Imperium errichten. Er will die Verhältnisse in Europa nach seinen Vorstellungen grundlegend neu ordnen, und dabei schreckt er nicht zurück vor militärischer Gewalt. Das sehen wir heute in der Ukraine. Wir müssen uns deshalb fragen: Welche Fähigkeiten besitzt Putins Russland, und welche Fähigkeiten brauchen wir, um dieser Bedrohung zu begegnen, heute und in der Zukunft?«

Das ist das herrschende Narrativ. Sein Kerngedanke: Weil Russlands Angriff auf die Ukraine Bestandteil eines imperialistischen Krieges Putins zur Neuordnung Europas ist, sind wir bedroht. Deshalb unsere Antwort: Aufrüstung. Aufrüstung der Ukraine und Aufrüstung der Bundeswehr.

 

Entsprechend wurden im November 2023 neue Verteidigungspolitische Richtlinien (VPR) erlassen. Folgendes Zitat daraus demonstriert die Richtung deutlich: »Die neue Qualität der Bedrohung unserer Sicherheit und die brutale Realität des Krieges in der Ukraine verdeutlichen, dass wir unsere Strukturen und Prozesse am Szenario des Kampfes gegen einen mindestens ebenbürtigen Gegner ausrichten müssen: Wir wollen diese Auseinandersetzung nicht nur gewinnen, sondern wir müssen.«³ Deshalb gelte künftig »Kriegstüchtigkeit als Handlungsmaxime«. Das klingt nicht nur aggressiv, es ist aggressiv. Allein schon deshalb, weil eine deutsche Brigade – das sind 5.000 Soldaten – ab 2027 mit Kampf- und Schützenpanzern, unter Bruch der NATO-Russland-Akte von 1997, dauerhaft in Litauen stationiert werden soll. Die Kosten für Deutschland werden einmalig auf fünf bis sieben Milliarden, der Unterhalt jährlich auf eine Milliarde Euro geschätzt (Süddeutsche Zeitung, 24.4.2024).

Verteidigungsminister Boris Pistorius machte sich eine unbewiesene Behauptung von Christian Mölling, dem stellvertretenden Direktor des Forschungsinstituts des Thinktanks DGAP zu eigen, der seit November behauptet⁴, Russland würde unmittelbar nach Ende des Ukraine-Krieges in eine Rekonstitution seiner Streitkräfte gehen, die so immens wäre, dass Deutschland nur noch ein Gelegenheitsfenster von sechs bis zehn Jahren bliebe, um durch seine massive und beschleunigte Aufrüstung Russland von einem Angriff auf beispielsweise das Baltikum abzuhalten. Obwohl es keinen Beleg für dieses angebliche Vorhaben gibt, macht Pistorius daraus: »Wir müssen bis 2029 kriegstüchtig sein.« (Der Spiegel, 9.6.2024)

Demgemäß entsteht der Eindruck, dass Russland dem Westen haushoch überlegen ist, und der Westen sich sehr beeilen müsse, sein angebliches Defizit so schnell wie möglich auszugleichen. Ist dem so? Um sich militärisch durchsetzen zu können, gilt die Faustregel, wonach der Angreifer eine dreifache Überlegenheit im Feld und in urbaner Umgebung das Fünf- bis Achtfache dessen aufbieten muss, was der Verteidiger hat. Betrachten wir das Kräfteverhältnis der Hauptwaffensysteme Russlands mit der NATO: Der Spiegel brachte im Februar eine Gegenüberstellung. Er berief sich auf aktuelle Daten des renommierten Jahrbuchs The Military Balance, das vom NATO-nahen International Institute for Strategic Studies (IISS) herausgegeben wird (Der Spiegel, 17.2.2024). Demnach stehen 3,2 Millionen Soldaten der NATO-Staaten 1,1 Millionen Soldaten Russlands gegenüber. Die NATO verfügt über 6.030 Kampfflugzeuge, Russland hat 1.377. Die NATO zählt 8.901 Kampfpanzer, Russland 2.000. Bei der Artillerie ist das Verhältnis 21.879 zu 5.485 zugunsten der NATO, bei U-Booten 143 zu 50 und bei großen Kriegsschiffen 274 zu 33. Diese Zahlen demonstrieren komplett das Gegenteil dessen, was uns tagtäglich suggeriert wird. In Wirklichkeit muss sich Russland von der NATO bedroht fühlen. Und das ist nicht erst seit Beginn des Ukraine-Krieges so, sondern schon seit Jahrzehnten.

Russlands Präsident hat im Januar 2023 ein Aufrüstungsprogramm erlassen. Demnach soll bis 2026 die Soldatenzahl von jetzt 1,1 auf 1,5 Millionen wachsen. Nehmen wir an, die Zahl der russischen Waffensysteme würde dementsprechend auch anwachsen. Welche Auswirkungen hätte das? Selbst wenn die NATO-Staaten überhaupt keine neuen Waffen kaufen würden – was sie bekanntlich ganz und gar nicht vorhaben – hätten sie noch das dreifache Potential bei Heer und Luftwaffe und das Zwei- bzw. Sechsfache bei der Marine. Im wesentlichen würde sich an den Kräfteverhältnissen nichts ändern. Das bedeutet: Die Notwendigkeit deutscher Aufrüstung und die der NATO-Staaten ist überflüssig und von daher rausgeschmissenes Steuergeld. Ja, es gibt sogar Potential für einseitige westliche Abrüstung.

Neue Dimensionen

Das interessiert die NATO aber nicht. Sie hat 2022 in Madrid ein umfassendes New Force Model beschlossen, wonach bis zum nächsten Jahr ihre Schnelle Eingreiftruppe von seinerzeit 40.000 auf 100.000 Soldaten erweitert werden soll. 300.000 sollen 2027 »combat ready« sein. Vor nicht ganz zwei Wochen verkündete NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg bereits vorzeitigen Vollzug. Die zweite Stufe mit 300.000 Soldaten sei bereits mit der gemeldeten Zahl von 500.000 Soldaten, die binnen zehn bis 30 Tagen kampfbereit sein sollen, übererfüllt worden (FAZ, 15.6.2024).

Die Bundeswehr rüstet entsprechend diesem NATO-Plan auf. 2025 und 2027 sollen jeweils eine Panzerdivision und 2029 die Division Schnelle Kräfte »kaltstartfähig« aufgestellt sein, wie es im Bundeswehr-Jargon heißt. Die Truppe soll dann jeweils aus dem Stand heraus hundertprozentig ausgerüstet losziehen können. Dazu bedarf es einer Ausrüstung von 130 Prozent, denn erfahrungsgemäß ist etwa 30 Prozent des Materials in Reparatur oder wird gerade umgerüstet und im Kampfwert gesteigert. Für das Heer bedeutet das eine Verdreifachung der Kampfkraft.

Aber dafür braucht man auch Soldaten. Zurzeit sind es gut 185.000. Durch Einführung einer Auswahlwehrpflicht soll es jährlich statt 15.000 Grundwehrdienstleistenden 20.000 geben. Das kostet jährlich etwa 1,4 Milliarden Euro. Perspektivisch soll die deutsche Armee auf 270.000 Soldaten wachsen, also auf fast 50 Prozent mehr als heute. Bedeutsamer jedoch ist der geplante Aufwuchs der aktiven Reservisten von derzeit 43.000 auf 260.000 Personen (FAZ, 13.6.2024). Das führt zu einer Truppe von zusammen 530.000 aktiven Soldatinnen und Soldaten und bricht den Zwei-plus-vier-Vertrag, der die Streitkräfteobergrenze Deutschlands auf 370.000 Soldaten völkerrechtlich bindend festlegt.

Kommen wir nun zum deutschen Aufrüstungsprogramm, das Heer, Marine und Luftwaffe sowie den Aufbau einer vierten Teilstreitkraft für den Cyberkrieg umfasst. Ein wichtiger Posten für die drei erstgenannten Teilstreitkräfte ist der Kauf neuer Munition für 20 Milliarden Euro. Zwölf bis 14 Milliarden davon erhält Rheinmetall, verteilt über zehn Jahre (FAZ, 15.3.2024).

Die 100 Milliarden Euro Sonderschulden sind fast zu 100 Prozent verplant. Das Heer als größte Teilstreitkraft erhält aus den Sonderschulden 50 neue »Puma«-Schützenpanzer und 123 neue »Boxer«-Radpanzer mit der »Puma«-Kanone, die bis 2030 von Rheinmetall in Australien für die Bundeswehr gefertigt werden. Über einen längeren Zeitraum verteilt soll das Heer zudem 123 »Leopard 2 A8«, das neueste Kampfpanzermodell, erhalten (Businessinsider.de, 11.5.2023). In diesem Jahr sollen noch 900 Transportpanzer bestellt werden. Im Dezember hat der Bundestag 500 Luftabwehrraketen des Typs »Patriot« bestellt, im März kamen vier »Patriot«-Systeme hinzu, Pistorius will zudem noch in diesem Jahr vier weitere »Patriots« beschaffen (FAZ, 31.5.2024). Das summiert sich zusammen auf fast 18 Milliarden Euro.

Kleine Fische, gemessen am Kampfpanzerprojekt »Main Ground Combat System« (MGCS). Dieses Vorhaben beruht auf einer Regierungsvereinbarung von Angela Merkel und Emmanuel Macron aus dem Jahr 2017. Die neue Kampfpanzergeneration MGCS soll die »Leopard 2« der Bundeswehr sowie die »Leclerc«-Panzer in der französischen Armee ablösen und Mitte der 2040er Jahre ausgeliefert werden. Ziel ist es, »ein Hightechsystem zu entwickeln, bei dem Robotik und Waffen wie Hochgeschwindigkeitsraketen eine entscheidende Rolle spielen« (NDR Info, 2.11.2019). Das MGCS soll eine »rollende Gefechtszentrale für weitere autonom gesteuerte Fahrzeuge sein« (FAZ, 12.7.2023.) und so zu einem militärischen »Gamechanger« werden. Das heißt so viel wie: Mit MGCS soll jede Panzerschlacht gewonnen werden. Es ist ein deutsch-französisches Projekt, aus dem die USA und ihre Firmen herausgehalten werden (FAZ, 31.10.2019). Der Bau von MGCS hat für Kanzler Scholz »oberste Priorität«.⁵

Die Marine soll 19 Milliarden aus den Sonderschulden erhalten. Schon jetzt ist die deutsche Marine die größte aller NATO-Anrainer der Ostsee. Die dortige NATO-Überlegenheit gegenüber der russischen Marine ist gigantisch. Bei hochseegängigen Kriegsschiffen und U-Booten in der Ostsee kommen auf 49 Einheiten der NATO-Anrainer nur neun russische.⁶ Bei allen anderen Militärschiffen in der Ostsee beträgt das Kräfteverhältnis aktuell insgesamt 7,5 zu eins zugunsten der NATO.

Eine Auswertung der aktuellen Planung »Marine 2035 plus« ergibt eine Steigerung der Zahl der Überwasserkampfschiffe auf das Dreifache: von 14 auf 42 (FAZ, 29.3.2023) und die der U-Boote auf das Zweieinhalbfache von sechs auf bis zu 15. Die einzelnen Kriegsschiffe werden immer größer, teurer, kampfstärker und können von See aus Land beschießen.

Gigantische Luftwaffe

Der größte Brocken aus den Sonderschulden soll an die Luftwaffe gehen. Die FAZ schreibt der Luftwaffe 41 Milliarden Euro zu. Knapp acht Milliarden davon fließen in 60 schwere Transporthubschrauber. Bisher fünf Milliarden sind für das neue Luftverteidigungssystem ESSI vorgesehen. Alles in allem soll bis Ende des Jahrzehnts etwa die Hälfte der Luftwaffe erneuert werden. Das bedeutet 118 »Eurofighter« und »Tornados« sollen durch 128 neue Kampfflugzeuge »ersetzt« werden (FAZ, 14.10.2023). Scholz – und das ist ganz neu – will zusätzlich noch 20 »Eurofighter« für vier Milliarden Euro bestellen. (FAZ, 10.6.2024)

Altersschwache »Tornados« dienen derzeit noch im Rahmen der sogenannten nuklearen Teilhabe der NATO dazu, in Büchel gelagerte US-Atombomben in Richtung Russland tragen zu können. Als »Tornado«-Ersatz wurde grünes Licht für 35 Tarnkappenbomber des Typs F-35 gegeben, die 2027 bis 2031 ausgeliefert werden und 2029 die erste Einsatzfähigkeit erreichen sollen. Mit elf Milliarden Euro ist das bisher der größte Einzelposten der Luftwaffe (FAZ, 10.3.2024). Wenig beachtet wurde bisher, dass die Bundesregierung 2022 für die F-35 auch 75 Marschflugkörper mit einer Reichweite von 1.000 Kilometer in den USA bestellt hat. Sie können – von NATO-Gebiet aus abgesetzt – Moskau erreichen. Erwogen wird, weitere acht F-35 zu kaufen.⁷

Die in Büchel gelagerten 15 atomaren US-Freifallbomben sollen schon ab diesem Jahr durch wesentlich präziser steuerbare Nachfolgemodelle des Typs B61-12 ersetzt werden. 15 »Eurofighter« werden als Begleitflugzeuge für die US-Atombomber zur Ausschaltung der russischen Flugabwehr angeschafft. Sie werden ab 2029 erwartet.

Die Fähigkeit, weit im Hinterland Russlands angreifen zu können, wird als Deep-Strike-Fähigkeit bezeichnet und leitet sich aus der Nationalen Sicherheitsstrategie der Bundesregierung ab. Dort heißt es, dass die Bundesregierung die Entwicklung und Einführung von sogenannten abstandsfähigen Präzisionswaffen fördern wolle.⁸ In diesem Zusammenhang wird die Aussage des stellvertretenden Luftwaffeninspekteurs Lutz Kohlhaus von Anfang des Jahres bedeutsam, die NATO sei nicht in der Lage, in einem potentiellen Krieg ihren Luftraum umfassend zu schützen: »Die Allianz müsse sich deshalb in die Lage versetzen, das Luftkriegspotential eines Gegners schon auf dessen Territorium zerschlagen zu können.«⁹ Scholz und Macron vereinbarten Ende Mai die gemeinsame Entwicklung von Lenkraketen mit Reichweiten über 500 Kilometer. Mit Großbritannien verfolgt Scholz eine ähnliche Kooperation (FAZ, 29.5.2024).

Von den 600 »Taurus«-Marschflugkörpern sind lediglich 300 zur Zeit einsatzbereit. Die anderen sollen einsatzbereit gemacht und modernisiert werden. Die Aufträge sind aber noch nicht erteilt. Darüber hinaus hat nach Aussagen des neuen Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses Marcus Faber (FDP) vom Februar Deutschland der NATO gegenüber zugesagt, »mehr als 1.000 ›Taurus‹-Marschflugkörper vorzuhalten« (Tagesschau.de, 12.4.2024). Die FAZ zitiert den »Rüstungsfachmann Fabian Hoffmann« von der Universität Oslo: »Für den ›Taurus‹ schätzt er die Reichweite (…) auf 700 bis 800 Kilometer« (FAZ, 14.3.2024).

Die in der Entwicklung befindlichen »Eurodrohnen«, von denen die Bundeswehr ab 2030 21 Stück in Jagel stationieren will, werden sich von 3,5 auf 4,8 Milliarden Euro verteuern (FAZ, 16.5.2024). Die »Eurodrohnen« sind sowohl Spionage- als auch Kampfdrohnen und werden in Bundeswehrkreisen als »europäische Superdrohne« und als ein »echter Gamechanger« für die Luftwaffe gepriesen. Sie sind als Bestandteil des deutsch-französischen Jahrhundertprojekts FCAS vorgesehen, dem sich auch Spanien angeschlossen hat.

Die Entwicklung des Kampfflugzeugsystems der Zukunft FCAS, »Future Combat Air System«, hat begonnen. In den Jahren 2040 bis 2080 soll dieses KI-unterstützte Luftwaffensystem mit Kampfflugzeugen und Kampfdrohnen im Verbund mit Heeres- und Marineverbänden für weltweite Luftüberlegenheit sorgen. Weil für FCAS nur europäische Bauteile verwendet werden, ist es ein rein europäisches Projekt unter deutsch-französischer Führung: der erste Schritt zu einer eigenständigen Militärmacht EU. Es wird einzigartig teuer. Greenpeace¹⁰ errechnete Gesamtkosten von astronomischen 1.100 bis 2.000 Milliarden Euro. Noch kann man aussteigen: Geschieht es bis Ende des Jahrzehnts, hätte Deutschland nur fünf Milliarden Euro in den Sand gesetzt. Für Scholz hat die Umsetzung von FCAS allerdings »oberste Priorität«.¹¹

Zwei Prozent: die Untergrenze

Diese Auflistung ist bei weitem nicht vollständig. Sie führt nur Projekte auf, die besonders teuer sind und ermöglichen sollen, Deutschland in eine europäische Führungsrolle zu bringen, sei es kurz- und mittelfristig in der NATO oder langfristig in einer autonomen EU. Projekte, für deren Finanzierung die NATO wegweisend auf ihrem Gipfel in Vilnius im Juli letzten Jahres den passenden Beschluss gefasst hat: »Wir verpflichten uns dazu, jährlich mindestens zwei Prozent des BIP für die Verteidigung auszugeben, (um) die neuen NATO-Verteidigungspläne und das Streitkräftemodell mit Ressourcen auszustatten.«¹² Zu beachten ist an dieser Festlegung zweierlei: Beschlossen wurde dies ohne zeitliche Begrenzung und der Beschluss beinhaltet das Adverb »mindestens« – mindestens zwei Prozent.

Für dieses Jahr gab die NATO am 17. Juni die von der Bundesregierung angegebene Schätzung heraus: 90,6 Milliarden Euro. Das entspreche 2,12 Prozent des erwarteten BIP.¹³ Und es bedeutet ein Plus von 23 Milliarden Euro gegenüber dem vergangenen Jahr. Inflationsbereinigt ist das ein Anstieg um 29,4 Prozent und das 2,6fache gegenüber 2014.

Die 90,6 Milliarden Euro setzen sich zusammen aus knapp 52 Milliarden Euro des »Einzelplans 14«, also dem Verteidigungshaushalt, knapp 19 Milliarden Euro hat die Regierung als verteidigungsrelevant in anderen Ressorts gefunden, ohne darüber näher Auskunft zu geben. Das heißt, insgesamt 70,8 Milliarden Euro kommen aus dem Bundeshaushalt, 19,8 Milliarden werden dem sogenannten Sondervermögen entnommen. Scholz hat deutlich gemacht, dass die »mindestens zwei Prozent« auch ausgegeben werden sollen, wenn der Topf mit den 100 Milliarden Euro leer ist. Das wird spätestens Ende 2027 der Fall sein.

Im Bundestag sagte er: »Wir garantieren der Bundeswehr zwei Prozent NATO-Quote auch 2028, 2029 und 2030, in den ganzen 30er Jahren.«¹⁴ Das bedeutet, spätestens ab 2028 werden sämtliche Militärausgaben direkt aus dem Bundeshaushalt bezahlt werden müssen. Das bestätigte Scholz im Bundestag: »Und ja, schon jetzt, schon heute, ist klar, dass wir allerspätestens ab 2028 zusätzliche 25 Milliarden, vielleicht auch fast 30 Milliarden Euro für die Bundeswehr aus dem Bundeshaushalt direkt finanzieren müssen.«¹⁵ Das hat zur Folge, dass bereits im Haushalt 2028 die erhöhten Bundeswehr-Ausgaben von etwa 95 Euro Milliarden stehen. Wie das genau aussieht, soll sich am 3. Juli zeigen, wenn das Kabinett die mittelfristige Finanzplanung 2025 bis 2028 verabschiedet. Konkret wird sich zeigen, wie sich diese Mehrausgaben in Höhe von fast 25 Milliarden im Vergleich zu diesem Jahr in anderen Ressorts niederschlagen.

Wer zahlt die Zeche?

Pistorius weitete im Februar schon mal den Horizont für weitere Ausgabensteigerungen. Er sagte, »es könnte sein, dass wir drei oder 3,5 Prozent erreichen. Das hängt davon ab, was in der Welt passiert« (Tagesschau.de, 18.2.2024). Was würde das finanziell bedeuten? Auf der Basis des BIP-Wertes von diesem Jahr würde das statt 71, horrende 125 bzw. 150 Milliarden Euro für die Bundeswehr pro Jahr ergeben. Also etwa 55 bzw. 80 Milliarden Euro mehr als zur Zeit. Wenn keine neuen Schulden dafür aufgenommen werden würden, müsste das zusätzliche Geld aus dem Haushalt kommen. Woher nehmen? Schauen wir uns den »Worst Case« an. Das wäre die Entnahme aus dem Etat des Arbeitsministeriums. Er umfasst 175 Milliarden Euro. Nach heutigen Maßstäben würde das bedeuten, dass bis zur Hälfte der Sozialausgaben gekürzt werden müssten. Die Folge: Halbierung des Bürgergeldes, Halbierung der Grundsicherung, Halbierung der Arbeitsförderung und auch der Rentenzuschüsse aus dem Bundeshaushalt. Letzteres hieße Kürzung der Renten um bis zu 20 Prozent.

Von Lühr Henken
Lühr Henken ist Kosprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag, Herausgeber der »Kasseler Schriften zur Friedenspolitik« und wirkt bei der Berliner Friedenskoordination mit.

Quelle: ethecon

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