27. Dezember 2024

Grauer Wolf im Schafspelz?!

„Wir sind alle Türken, ich bin sehr stolz darauf, Türke zu sein und das ist der Sinn dieser Geste“, rechtfertigte sich der türkische Nationalspieler Merih Demiral bekanntlich für seinen faschistischen Wolfsgruß nach seinem zweiten Tor im EM-Achtelfinale. Allerdings, um es mit Nick Brauns zu sagen, steht der faschistische Gruß der „Ülkücü“-Bewegung (besser bekannt unter „Graue Wölfe“) mitnichten für „alle Türken“, sondern ist vielmehr eine Drohung gegenüber denjenigen, die als „untürkisch“ gelten. So fielen Tausende Sozialisten, Aleviten und Kurden dem Terror der Faschisten zum Opfer. Und gerade auch der 2. Juli, an dem er seine rechtsextreme Geste ausgiebig zelebriert, steht quer durch diese ‚andere‘ Türkei und darüber hinaus im Gedenken an eines der Pogrome: Das von einem islamistisch-faschistisch aufgepeitschten Lynchmob, unter Drahtzieherschaft rechtsextremer Kreise, verübte Sivas-Massaker an den Alevit:innen 1993. Daher denn auch einige grundsätzliche Worte zur Symbolik des Wolfsgruß sowie Bewegung und Weltanschauung der „Grauen Wölfe“.

Die Selbstbezeichnung als „Graue Wölfe“ (Bozkurtlar oder Bozkurtçular) entstammt im Turanismus (der völkischer Weltanschauung Bozkurtlar) dabei der alten Sage, ein grauer Wolf (Bozkurt) hätte den türkischen Kriegern einst im achten Jahrhundert den Weg nach Kleinasien in das heutige Gebiet der Türkei gewiesen und soll die Stärke und Aggressivität der Bewegung ausdrücken.

Der Wolfsgruß wiederum symbolisiert nach ihrem Gründer Alparslan Türkeş (dem zugleich wichtigsten Kollaborateur des Nazi-Faschismus in der Türkei) und späteren stellvertretenden Ministerpräsidenten im Blutrausch der 1970er Jahre das Folgende: „Schau her, der kleine Finger symbolisiert den Türken, der Zeigefinger den Islam. Der beim Wolfsgruß entstehende Ring symbolisiert die Welt. Der Punkt, an dem sich die restlichen drei Finger verbinden ist ein Stempel. Das bedeutet: Wir werden den Türkisch-Islamischen Stempel der Welt aufdrücken.“

Mit Unterstützung der Nazis – allem voran unterstützt vom deutschen Botschafter in Ankara, Franz von Papen – wurde in den 1930er und 1940er Jahren die auch ideologisch stark vom NS-Gedankengut beeinflusste völkisch-rassistische Weltanschauung der „Grauen Wölfe“, der Turanismus (von großtürkisches Reich „Turan“) und dessen Propagierung eines „ethnischen Nationalismus“ sowie der „Überlegenheit“ der „türkischen Rasse“ dann  immer wirkmächtiger.

Der Graue Wolf und einer der Chefideologen des Panturkismus Reha Oğuz Türkkan (1920 – 2010) schrieb in seinem Buch „Zum Türkentum“ (Türkçülüğe Doğru) denn auch:

Der Turanismus „ist rassistischer Nationalismus. Die Reinheit des Blutes der türkischen Nation muss geschützt werden. Die nicht zur türkischen Rasse zugehörigen Völker und Minderheiten müssen vertrieben werden.“

Konkret gemeint damit waren und sind vor allem: Kurd:innen, Armenier:innen, Juden und Jüdinnen – sowie geschichtlich auch die Griech:innen. Zu den weiteren auserkorenen Feinden im Turanismus zählen zudem Kommunist:innen und Homosexuelle.

Im 1939 veröffentlichten „Glaubensbekenntnis des Grauen Wolfs“ wird die „Überlegenheit“ der „türkischen Rasse“ und „Nation“ auf Boden eines vorbeglichen „türkischen Blutes“ imaginiert und der Krieg um „Turan“ als „großes und geheiligtes Naturgesetz“ gerechtfertigt. Die Gemeinsamkeiten der türkischen Variante der „Herrenmenschen-“Ideologie mit seinem faschistischen NS-Pendant bzw. weltanschaulichen Inspirationen durch dessen Einfluss sind augenfällig.

In diesen Jahren trat auch zum ersten Mal auch der Name Alparslan Türkeş (1917 – 1997) – besagter spätere Gründer der MHP (die seit knapp einem Jahrzehnt als Juniorpartner gemeinsam mit der AKP die Regierung in Ankara stellt) – in der Öffentlichkeit auf. Der theoretische Kopf der führenden Turanisten um Türkeş, Nihâl Atsız (1905 – 1975), äußerte gegen Ende des Zweiten Weltkriegs (in einem hier im Einzelnen um die Alibifunktion der Anklage gegenüber den Alliierten nicht weiter interessierenden Zusammenhang) schließlich in aller Offenheit:

„Ich betrachte es als eine Ehre, wegen Turanismus und Rassismus verurteilt zu werden. Die Verwaltung des Staates durch Menschen türkischer Rasse ist lebensnotwendig. Die in der Türkei lebenden Nicht-Türken mit türkischer Staatsangehörigkeit – Tscherkessen, Bosnier, Lasen, Albaner, Kurden usw. – soll man in die Länder schicken wo sie hingehören.“

„Türkismus ist Nationalismus. Rassismus und Turanismus gehören dazu. Entweder wird das Land sich auf diesen beiden Termini erheben oder untergehen“, so Atsız weiter.

Dass Atsız sich aufgrund seiner strikten Ablehnung des Islam, den er im Alter überhaupt „sumerische Märchen“ nannte, mit seinen alternativen Rückgriffen auf den Tengrismus und dessen schamanisches Gedankengut wirkungsgeschichtlich dann mehr und mehr isolierte und marginalisierte, während das Gros der Turanisten aus zunächst taktischen Gründen verstärkt den Islam in ihre Propaganda einbezog, tut diesbezüglich nichts zur Sache. Enthält aber bereits einen Vorblick auf die weitere wie spätere und nicht zuletzt jüngste Entwicklung.

Die politische Zentralfigur stellte allerdings der später auch offiziell zum „Başbuğ“ („Führer“) avancierte glühende Hitler-Verehrer Türkeş dar. Die deutsche SS meldete dem Auswärtigen Amt schon im Zweiten Weltkrieg „gute Verbindungen“ zum „Führer der pantürkischen Bewegung“, Alparslan Türkeş, der „auf weite Sicht für Deutschland wirksam werden (könne)“. Das Geheimdokument der Nazis empfiehlt denn folglich auch, die „Beziehungen in den pantürkischen und deutschfreundlich gesinnten Gruppen auszubauen und zu pflegen“.

Neben dem unbedingtem Gehorsam gegenüber seinen „Führer-Befehlen“ und Herausstellung seiner Person – Gefolgsleute etwa die ihre Ansprache nicht mit „Mein Führer“ begannen, hat er geohrfeigt –, gab er seinen Anhängern unter anderem die Anweisung, „jeden zu erschießen, der vom Weg abweicht“.

In den von Necdet Sevinç, einem bekannten späteren Chefideologen der Grauen Wölfe, verfassten Buch „Notizen an einen Idealisten“ (Ülkücüye Notlar) von 1974 heißt es dann auch: „In der Organisation gibt es keine Demokratie. Es gibt absolute zentrale Autorität und absolute Gehorsamkeit gegenüber der Autorität. Was der Führer sagt und will, wird gemacht!“

Die Mission der 1969 gegründeten MHP – die das Land lange Zeit mit ihren paramilitärischen Todesschwadronen überzog – besteht seit ihrer Gründung nicht zuletzt bzw. vor allem im rabiaten Kampf gegen die türkische und kurdische Linke sowie eine Anerkennung der KurdInnen und AlevitInnen.

Auf Boden dieser Gesinnung gelang es den „Grauen Wölfen“ einen bluttriefenden Terror zu entfachen und in den von ihnen unterhaltenen Kommandolager zur Kampfausbildung, paramilitärischen Schulung und zum Drill zigtausende Jugendliche als faschistische Stoßtrupps, zu Spezialkriegseinsätzen und als Kampfreserve heranzubilden.

Von den Wahlergebnissen parallel ernüchtert, musste Türkeş gleichzeitig schon frühzeitig erkennen, dass seine Partei der nationalistischen Bewegung kurz- und mittelfristig keine Chance hatte, auf legalem parlamentarischen Wege die Macht zu ergreifen. Daraufhin verkündete er schon früh im halboffiziellen MHP-Organ „Devlet“ (der Staat) offen seine berüchtigte „Drei-Stufen-Strategie“: Eroberung der Straßen, Eroberung des Staates und Eroberung des Parlaments – für die er auf Terror und paramilitärische Gewalt sowie die Infiltration des Staates setzte.

Was wiederum die turanistischen Ambitionen anbelangt, ist es abermals nützlich Necdet Sevinç heranzuziehen:

„Eine Nation, die nicht große werden will, ist zum Kleinwerden und zum Aussterben verurteilt.“

„…unsere Bewegung fordert die Rückgabe unserer besetzten [!] Territorien. Und … sie weiß, dass dies nicht freiwillig geschehen wird.“

„Der Krieg“ ist denn für ihn auch „die einzige Bedingung des Lebens und der Weiterführung der nationalen Existenz.“

Der Einfluss der Losung des Friedens dagegen muss beseitigt werden. Diese „(prägt) nur Trägheit, Jämmerlichkeit, Feigheit und Schlaftrunkenheit“. „Diese Losung muss [daher] unseren Ideen entsprechend umgewandelt werden. Man könnte z.B. sagen: Wo es immer auf der Welt einen Türken gibt, dort fangen unsere natürlichen Grenzen an.“

In den Fokus der internationalen Berichterstattung rückten die Grauen Wölfe in der Vergangenheit dann spätestens durch ihre Terrorakte und Morde außerhalb der Türkei. Insbesondere durch das Attentat auf Papst Johannes Paul II. durch das Graue-Wölfe-Mitglied Ali Ağca, der auf dem Petersplatz in Rom 1981 mehrmals auf diesen schoss und den Papst dabei schwer verletzte.

Anfang der 1990er Jahre kam es dann zu einer gewissen, grundsätzlicheren „Versöhnung“ von Türkeş mit dem Staat, da es die Situation aus beiderlei Sicht erforderte, den Spezialkrieg gegen den kurdischen Freiheitskampf der PKK zu eskalieren. Obwohl die MHP seinerzeit (noch) nicht an der Regierung beteiligt war, bildete sie in diesen Zusammenhang eine starke organisierte Kraft innerhalb des Staats- und Militärapparats sowie in den Spezialeinheiten.

Mit der Auflösung der Sowjetunion und vor dem Hintergrund des seitens Ankaras eskalierten Krieges gegen die kurdische Befreiungsbewegung in den 1990 Jahren erlebte dann nicht nur Panturkismus und Turanismus eine Renaissance, sondern wurden zugleich auch die aggressivsten Ausprägungen des türkischen Nationalismus regelrecht neu befeuert.

Entsprechend der Allianz mit der MHP, die Erdogan 2015 mit seiner Kaskade erneuter schmutziger Kriegen gegen Kurdistan ins Boot holte, tritt in der heutigen Politik Ankaras denn neben dem stärker sakral begründeten Neo-Osmanismus auch immer stärker ein völkisch konnotierter und turanistisch gespeister Panturanismus hinzu und –  genau genommen –  bisweilen sogar in den Vordergrund.

„In der Türkei“, so abschließend nochmals Nick Brauns Kommentar in der jw aufgreifend, „wo die MHP als Mutterpartei der ‚Grauen Wölfe‘ Teil der Regierungsallianz ist, gehört der ‚Wolfsgruß´ längst zur Leitkultur. Er hat damit eine ähnliche Karriere aus der Schmuddelecke in die Mitte der Gesellschaft hingelegt, wie der heute in der Ukraine allgegenwärtige einstige Nazigruß ‚Slawa Ukrajini‘. Doch wenn faschistische Symbolik hegemonial wird, ist das kein Zeichen ihrer Harmlosigkeit, sondern der zunehmenden Faschisierung einer Gesellschaft.“

Quelle: KOMintern

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