Keine »blaue Welle«
Wer ernsthaft gehofft hatte, das Capitol in Washington würde am Dienstag von einer »blauen Welle« überflutet, mußte nach Bekanntgabe der Ergebnisse zu den Kongreßwahlen eine herbe Enttäuschung hinnehmen. Obwohl die unter der Farbe Blau angetretenen Kandidatinnen und Kandidaten der Demokratischen Partei einige Erfolge erzielen konnten und nach acht Jahren wieder eine Mehrheit im Repräsentantenhaus stellen, ist keine wirkliche Änderung des politischen Kräfteverhältnisses in der Hauptstadt des Imperiums zu erkennen.
Zwar ist eine Mehrheit im Unterhaus des Kongresses in der Lage, mehr Positionen in den Ausschüssen einzunehmen, Gesetzesvorhaben der Trump-Administration zu blockieren, möglicherweise auch ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten anzustrengen, doch die Chancen auf Erfolg sind ziemlich begrenzt. Immerhin ist es dem Präsidenten und seinen Anhänger gelungen, im Senat, dem Oberhaus des Kongresses, die Mehrheit zu behalten und damit ein wichtiges politisches Instrument nicht aus der Hand zu geben.
Tatsächliche Änderungen der Politik der USA sind also – leider – nicht zu erwarten. Dementsprechend fielen die Jubelrufe des Twitter-Präsidenten aus, der einen »großartigen Erfolg« feierte. Und auch unter den Spekulanten an der Wall Street und in Bankfurt machte sich Erleichterung breit, wie Agenturen am Mittwoch vermeldeten. Nun wird also alles so weiterlaufen wie bisher, Krisenpläne können in den Schubladen bleiben.
Bei allen Erfolgen der Trump-Gegner ist jetzt wieder Nüchternheit angebracht. Zumal allein die Mobilisierung der Wahlberechtigten für ein Anti-Trump-Votum nicht viel gebracht hat. Man hatte mit einem starken Anstieg bei der Wahlbeteiligung gerechnet, aber auch der blieb übersichtlich. Statt 83 Millionen vor vier Jahren gingen diesmal 113 Millionen Menschen in die Wahllokale, damit stieg die Beteiligung von 37 auf lediglich knapp 48 Prozent. Mehr als die Hälfte derjenigen, die im »Land der Freien« ihre politischen Anführer auswählen dürfen, machten von diesem Recht keinen Gebrauch – einige von ihnen wurden allerdings auch daran gehindert, wie zum Beispiel viele Menschen im Bundesstaat Georgia, deren Namen nicht »weiß« genug klangen.
Optimisten feiern die Tatsache, daß auf 96 der insgesamt 435 Sitze im Unterhaus künftig Frauen Platz nehmen dürfen, ganze elf mehr als in den vier Jahren zuvor, daß je zwei von ihnen Muslima und Indigene sind, und daß mit der 29-jährigen Sozialistin Alexandra Ocasio-Cortez die bisher jüngste Abgeordnete im Hause sitzen wird. Das klingt toll – wenn man nicht weiß, daß zum Beispiel im Parlament Kubas mehr als 53 Prozent Frauen sind, immerhin 322 von 605 Abgeordneten. Und daß wiederum mehr als 13 Prozent der weiblichen Abgeordneten zwischen 19 und 35 Jahre alt sind, die jüngste Mandatsträgerin also zarte 19 Lenze zählt. Aber was wissen diese Kubaner schon von Demokratie?
À propos. Sicher sollte man auch berücksichtigen, daß bei Weitem nicht alle, die sich in den USA »Demokraten« nennen, auch wirklich Demokraten sind, nicht einmal nach bürgerlich-demokratischen Maßstäben. Erinnert sei nur daran, daß zum Beispiel die Forderung an die NATO-Partner nach zwei Prozent des BIP für Militärausgaben, oder auch der Beschluß zur Modernisierung des Atomwaffen-Arsenals aus der Zeit von Präsident Obama stammen. Der ist eben auch »Demokrat«. Warten wir also ab, wie viel Gegenwind Herrn Trump in Zukunft tatsächlich in die blonde Mähne blasen wird.
Quelle: Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek / RedGlobe