Trennungsschmerz
Weder die Spitzen der Europäischen Union, noch die allmählich kleiner werdende Gruppe der Brexit-Befürworter in der britischen Regierung sahen einen Grund zum Feiern, nachdem am Wochenende der Vertrag über die Loslösung des Vereinigten Königreiches von der EU durch die Staats- und Regierungschefs gebilligt worden war.
Zwar konnte man in diesem fast 600 Seiten umfassenden Vertragswerk endlich Formulierungen finden, gegen die weder die EU-Kommission noch die May-Regierung Einwände haben, aber damit sind die Probleme längst nicht geklärt, die seit dem Brexit-Referendum nach und nach offenbar wurden.
Das liegt zunächst daran, daß die damalige britische Regierung so sehr davon überzeugt war, daß sich eine Mehrheit der britischen Bevölkerung für den Verbleib in der EU entscheiden würde, daß sie weder über die Konsequenzen eines tatsächlichen Brexit, noch über einen »Plan B« nachgedacht hatte. Der damalige Premierminister, dessen Name schon längst in Vergessenheit geraten ist, wollte eigentlich die Volksabstimmung dafür nutzen, sich gegenüber der EU-Kommission und den EU-»Partnern« eine stärkere Position beim Aushandeln von weiteren Sonderrechten zu verschaffen. Vom mehrheitlichen YES zum Brexit waren dann alle politisch Verantwortlichen derart überrascht, daß es in London zu einer regelrechten Erschütterung der Regierung einschließlich der Auswechselung mehrerer Minister kam.
Die jetzige Premierministerin, die zuvor als Innenministerin auf dem Wege war, sich den Status einer »Eisernen Lady« wie einst Margaret Thatcher zu verschaffen, war und ist sichtlich überfordert mit den Konsequenzen des Austrittsbeschlusses. Sie muß im Parlament immer wieder mit schwankenden Mehrheiten zurechtkommen, und gleichzeitig nach außen Positionen verteidigen, von denen sie selbst nicht immer wirklich überzeugt zu sein scheint. Hinzu kommt, daß das britische Industrie- und Finanzkapital bezüglich des Brexit gespalten ist, und seit einiger Zeit die Seite, die im Brexit eher Nachteile für künftige Profite entdeckt, immer mehr die Oberhand gewinnt.
So kommt es zu immer neuen Demonstrationen gegen den Brexit, deren Teilnehmer jedoch zum größten Teil als Angehörige der Mittelklasse erkennbar sind. Es ist nicht wirklich nachweisbar, wer die Kundgebungen finanziert, und Gerüchte über Geldspritzen für Brexit-Gegner aus Richtung Brüssel konnten bisher weder bestätigt noch glaubhaft widerlegt werden.
Probleme, die ein Brexit tatsächlich mit sich bringt, werden in den Medien aufgebauscht, und einige mutmaßliche Probleme existieren nicht wirklich. Dennoch verfehlen Diskussionen darüber ihre Wirkung bei der Beeinflussung der öffentlichen Meinung nicht, und Umfragen zeigen bereits eine Mehrheit der Brexit-Gegner, sollte es zu einem zweiten Referendum kommen – auf das sowohl die EU-Kommission als auch maßgebliche Kreise des britischen Establishment offen hinarbeiten. Zumal es nicht danach aussieht, als würde man lösbare Probleme auch wirklich lösen wollen – wie zum Beispiel die ermüdenden Debatten über die Grenze zwischen Irland und dem britisch besetzten Nordirland zeigen.
Auch ein paar Krokodilstränen durften am Sonntag in Brüssel nicht fehlen, wie die vom luxemburgischen Regierungschef Bettel, der den bevorstehenden Verlust eines »guten Partners« beklagte, wenn es darum geht, »die Interessen der Finanzzentren innerhalb der EU« zu verteidigen. Womit wieder einmal deutlich gemacht wurde, wessen Interessen in dieser EU wirklich etwas zählen.
Uli Brockmeyer
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