Aufgeben ist für Feiglinge
Ein Kämpferherz hat aufgehört zu schlagen. Reinhard Neubauer, Genosse der Göttinger Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), ist am vergangenen Dienstag im Alter von 77 Jahren verstorben.
Reinhard war immer da: Auf der Straße, hinter dem Infostand, bei Veranstaltungen. Er kam aus einer kommunistischen Familie, Klassenkampf und Widerstand lernte er früh. Viele Jahre war er für die DKP und später die „Linke Liste“ Göttingen im Rat der Stadt, die meiste Zeit davon als Einzelkämpfer ohne Fraktion. Daneben in vielen Funktionen in seiner Partei, der Gewerkschaft, Friedensbewegung und im antifaschistischen Kampf. Nicht zuletzt war er Vertreter der Mieter in seinem Wohnviertel Holtensener Berg.
Als ein antifaschistisches Bündnis gegen das damalige Neonazi-Zentrum von Thorsten Heise in Northeim zur Demo mobilisierte, verteilte er für die VVN Flugblätter in die Briefkästen. Aus Sicherheitsgründen sollten alle zu zweit gehen. Da die Anzahl der Verteiler aber ungerade war, marschierte Reinhard allein los, mit dem Hinweis an die jungen Mitkämpfer: „Bei Bedarf habe ich ja auch noch zwei gesunde Fäuste“.
Gemeinsame Aktivität und Auseinandersetzung mit jüngeren Genossen war ihm immer besonders wichtig. Mit jungen Genossen fühlte er sich wohl. Viele Linke in Göttingen haben Reinhard als Jugendliche erlebt, er hat sie beeindruckt, er stand für die DKP mit Namen und Gesicht. Es gibt einen Bericht über die – an sich fürchterliche – Nacht vom 2. auf den 3. Oktober 1990, als die DDR formell beseitigt wurde. In einer Göttinger Kneipe sitzt eine Runde von Genossen und leckt sich die offenen Wunden. Um Mitternacht wird trotzig die Internationale angestimmt, Reinhard schmettert mit Inbrunst vorneweg: Niemals aufgeben; Aufgeben ist für Feiglinge.
Mit Reinhard konnte man streiten, immer ernsthaft und respektvoll setzte er sich auch mit Kritik von links an „seiner“ DKP und „seiner“ DDR auseinander. Reinhard hätte sich nie als Theoretiker bezeichnet, aber nur seine unermüdliche Aktionsaktivität zu sehen, das wäre verkürzt. Als andere noch naiv von dritten und anderen Wegen schwadronierten, brachte er es Anfang 1990 ökonomisch auf den Punkt: „Das Gebiet der DDR wird ein Dienstleistungs- und Bankenland, die Industrie wird vernichtet werden.“ Als in der Göttinger VVN versucht wurde, die Solidarität mit der staatlich verfolgten Autonomen Antifa (M) zu verweigern, erklärte er mit Dimitroff das Wesen des Faschismus als die aggressivste Form der Diktatur des Finanzkapitals. Reinhard kämpfte um die Herzen und Köpfe der Menschen, die ihm begegneten.
Reinhard versuchte immer auf dem Stand der Zeit zu sein, lange vor vielen jüngeren Genossen hatte er Internetzugang, durchdrang das neue Medium und setzte es bis zuletzt in der politischen Arbeit ein. Auch der Tiefschlag 1989 war kein Grund, aufzugeben; unverzüglich nahm Reinhard Kontakt in die (Göttinger Partnerstadt) Wittenberg zur dortigen SED-PDS auf und ermunterte sie, weiterzumachen.
Reinhard war immer da. Er stand mit Gesicht, Herz und Überzeugung für die DKP und die Sache der Arbeiter. Man konnte nicht anders, als mindestens Respekt für ihn zu empfinden. Dies bestätigte ihm auch der politische Gegner, im Stadtrat und anderswo. Reinhard wäre dankbar, wenn wir ihn in guter Erinnerung behalten. Aber in seiner Bescheidenheit wäre ihm wichtiger, dass der Kampf fortgeführt wird: Wacht auf, Verdammte dieser Erde!
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