19. Dezember 2024

Keine Chance auf Gerechtigkeit: Neues Gutachten zeigt, wie die türkische Justiz Strafverfahren für politische Verfolgung missbraucht

Übernommen von Presse­mitteilungen | PRO ASYL:

Das heute von PRO ASYL veröffentlichte Rechtsgutachten zur Lage der Justiz in der Türkei belegt, dass in der Türkei Strafverfahren genutzt werden, um unliebsames politisches Handeln zu bestrafen. Diese Realität muss das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge anerkennen und seine Entscheidungspraxis ändern. 

Strafverfahren mit politischem Bezug sind in der Türkei zu einer Farce verkommen. Willkürliche Verfahren und Haftstrafen sind an der Tagesordnung. Das heute veröffentlichte Gutachten bestätigt diese Realität, vor der viele Schutzsuchende aus der Türkei nach Deutschland fliehen“, erklärt Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von PRO ASYL. „Das Gutachten stellt eine wichtige Informationsquelle für Asylverfahren dar. Verfolgte des Regimes Erdoğans müssen geschützt werden!“

Das 140-seitige Gutachten „Zur Lage der Justiz in der Türkei. Rechtsunsicherheit in Strafverfahren mit politischem Bezug“ zeigt auf, dass Strafverfahren, die auf terrorismusbezogenen Vorwürfen basieren, regelmäßig rechtsstaatliche Kriterien unterlaufen. So sind zum einen relevante Straftatbestände nicht klar definiert. Zum anderen werden die vorhandenen weiten Definitionen regelmäßig unterlaufen, womit Verurteilungen und Strafmaß unvorhersehbar werden. Zudem stützen sich Anklagen und Verurteilungen häufig auf fragwürdige Beweise, etwa auf Aussagen „geheimer“ Zeug*innen, die von Anwält*innen nicht befragt werden können.

Umstrukturierungen und Neubesetzungen etwa von Gerichten haben die Unabhängigkeit der Strafjustiz erheblich beeinträchtigt, die richterliche Unabhängigkeit ist nicht mehr gewährleistet. Betroffene Personen haben damit keine Möglichkeit, sich effektiv zu verteidigen. Sie erwartet kein faires Verfahren.

Türkei weiterhin unter Hauptherkunftsländern von Asylsuchenden in Deutschland

Im ersten Halbjahr 2024 registrierte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) knapp 16.000 Erstanträge türkischer Staatsangehöriger in Deutschland. Damit liegt die Türkei auf Rang drei der Hauptherkunftsländer Asylsuchender in Deutschland. Eine aktuelle Abfrage von PRO ASYL beim BAMF bestätigt, dass es weiterhin vor allem Kurd*innen aus der Türkei sind, die einen Asylantrag in Deutschland stellen (11.911 Erstanträge). Bei deren Asylanträgen legt das BAMF seit Jahren eine besonders restriktive Entscheidungspraxis an den Tag. Im ersten Halbjahr 2024 sank die bereinigte Schutzquote von Kurd*innen aus der Türkei auf 4,5 Prozent (2023: 6 Prozent). Im Vergleich: Bei Angehörigen der türkischen Bevölkerungsgruppe liegt die bereinigte Schutzquote bei 57 Prozent (2023: 65 Prozent).

Besonders terrorismusbezogene Anschuldigungen werden in der Türkei genutzt, um aus Sicht der türkischen Regierung unliebsame Meinungen zu bekämpfen. Das neue Gutachten belegt, dass Kurd*innen dabei einem besonderen Risiko ausgesetzt sind, Opfer der türkischen Justiz zu werden. „Dass die Schutzquote gerade der kurdischen Gruppe weiterhin auf Talfahrt ist, ist angesichts des hohen Verfolgungsdrucks brisant. Die mehr als fragwürdige Entscheidungspraxis durch das Bundesamt kennen wir aus Bescheiden von Betroffenen, die sich an uns wenden. Vor dem Hintergrund der heute vorgelegten Erkenntnisse muss sich die Praxis endlich ändern“, führt Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von PRO ASYL, aus.

Umfängliche Analyse des türkischen Rechtsstaats

Im Auftrag von PRO ASYL führten zwei renommierte Rechtswissenschaftler*innen die Studie durch. Die Identität der Autor*innen wird aus Sicherheitsgründen nicht bekanntgegeben.

In der Studie analysieren sie den Zustand der türkischen Strafjustiz mit Blick auf deren Unabhängigkeit, Unparteilichkeit sowie die Wahrung von Verfahrensrechten, insbesondere in Bezug auf Verfahren mit Terrorismusvorwürfen. Grundlage hierfür sind Urteile sowohl türkischer Gerichte als auch des europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, Berichte des Europarats und der Europäischen Kommission und Interviews, die mit in der Türkei praktizierenden Anwält*innen geführt wurden. Die Studie bildet die Situation bis März 2024 ab.

Die Studie wurde von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe inhaltlich begleitet und finanziell unterstützt, ebenso unterstützte die deutsche Sektion von Amnesty International finanziell.

Weiterführende Informationen
Eine Zusammenfassung der zentralen Aussagen des Gutachtens finden Sie hier auf der Homepage von PRO ASYL.

In der das Gutachten begleitenden Broschüre „Aras und Berat – Verfolgt von der türkischen Strafjustiz“ werden die Einzelfälle von zwei Männern vorgestellt, die der willkürlichen Strafverfolgung zum Opfer gefallen sind und in Deutschland im Asylverfahren (zunächst) abgelehnt wurden.

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Quelle: Presse­mitteilungen | PRO ASYL

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