Lücken im »Bollwerk« gegen Rechts
Nachdem der amtierende Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker im Mai 2019 nicht noch einmal für einen der wichtigsten EU-Posten kandidieren wird, rechnet sich der ebenfalls Ende 2014 nach Brüssel gewechselte Erste Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans Chancen aus, Juncker zu beerben.
Nachdem es auf EU-Ebene jahrelang so etwas wie eine informelle Koalition der sozialdemokratischen mit der konservativen Parteienfamilie gab, hatte der deutsche Sozialdemokrat Martin Schulz bei der vorigen Wahl zum EU-Parlament erfolglos gegen Juncker kandidiert.
Vor seiner Wahl in Lissabon hatte Timmermans erklärt, er sei ein »europäischer Patriot«. Er liebe sein Land und »Europa«. Mit diesem Statement wollte er sich von den »linken und rechten Nationalisten« in der EU abgrenzen. »Diese wollen Europa zerstören«, sagte Timmermans. Den Konservativen warf er vor, daß sie »Europa einfrieren« wollten. Dagegen würden die Sozialdemokraten »Europa voranbringen« und »gerechter« machen. Ins Detail ging Timmermans wohlweislich nicht.
Nun also wird der Niederländer Timmermans gegen den deutschen Konservativen Manfred Weber (CSU) antreten. Dabei hoffen die Sozialdemokraten dem Vernehmen nach auf ein »Bündnis progressiver Kräfte« im nächsten EU-Parlament, dem außerdem die Grünen, die Liberalen und die »proeuropäischen Linken« angehören sollen.
Das klingt alles sehr optimistisch. Zumal die Sozialdemokraten in den EU-weiten Umfragen zuletzt lediglich bei rund 20 Prozent standen. Bei der Wahl 2014 hatten sie mit ihrem Spitzenkandidaten Schulz noch 25,4 Prozent erreicht.
Wer über den Niedergang der EU-europäischen Sozialdemokratie spricht, muß dabei auch die niederländische Partei der Arbeit erwähnen, der Timmermans angehört. Diese stürzte bei der Parlamentswahl im vergangenen Jahr auf 5,7 Prozent der Stimmen ab. 2012 hatten noch 24,8 Prozent für die PvdA gestimmt. Während der Zeit des Niedergangs seiner Partei war Timmermans zwischen 2012 und 2014 Außenminister der Niederlande. Sein Chef war der noch heute amtierende liberal-konservative Premier Mark Rutte.
Vor vier Jahren wechselte Timmermans nach Brüssel. Als Erster Vizepräsident der EU-Kommission ist er für die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten zuständig. Timmermans legte sich immer wieder mit der polnischen Regierung an. Er kümmerte sich insbesondere um das sogenannte Rechtsstaatsverfahren der EU gegen Polen, nachdem die rechtskonservative Regierung ihren Einfluß auf die Gerichte mit einer »Justizreform« ausbaute.
Allerdings treten die Sozialdemokraten nicht überall in EU-Europa als Gegner der aufstrebenden rechten Parteien auf. So besteht seit September 2015 eine Koalition der SPÖ mit der deutschnationalen und ausländerfeindlichen FPÖ im österreichischen Burgenland. Auch in Bratislava kooperieren die Sozialdemokraten mit der rechtsnationalistischen Slowakischen Nationalpartei SNS, die seit Jahren auf eine islamophobe, antiziganistische und auch antiungarische Hetze setzt.
Das von Timmermans & Co. so oft beschworene sozialdemokratische »Bollwerk« gegen Nationalismus und Rechtsextremismus weist also schon jetzt einige Lücken auf.
Oliver Wagner
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