3. Dezember 2024

Vom Staat verfolgt, vom Anwalt verraten

Übernommen von Unsere Zeit:

Der Kommunist Georges Abdallah sitzt seit 1984 in Frankreich im Gefängnis. Diesen Monat könnte er endlich freigelassen werden. UZ sprach mit Tom Martin, Sprecher des Collectif Palestine Vaincra. Martin ist seit 15 Jahren in der Solidaritätsbewegung für Abdallah aktiv.

UZ: Wer ist Georges Abdallah, und warum sitzt er im Gefängnis?

Tom Martin: Georges Abdallah ist ein kommunistischer Aktivist aus dem Libanon, der sich an der Seite des palästinensischen Widerstands engagierte. 1971 schloss er sich der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) an. 1948 und 1967 hatte der Libanon Hunderttausende palästinensische Flüchtlinge aufgenommen. Die organisierten ihr Leben in den Flüchtlingslagern. Und durch sie wurde Georges Abdallah auf Palästina aufmerksam. Als arabischer Kommunist betrachtet er die Befreiung Palästinas als revolutionären Hebel für die Befreiung der arabischen Welt von der imperialistischen Herrschaft. Bei Kämpfen gegen die erste israelische Invasion im Libanon 1978 wurde er verletzt. 1982 griff Israel wieder an und besetzte Beirut. 20.000 Zivilisten starben. In Sabra und Schatila wurden Massaker verübt. Der Südlibanon stand bis Juni 2000 unter israelischer Besatzung. Vor diesem Hintergrund beteiligte sich Georges Abdallah an der Gründung der Libanesischen Revolutionären Bewaffneten Fraktionen (LARF).

Am 24. Oktober 1984 wurde Georges Abdallah in Lyon wegen des Besitzes eines gefälschten Passes verhaftet, den ihm die algerische Regierung zur Verfügung gestellt hatte. 1986 wurde er zu vier Jahren Haft wegen des Besitzes von Waffen und Sprengstoff verurteilt. 1985 und 1986 wurden in Paris Anschläge verübt. Georges Abdallah wurde mittels einer medialen und politischen Kampagne mit dem Fall in Verbindung gebracht. Dass es sich dabei um eine vom Staat inszenierte Intrige handelte, räumt heute auch Yves Bonnet ein, bis 1985 Chef des französischen Inlandsgeheimdienstes. 1987 wurde ein neuer Prozess eröffnet, nachdem in einer von Georges Abdallah gemieteten Wohnung eine Waffe gefunden wurde, die angeblich für Operationen der LARF verwendet worden war. Es gibt jedoch keine Beweise für eine direkte Beteiligung von Georges. Vor einem Sondergericht forderte der Staatsanwalt zehn Jahre Haft wegen Beihilfe zum Mord. Unter dem Druck des Medienklimas und der USA wurde Georges Abdallah zu lebenslanger Haft verurteilt. Kurz nach dem Prozess gab sein Anwalt Jean-Paul Mazurier zu, für den französischen Geheimdienst gearbeitet und damit seinen Mandanten verraten zu haben. Dennoch wurde der Prozess nicht neu aufgerollt.

Wenn man in Frankreich zu lebenslanger Haft verurteilt wird, kann man nach einer Sicherheitszeit von 18 oder 22 Jahren auf Bewährung freigelassen werden. Theoretisch kann Georges Abdallah seit 1999 freigelassen werden. Seitdem hat er neun Anträge dafür gestellt. Das letzte Verfahren lief 2012 und 2013.

UZ: Wie ist die Solidaritätsbewegung für Georges Abdallah aufgestellt?

Tom Martin: Die Kampagne für Georges Abdallah gibt es in Frankreich seit etwa zwanzig Jahren. Sie wurde von einer Handvoll Aktivisten aufgebaut, und dann nach und nach ausgeweitet. Heute gibt es unzählige Organisationen und Komitees, die sich für seine Freilassung einsetzen. Das Collectif Palestine Vaincra, dem ich angehöre, existiert seit 2019. In Toulouse initiierte es eine Erklärung für Georges Abdallah, die von 70 gewerkschaftlichen, politischen und weiteren Organisationen unterstützt wird. Das zeugt von einer konsequenten Ausweitung der Unterstützung.

Seit Beginn dieser Kampagne gab es zudem Aktivitäten in sehr vielen Ländern der Welt: vom Libanon über Palästina bis Deutschland, Indonesien, den USA, Tunesien oder Chile. Die Veröffentlichung des Dokumentarfilms „Fedayin, le combat de Georges Abdallah“ spielte eine große Rolle bei der internationalen Ausweitung dieser Kampagne. Er ist heute in vielen Sprachen kostenlos auf YouTube abrufbar, auch auf Deutsch. Die Aktivitäten rund um die Mobilisierung für die Freilassung von Georges Abdallah sind äußerst vielfältig: Von Filmen und Büchern über Demonstrationen bis hin zu Appellen an die Regierung durch Parlamentarier und Menschenrechtsorganisationen sowie öffentlichen Unterstützungsbekundungen. Zu den Persönlichkeiten, die sich für die Freilassung von George Abdallah aussprechen, gehören unter anderem Noam Chomsky, Angela Davis und Mumia Abu-Jamal.

UZ: Wie verlief die diesjährige Anhörung?

Tom Martin: Die Anhörung fand am 7. Oktober statt, und am 15. November soll die Entscheidung gefällt werden. Wenig überraschend forderten die für „Terrorismusbekämpfung“ zuständigen Richter seine weitere Inhaftierung, da sie eine „Rückfallgefahr“ befürchten. In Wirklichkeit wollen sie nicht akzeptieren, dass Georges Abdallah trotz seiner 40-jährigen Haft seinen kommunistischen, antiimperialistischen und antizionistischen Prinzipien und Idealen treu geblieben ist. Mehr noch, er ist zu einer unumgänglichen Figur der palästinensischen Gefangenenbewegung und der revolutionären arabischen Linken geworden. Dafür lässt ihn Frankreich bezahlen. Und das tut es, weil es eine imperialistische Macht bleibt, die den Völkern der Region feindlich gesinnt ist.

UZ: Was würde eine Freilassung von Georges Abdallah politisch bedeuten?

Tom Martin: Seine Freilassung wäre sowohl ein Sieg als auch eine Stärkung des konsequent antiimperialistischen Weges im Widerstand gegen die israelische Besatzung. Aber in jedem Fall hat die gesamte Haft von Georges gezeigt, dass seine Inhaftierung rein politisch motiviert war. Daher muss der Kampf auf dieser Ebene fortgesetzt und mit der Solidaritätsbewegung für Palästina und dem Libanon verbunden werden, die heute einer schrecklichen, vom westlichen Imperialismus gesponserten genozidalen Operation gegenüberstehen.

Quelle: Unsere Zeit

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