23. Oktober 2024

Solidarität blieb draußen

Übernommen von Unsere Zeit:

Am Samstag um die Mittagszeit machte sich Unruhe breit auf dem Parteitag der Linkspartei. Gerade hatte die Mehrheit einen Antrag abgelehnt, der sich gegen die Anwendung der IHRA-Definition von Antisemitismus ausgesprochen hatte, die Kritik an Israel mit Antisemitismus gleichsetzt. „Die Linke verweist darauf, dass Antizionismus nicht gleich Antisemitismus ist“, hatte es im Antrag geheißen. Da machte die Nachricht die Runde, dass sich vor der Tür der Messehalle eine Gruppe propalästinensischer Demonstranten versammelt hatte.

Die Aktivistinnen und Aktivisten gehörten zum Teil selbst der Linkspartei an und sie protestierten gegen einen Beschluss, der am Tag zuvor als großer „Kompromiss“ gefeiert worden war. Statt sich klar zur Solidarität mit dem palästinensischen Volk zu bekennen, hatte „Die Linke“ mit dem Antrag „Deeskalation und Abrüstung in Nahost – für Frieden, Völkerrecht – gegen jeden Rassismus und Antisemitismus“ versucht, alle Lager gleichzeitig einzubinden. Das gelang nur durch Schwammigkeit und Äquidistanz. „Alle Seiten sind für schwere Kriegsverbrechen verantwortlich“, war da zu lesen. Anstatt den bereits stattfindenden Völkermord Israels in Gaza zu verurteilen, wurden Bemühungen des IGH begrüßt, mit „Eilentscheidungen einen Genozid zu verhindern“.

Vorangegangen war diesem Beschluss eine in Teilen unsägliche Diskussion. Den Aufschlag dafür hatte als letzter Redner in der Generaldebatte, Andreas Büttner, gemacht, seines Zeichens „Antisemitismusbeauftragter“ in Brandenburg. Unwidersprochen bescheinigte er der Hamas, „der Prototyp des eliminatorischen Antisemitismus“ zu sein. Darauf muss man in Deutschland erstmal kommen. Christoph Spehr aus Bremen bezeichnete die Besatzung Palästinas als „Narrativ“ und zeigte sich als Antragssteller voll auf der Linie der deutschen „Staatsräson“. In dem von ihm gestellten Antrag hieß es: „Israel nahm sein Recht auf Selbstverteidigung wahr und begann eine Bodenoffensive zur Befreiung der Geiseln und zur Ergreifung der Täter und Verantwortlichen. (…) Dabei wurden und werden auch zivile Objekte bombardiert, von denen viele seitens der Hamas als Deckung für militärische Stützpunkte benutzt werden.“ Auch Katina Schubert stellte die Kolonialgeschichte auf den Kopf. Der „Terror gegen Israel“ habe „mit der Staatsgründung“ begonnen. „Jetzt kann man sehr lange reden, wer ist jetzt an was schuld“, fuhr sie fort.

Der Rassismus in der „Linken“ sei nicht mehr länger zu ertragen, kündigte ein Parteimitglied gegenüber UZ den Parteiaustritt an. Gerade junge und migrantische Delegierte waren wütend und enttäuscht. Einige schlossen sich dem Protest an, der vor der Tür bleiben musste. Ein Geschäftsordnungsantrag, die Demonstranten reinzulassen, wurde aus „Brandschutzgründen“ abgelehnt. Auch der spätere Versuch, wenigstens eine Delegation zur Diskussion einzuladen, fand keine Mehrheit. Es „tut weh“, dass von links gegen den Parteitag demonstriert werde, sagte ein Delegierter. Er blieb ungehört. Was die Parteimitglieder drinnen, die sich in zahlreichen Beiträgen auf das Völkerrecht bezogen, verpasst hatten, wurde draußen gesagt: Das Völkerrecht ist linker als die Linkspartei, so eine Sprecherin der Demonstranten.

Aber auch in der Halle kämpften einige linke „Linke“ für Haltung. Domenica Winkler von der BAG Frieden und internationale Politik berief sich in ihrer Ablehnung des Kompromisspapiers ebenfalls auf das Völkerrecht, aber sie wandte es auch an: Es gehe nicht weit genug, nur einen Waffenstillstand zu fordern, ohne das Schicksal der Palästinenser zu benennen – und die Tatsache, dass Israelis bereits im Kindergarten darauf vorbereitet werden, den Besatzungsstatus aufrechtzuerhalten. Ein Völkermord ist ein Völkermord, sagte Thies Gleiss von der „Antikapitalistischen Linken“. Das fand auch Christine Buchholz, die erklärte, dass es in dieser Situation nicht reiche, einen „abgewogenen Antrag“ zu beschließen.

Dass solche Haltungen überhaupt geäußert werden durften, brachte einige Akteure des rechten Parteiflügels auf die Palme. Am Montag nach dem Parteitag trat die sachsen-anhaltinische Landtagsabgeordnete Henriette Quade aus der Partei aus. In ihrem Austrittsschreiben kritisierte sie unter anderem die im Kompromisspapier aufgestellte Forderung, keine Waffen an Israel zu liefern. Für „Die Linke“ könne und wolle sie „nicht mehr sprechen“. Für wen sie demnächst spricht, bleibt abzuwarten. Ihr Landtagsmandat nimmt Quade jedenfalls mit. Noch am Sonntag hatte sich Jan van Aken in seiner ersten Rede als Parteivorsitzender mit Quade solidarisiert, die sich von der Demonstration vor der Halle „bedroht“ gefühlt hatte und durch die Hintertür entschwand. Das Ringen um eine Haltung zum Nahen Osten wird weitergehen.

Quelle: Unsere Zeit

UZ - Unsere Zeit