»Routine« im UNO-Sicherheitsrat
Übernommen von Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek:
Die »Offene Debatte über den Mittleren Osten, einschließlich der palästinensischen Frage« – so nennt sich das Ritual, das sich seit Jahrzehnten alle drei Monate im UNO-Sicherheitsrat wiederholt. Der Sonderbeauftragte der UNO für den Friedensprozeß im Mittleren Osten leitet die Sitzung mit einem Bericht über die aktuelle Lage ein, das Land, das den monatlichen Vorsitz hält, leitet die Sitzung. Die anwesenden Botschafter der Mitgliedstaaten des Sicherheitsrates lesen ihre vorbereiteten Erklärungen vor, Entscheidungen gibt es nicht.
Angesichts der Gewalt, mit der Israel gegen die Bevölkerung in Gaza, im Westjordanland und im Libanon vorgeht, wirkt die Versammlung im UNO-Sicherheitsrat geradezu unheimlich. Alle Verantwortlichen der UNO, die in der Region arbeiten und die Tod und Verwüstung mit eigenen Augen verfolgen, äußern ihre Kritik und ihr Entsetzen in diplomatischen Noten, doch selbst wenn die Mitarbeiter der eigenen Organisation getötet werden, werden Forderungen nach Strafmaßnahmen, die in der UNO-Charta eindeutig formuliert werden, schnell zum Schweigen gebracht.
Keine Resolution wird von Israel respektiert, dem Land, das in Europa noch immer als »einzige Demokratie im Mittleren Osten« bezeichnet wird. Der UNO-Sicherheitsrat zeigt sich machtlos, die Massaker zu stoppen, weil noch immer Staaten ihre schützende Hand über Israel halten und Waffen liefern, mit denen weiter gemordet werden kann.
Während am Dienstag (NY Ortszeit) die Texte verschiedener Staatenvertreter bei der »offenen Debatte« vorgetragen wurden, tötete und zerstörte das israelische Militär ununterbrochen weiter. Im Gazastreifen wurden 143 Menschen getötet. Mehr als 100 Tote wurden allein bei der Zerstörung eines Wohnhauses mit Inlandsvertriebenen in Beit Lahiya gemeldet (siehe auch ZLV 30.10.24). Im Libanon wurden bei der Bombardierung von Baalbek im Osten des Landes in einer Nacht mehr als 60 Tote gezählt.
Israel gegen die UNRWA
Die israelische Knesset verabschiedete derweil in Gesetz, mit dem die Hilfsorganisation der UNO für die Unterstützung palästinensischer Flüchtlinge, UNRWA, in Israel verboten werden soll, weil sie angeblich von der palästinensischen Hamas »unterwandert« sei und UNRWA-Mitarbeiter an dem Angriff am 7. Oktober 2023 beteiligt gewesen sein sollen. Vorgelegte »Beweise« dafür konnten nicht geprüft werden, weil die meisten der von Israel genannten Personen vom israelischen Militär bereits getötet worden waren, bevor eine Untersuchung beginnen konnte. Weitere Personen wurden von UNRWA unter dem öffentlichen Druck von Israels Verbündeten – auch Deutschland – entlassen, obwohl eine Untersuchung nicht abgeschlossen war.
Allein die Behauptung Israels reichte aus, daß die USA und Deutschland sowie zahlreiche weitere Mitgliedstaaten der EU ihre Geldzahlungen an die UNRWA teilweise vorübergehend einstellten.
Israel bekämpft die UNRWA seit ihrer Gründung im Jahr 1949 durch die UNO-Generalversammlung, vor allem deswegen, weil sie daran erinnert, daß die Palästinenser gemäß der UNO-Resolution 194 III vom 11.12.1948 das Recht auf Rückkehr in ihre Heimat und/oder auf Entschädigung haben. Die Resolution basiert auf der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und auf dem Genfer Abkommen zum Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten.
Die Aufnahme Israels als UNO-Mitgliedstaat wiederum im März 1949 war verbunden mit der Verpflichtung, die UNO-Resolutionen – Ende der Besatzung und Rückkehrresolution – umzusetzen. Seit 1950 hat die UNRWA Millionen von Palästinensern in den besetzten Gebieten des Westjordanlandes, Ostjerusalem, Gaza und in den Lagern im Libanon, Syrien, Jordanien geholfen, trotz ihrer Vertreibung und Unterdrückung durch ein Besatzungsregime Lebensgrundlagen zu schaffen. Die UNRWA erinnert bis heute an das Unrecht der Vertreibung der Palästinenser aus ihrer Heimat. Der Teilungsplan der UNO von 1947 war, wie die spätere Gründung des Staates Israel 1948 von arabischen Staaten damals nicht akzeptiert worden.
Hisbollah wählt neuen Generalsekretär
Am Dienstag wurde bekannt, daß die libanesische Hisbollah Naim Qassem zum neuen Generalsekretär gewählt hat. Qassem folgt damit dem langjährigen Generalsekretär der Hisbollah Hassan Nasrallah, der am 27. September von Israel getötet worden war. Die Ermordung Nasrallahs geschah, während Frankreich und die USA bei der UNO einen Plan für einen 21-tägigen Waffenstillstand vorgelegt hatten, dem Berichten zufolge sowohl Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu als auch die Hisbollah zugestimmt hatten.
Netanjahu zog seine Zustimmung kurz darauf zurück und israelische Kampfjets bombardierten einen ganzen Straßenzug in Haret Hreik im Süden von Beirut mit mehr als 90 Tonnen Sprengstoff in US-amerikanischen bunkerbrechenden »Bunker Busters«. Qassem ist ein wohlbekannter Gesprächspartner der Hisbollah auch für westliche Staaten wie Deutschland, die die Hisbollah als »Terrororganisation« kriminalisiert haben.
Am Dienstag meldete die Hisbollah den Rückzug israelischer Besatzungstruppen aus verschiedenen südlibanesischen Dörfern entlang der »Blauen Linie«, die von der UNO als vorläufige Waffenstillstandslinie zwischen Libanon und Israel markiert wurde. Laut Medienberichten sollen sich die israelischen Soldaten unter hohen Verlusten aus Houla, Markaba, Mais Al-Jabal, Blida und Odaisseh zurückgezogen haben. Die Truppen hätten auch ihre Fahrzeuge mitgenommen.
Verhandlungen über »parallelen Waffenstillstand«
Berichten zufolge sollen sich die israelischen Truppen 5 bis 10 Kilometer von der »Blauen Linie« entfernt in dortigen Siedlungen neu gruppieren. Hisbollah teilte mit, man habe Drohnen über das Gebiet geschickt, um den Rückzug verifizieren zu können, und die Aufnahmen bestätigten den Rückzug der israelischen Armee, so die Hisbollah. Die israelische Armee habe auch Durchbrüche entlang der »Blauen Linie« geschlossen, die sie geöffnet hatte, um in den Südlibanon einzudringen. Nach Angaben der Hisbollah sollen 90 israelische Soldaten bei den Kämpfen im Südlibanon getötet und 750 Soldaten verletzt worden sein.
Von israelischer Seite werden die Angaben nicht bestätigt. Vielmehr heißt es in israelischen Medien, ein Rückzug aus dem Südlibanon werde erst dann vorgenommen, wenn es einen Waffenstillstand gibt.
Daß möglicherweise eine Waffenstillstandsvereinbarung bevorstehen könnte, darauf weist auch die Reise von zwei Beratern von USA-Präsident Joe Biden nach Israel hin. Amos Hochstein und Brett McGurk sollen nach Berichten des US-amerikanischen Mediums Axios am Donnerstag in Israel eine Vereinbarung aushandeln, mit der der Krieg im Libanon beendet und die Bewohner beidseits der »Blauen Linie« in ihre Dörfer und Siedlungen zurückkehren können.
Gleichzeitig wurde in Katar bekannt, daß parallel zu einem Waffenstillstand im Libanon auch die Waffen in Gaza schweigen sollten. Der Vorschlag für Gaza sehe die Freilassung von acht israelischen Gefangenen vor, während Israel Dutzende palästinensischer Gefangener freilassen soll. Der Waffenstillstand solle zunächst für 28 Tage gelten.
Unklar blieb allerdings bis Redaktionsschluß dieser Ausgabe, ob die Vereinbarung auch den völligen Rückzug der israelischen Truppen aus dem Gazastreifen vorsieht oder zumindest den Beginn von Verhandlungen darüber.
Quelle: Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek