ITF-Kongress 2024 schließt mit einem klaren Bekenntnis zu Frieden, Beschäftigtenrechten, Gleichstellung und globaler Solidarität
Übernommen von der Internationalen Transportarbeiter-Föderation (ITF):
In einer historischen und wegweisenden Abschlusssitzung bekräftigten die Delegierten des ITF-Kongresses 2024 in Marrakesch (Marokko) die unerschütterliche Kampfkraft der Verkehrsgewerkschaften weltweit, verabschiedeten grundlegende Entschließungsanträge und besetzten wichtige neue Führungspositionen, die in den nächsten fünf Jahren die Strategie der Föderation gestalten werden.
Mit einem klaren Fokus auf dem Aufbau der Macht der Beschäftigten und dem Widerstand gegen Ausbeutung und Spaltung sandten die Delegierten ein klares Signal aus und legten die Agenda für Gerechtigkeit, Gleichstellung und Solidarität in einer immer turbulenteren Welt fest. Im Zentrum dieser Agenda steht ein klares Bekenntnis dazu, mehr zu tun, um die Rolle von weiblichen und jungen Beschäftigten auf allen Ebenen der ITF auszubauen und zu stärken, was ganz klar darin zum Ausdruck kam, dass auf dem Kongress die höchste Anzahl weiblicher Vorstandsmitglieder aller Zeiten gezählt wurde und mit einer Änderung der ITF-Satzung der Sitz eines*r Vizepräsidenten*Vizepräsidentin für junge Beschäftigte im Vorstand geschaffen wurde.
“Die Regierungen lassen uns überall auf der Welt alleine und werden durch Bewegungen wie die Neofaschisten ersetzt, die die durch fehlende Zivilcourage und Entschlossenheit entstehenden Lücken füllen,“ so der wiedergewählte Präsident Paddy Crumlin in einem vollbesetzten Kongresssaal.
Wir sind hierhergekommen, um diese Lücke zu füllen. Wir sind hierhergekommen, um unseren Traum und unsere Vision von einer besseren Welt heute, morgen und für alle Zeiten aufleben zu lassen. Eine sauberere Welt, eine fairere Welt und eine gerechtere Welt – eine Welt, in der für alle gleichermaßen gesorgt ist.“
Und Crumlin weiter: “Wir haben unsere Ziele festgelegt, wir brauchen ein Gleichgewicht der Geschlechter. Wir brauchen eine Führungspolitik, die sich an der tatsächlichen demografischen Struktur der Menschheit orientiert. Das heißt 50 Prozent Frauen und 50 Prozent Männer – sonst werden wir unserer Verantwortung füreinander nicht gerecht.“
Frank Moreels wird im Januar 2027 die Nachfolge von Crumlin als Präsident antreten.
“Frank und ich werden gemeinsam mit dem Vorstand daran arbeiten, das außergewöhnliche Talent der jungen Frauen und Männer, das wir erlebt haben, weiter zu fördern – ihre Energie, ihr Engagement, ihre Kenntnisse und ihr Wissen,“ so Crumlin.
“Ein Teil unserer Verantwortung ist es, die Älteren zu respektieren, früher und heute – aber wir haben es jetzt mit den künftigen Älteren zu tun. Wir müssen ihnen Raum, Entfaltungsmöglichkeiten und Ressourcen bieten, damit sie sich weiter so schnell entwickeln können und uns und die vielen Beschäftigten, die darauf angewiesen sind, weiter inspirieren.“
Diese Stellungnahme des Präsidenten deckte sich mit bereits am Nachmittag gehörten Äußerungen. Die neu gewählte Co-Vorsitzende des Ausschusses für junge Verkehrsbeschäftigte Preeti Singh erklärte: “Wir möchten unsere Entschlossenheit bekräftigen, eine Gewerkschaftsbewegung aufzubauen, die sich für die Rechte junger Menschen einsetzen kann und den Weg in eine gerechtere Zukunft ebnet: Wir brauchen unsere Gewerkschaften und unsere Gewerkschaften brauchen uns.“
“Wir müssen uns gemeinsam für den Aufbau einer Verkehrswirtschaft einsetzen, die junge Beschäftigte wertschätzt und stärkt, um eine schönere, ausgewogenere und gerechtere Gegenwart und Zukunft für alle zu schaffen.“
Wenn junge Beschäftigte – Männer und Frauen – stark sind, sind auch unsere Gewerkschaften stark.“
Der Sitzungstag wurde am Morgen mit einer Ansprache von Arsenio Dominguez eröffnet, mit dem erstmals ein Generalsekretär der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO) an einem Kongress der Internationale Transportarbeiter-Föderation (ITF) teilnahm.
Dominguez verwies auf die große Anzahl der in der ITF organisierten Verkehrsbeschäftigten, namentlich Seeleuten, und hob die Gemeinsamkeiten zwischen den Kernthemen der IMO und den im Arbeitsplan der ITF aufgegriffenen Punkten hervor, wie die Gewährleistung eines gerechten Übergangs, das Eintreten für eine bessere Behandlung von Seeleuten im Zusammenhang mit Zurücklassung und Kriminalisierung oder die Interessen von weiblichen und jungen Beschäftigten.
„Ich freue mich sehr, dass die ITF die Themen Diversität und Inklusion vorantreibt,“ so Dominguez. „Ich werde hierzu Maßnahmen ergreifen, insbesondere im Hinblick auf die Unterstützung von Frauen.“
Anschließend wendeten sich die Delegierten der Behandlung mehrerer Entschließungsanträge zu, die den Umfang der Tätigkeit der ITF zu einem breiten Spektrum dringender Anliegen und Probleme von Verkehrsbeschäftigten widerspiegelten.
Bei ihrer Vorstellung des Entschließungsantrags „Rückblick auf 25 Jahre ITF-Frauenarbeit“ sagte Balvinder Bir von der britischen Gewerkschaft Unite, es sei schwer zu glauben, dass die ITF bis zu ihrem Kongress in Neu-Delhi (Indien) im Jahr 1998 keine formalen Frauenstrukturen hatte. „Wir richten die Bitte an euch, diesen Kampf für weibliche Beschäftigte im Verkehrssektor weiterzuführen,“ erklärte Luz Marina Peña von der SNTT (Kolumbien), die die „Sabotage“ von Arbeitnehmer*innenrechten, die sich derzeit in Kolumbien abspielt, anprangerte.
Wir wollen die Welt auf der Grundlage der Rechte weiblicher Verkehrsbeschäftigter voranbringen.“
Mit dem Entschließungsantrag Nr. 5 rückten auch junge Beschäftigte in den Fokus der Debatte. Die Delegierten sprachen sich einstimmig dafür aus, junge Verkehrsbeschäftigte als Vorreiter des Wandels zu stärken. Der scheidende Co-Vorsitzende des Ausschusses für junge Verkehrsbeschäftigte Horacio Calculli von der Gewerkschaft AAA (Argentinien) erklärte: „Junge Beschäftigte bitten nicht um Veränderungen, sondern gehen dabei voran.“ Moussa Sangare von der SYNACCI (Côte d’Ivoire) fügte hinzu: „Wir müssen die bestehende Ungerechtigkeit überwinden und junge Beschäftigte dazu befähigen, Führungsrollen zu übernehmen und sich an unserem Kampf zu beteiligen.“
Der Kongress setzte ein klares Signal der Null-Toleranz für die wachsende Gefahr des Rechtsextremismus im globalen Norden und der Geschlossenheit bei der Verteidigung von Arbeitsrechten. Tom Peeters von der BTB-UBT (Belgien) machte eine klare Ansage: „Wir weichen nicht zurück! Wir stehen vereint zusammen – und wir setzen uns zur Wehr.“ Martin Burkert von der deutschen Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) schloss sich dem an: „Alle Gewerkschaftsmitglieder müssen der extremen Rechten geschlossen entgegentreten.“
Der Kongress befürwortete auch die nachdrücklichen Appelle von Franco Nervegna von der UPSA (Argentinien) und Nazeer Tahir von der UNITY (Pakistan) an die ITF, gemeinsam Widerstand gegen die Privatisierung in Argentinien zu leisten.
Die laufenden Kriege waren Gegenstand mehrerer Entschließungsanträge, die von Delegierten aus der ganzen Welt in den Kongress eingebracht wurden. Alle wurden einstimmig angenommen.
„Wir sind sehr besorgt über Verletzungen des Völkerrechts. Immer noch finden bewaffnete Konflikte statt, die die Bevölkerungen ins Elend stürzen,“ so David Gobé von der CGT Cheminots (Frankreich). „Beschäftigte sind immer die ersten Opfer von Kriegen und der durch sie verursachten Armut. Not und Arbeitslosigkeit entfachen Konflikte. Sie zu beseitigen, ist deshalb eine Voraussetzung für Frieden.“
Joelle Mputu von der Solidarité (DR Kongo) und Bienvenu Mabiala von der FESYPTC (Republik Kongo) zeichneten ein erschütterndes Bild des andauernden Krieges im Osten der DR Kongo, der seit dem Jahr 1996 schätzungsweise 6 Millionen Menschen das Leben gekostet hat.
Mputu verwies auf die 2,5 Millionen Vertriebenen neben „Tausenden von Toten und barbarischen Vergewaltigungen von Frauen und Mädchen“ sowie den „Raubbau an den Reichtümern des Kongo durch bewaffnete Gruppen aus Nachbarländern und durch Unternehmen“. Mabiala schilderte die „offene Plünderung von Ressourcen und Besitztümern“ in einer „menschlichen Katastrophe, die durch den Zynismus von Regierungen und das unmoralische Vorgehen von Unternehmen verursacht wird“.
Saeed Abbod Al-Maari vom Ausschuss der Beschäftigten im Containerterminal von Aden (Jemen) rückte die verheerenden Auswirkungen des anhaltenden Konflikts im Jemen in den Blickpunkt, der durch die geographische Bedeutung des Landes geschürt wird. „Dies macht den Jemen zum Schauplatz schwerer Konflikte…. Wir fordern ein Ende des Krieges im Jemen,“ sagte er.
Auch Verkehrsbeschäftigte aus der afrikanischen Sahelregion, die durch mehr als ein Jahrzehnt Krieg schwer getroffen sind, riefen die ITF zu dringenden Maßnahmen auf. Ahmed Lamizana von der Gewerkschaft Sumac (Burkina Faso) erklärte: „Alle Kriege weltweit müssen beendet werden. Wir sind für Frieden, aber in der Sahelregion herrscht Krieg, ein schlimmer Krieg, der seit zehn Jahren andauert. Wir verurteilen das barbarische Vorgehen von terroristischen und separatistischen Gruppen. Wir appellieren eindringlich an die ITF, Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten bei ihrer täglichen Arbeit zu ergreifen.“ Mahamane Tienta von der Sytrail (Mali) fügte hinzu: „Heute gibt es in der Sahelzone kein Leben mehr. Hunderte von Fahrer*innen werden von kriminellen und terroristischen Gruppen angegriffen und verletzt, Schulen wurden geschlossen, es gibt keine Landwirtschaft mehr, weithin herrscht Hungersnot. Mehr denn je brauchen wir die Unterstützung der ITF und der ihr angeschlossenen Gewerkschaften.“
Mick Lynch von der RMT (Großbritannien) stellte die Gemeinsamkeiten zwischen Kriegen und Konflikten in der ganzen Welt heraus und brachte einen Dringlichkeitsantrag zum laufenden Kampf in Eswatini, auch bekannt als Swasiland, ein. „So viele unserer Kolleginnen und Kollegen in der Welt sind in Kämpfe verwickelt, und wir müssen dabei immer an vorderster Front stehen. In Eswatini findet einer dieser Kämpfe statt.“
Sticks Nkambule von der SWATCAWU (Eswatini), der im Jahr 2022 einen Mordanschlag überlebte, berief sich auf die Worte von Martin Luther King Jr.:
Ich erinnere euch an die Lehren von Martin Luther King, der so richtig sagte, dass ein Unrecht irgendwo auf der Welt eine Bedrohung für die Gerechtigkeit überall ist. Ich fordere euch auf, nicht zu ruhen, bis wir überall Gerechtigkeit erreicht haben, nicht nur in Swasiland.“
Der Kongress stellte sich auch geschlossen gegen die Ausbeutung von Beschäftigten bei globalen Sportveranstaltungen und verabschiedete einstimmig einen Entschließungsantrag zur FIFA-Fußball-Weltmeisterschaft 2026.
„Wir sorgen dafür, dass das Wort ‚global‘ bei globalen Sportveranstaltungen Wirklichkeit wird,“ so David Massiah von der ABWU (Antigua und Barbuda). „Aber wie wir bei vorangegangenen Sportveranstaltungen gelernt haben, sind die Arbeitskräfte hinter den Kulissen dieser Events Ausbeutung bis hin zu Missbrauch ausgesetzt. Diese Veranstaltungen sollten im Zeichen der Menschlichkeit stehen und kein Beispiel für schlimmste Ausbeutung sein.“
Die Stärkung der Verkehrsgewerkschaften in Mittel- und Osteuropa war Thema von Entschließungsantrag Nr. 35, der von Ekaterina Yordanova von der FTTUB (Bulgarien) eingebracht wurde und das Ziel setzt, unsere Anstrengungen zur Stärkung und Entwicklung von Netzwerken der Gewerkschaften in der Region fortzusetzen.
Shiva Gopal Mishra von der AIRF (Indien) und Javier Villarroel Rivas von der ANFDGAC (Chile) nahmen zu Entschließungsantrag Nr. 2 „Soziale Sicherheit – ein Menschenrecht aller Verkehrsbeschäftigten“ Stellung. „Ohne soziale Sicherheit gibt es keine menschenwürdige Arbeit,“ so Villarroel Rivas. „Darauf haben wir alle Anspruch – jede einzelne Arbeitskraft im Verkehrssektor braucht menschenwürdige Arbeit.“
Mit dem letzten Entschließungsantrag des Tages „Bewahrung unseres kollektiven Gedächtnisses“ forderte Alex Gordon von der RMT (Großbritannien) die ITF auf, „ihre Aufgabe wahrzunehmen, die Geschichten von Verkehrsbeschäftigten und die Kämpfe, aus denen sie hervorgegangen sind, zu dokumentieren, zu archivieren und zu veröffentlichen“.
„Es ist eine grundlegende Tatsache, dass die Geschichte der gesamten menschlichen Gesellschaft die Geschichte des Klassenkampfes ist – das gilt heute noch genauso wie im Jahr 1896,“ so Gordon.
Wer sich nicht an die Vergangenheit erinnern kann, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.“
Der Kongress bestätigte die neue Führungsspitze für den Zeitraum 2024 bis 2029 mit der Wahl eines neuen Vorstands und der Besetzung der folgenden Positionen:
Präsident:
- Paddy Crumlin (von jetzt bis zum 31. Dezember 2026)
- Frank Moreels (vom 1. Januar 2027 bis zum nächsten Kongress)
Vizepräsident*innen:
- Frauen: Mary Liew, SMOU, Singapur
- Jugend: Nice Amon Mwansasu, COTWU, Tansania
- Afrika: Adewale Adeyanju, MWUN, Nigeria
- Arabische Welt: Seddik Berrama, FNTT, Algerien
- Asien/Pazifik: Seong Yong Park, FKSU, Südkorea
- Europa: Frank Moreels, BTB-ABVV, Belgien
- Lateinamerika: Pablo Moyano, FNTCOTAC, Argentinien
- Nordamerika: John Baker, ILA, USA
Sektions-/Abteilungsvorsitzende
- Weibliche Verkehrsbeschäftigte: Meryem Halouani, UMT, Marokko
- Junge Verkehrsbeschäftigte: Co-Vorsitzende – Preeti Singh, AIRF, Indien und Nick Loridan, BTB-ABVV, Belgien
- Zivilluftfahrt: Sara Nelson, AFA-CWA, USA
- Häfen: Paddy Crumlin, MUA, Australien
- Fischereiwirtschaft: Johnny Hansen, Norsk Sjømannsforbund, Norwegen
- Binnenschifffahrt: Jacques Kerkhof, BTB-ABVV, Belgien
- Eisenbahn: Julio Sosa, La Fraternidad, Argentinien
- Straßentransport: Flemming Overgaard, 3F, Dänemark
- Seeleute: David Heindel, SIU, USA
- Fremdenverkehrsdienste: David Massiah, ABWU, Antigua & Barbuda
- Öffentlicher Personennahverkehr: Eric Campos Bonta, FESIMETROSA, Chile
- Lagerhaltung, Vertrieb und Logistik: Matt Draper, Unite the Union, Großbritannien
Gewählte Revisor*innen:
- Simon Weller, ASLEF, Großbritannien
- Olu Tunde, Nautilus International, Großbritannien
- Melissa Heywood, TSSA, Großbritannien
Zum Abschluss des Kongresses wurden die Berichte der gewählten Berichterstatter*innen der einzelnen Konferenzen angenommen, womit die wichtigen Entschließungen und Strategien des Kongresses in die Tat umgesetzt werden können. Der ITF-Kongress 2024 hat die Grundlagen dafür geschaffen, dass Verkehrsbeschäftigte sich zusammenschließen, zur Wehr setzen und eine Zukunft im Zeichen von Gerechtigkeit und Gleichheit aufbauen.
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