Öffentlichkeitsarbeit im revolutionären Kampf
Übernommen von Widerstand in Kolumbien:
Der Zentrale Generalstab der Blöcke und Fronten der FARC-EP, der unter dem Oberkommando von alias Cordoba Calarcá steht, hat sich in den letzten Tagen auffallend häufig in großen nationalen Medien präsentiert. So ist mit Calarcá selbst ein Interview in der großen Tageszeitung El Espectador geführt worden, bei dem er in seiner angestammten Region zwischen Caquetá und Meta in der Landgemeinde San Vicente del Caguán aufgesucht wurde. Außerdem erschien ein Interview der konservativen Journalisten Salud Hernández-Mora in der Region Catatumbo mit dem Kommandanten der 33. Front, Andrey Avendaño. Dieser war Teil des Verhandlungsteams der FARC-EP und einer der Protagonisten in der Spaltung der Guerilla. Damit versucht die FARC-EP, die noch in Gesprächen mit der Regierung steht, auch medial ihr politisches Interesse zu vertreten, wenn gleich in Kolumbien und auch bei uns im Portal Kolumbieninfo die Diskussionen um politische Legitimation der Guerilla, hier im Besonderen der verschiedenen Fraktionen der FARC-EP, zunehmen.
Wir sind schon länger nicht mehr der Meinung, dass eine nationale Guerilla aufgebaut werden kann und sich der Konflikt, dessen Ursachen nachvollziehbar sind (Konflikte um Land, soziale Ungleichheit, fehlende Umsetzung des Friedensabkommens, Armut, Korruption, fehlende staatliche Präsenz für die Allgemeinheit, usw.) vor allem in der Präsenz kleiner, in lokalen Fronten verstreuten Strukturen und Einheiten ausdrückt. Zwar wird formal damit argumentiert, gemeinsame politische Interessen zu vertreten, doch eine gemeinsame politische Agenda, ein gemeinsamen politisch-militärischen Kommando und ein gemeinsames Auftreten nach Außen ist eher weniger geworden. Stattdessen bestimmen Autonomie der Strukturen und Auseinanderfallen bei geringen Abweichungen den Alltag. Der Konflikt ha sich von einem ideologischen Aufstandskampf zu einer Vielzahl fragmentierter, regionalisierter Auseinandersetzungen entwickelt, die stark von der illegalen Wirtschaft beeinflusst sind.
Viele Fronten und Strukturen der FARC-EP operieren in einem Spannungsfeld zwischen wirtschaftlichen Motiven und lokalen Interessen, da diese Gruppen einen politischen Diskurs pflegen, der ihre Existenz und ihre Aktionen rechtfertigt, wie etwa den Kampf gegen den Paramilitarismus oder die Verteidigung der ländlichen Gemeinden. In der Praxis jedoch ist ein Großteil ihrer Aktivitäten auf illegale wirtschaftliche Aktivitäten wie Drogenhandel, Erpressung und illegalen Bergbau ausgerichtet. Obwohl sie in einigen Gebieten in Kommuniqués und Videos ihre Darstellung des politischen Widerstands beibehalten, stammt ein erheblicher Teil ihrer Ressourcen aus gewalttätigen Aktionen gegen die Gemeinschaft. Dies müssen wir als Portal Kolumbieninfo anerkennen, auch wenn nach Außen die Guerilla durch Infrastrukturmaßnahmen, Sanitätsbrigaden, Geschenke an Kinder, Bau von öffentlichen Einrichtungen usw. ihren Anschein einer revolutionären Aufstandsbewegung erkennen lassen will.
Sowohl das Zweite Marquetalia – Bolivarische Armee, als auch der Zentrale Genralstab, hier sind beide Fraktionen unter Calarcá und auch unter Mordisco gemeint, haben versucht, die ehemalige FARC-EP, die sich 2016 im Friedensabkommen entwaffnen ließ als kohärente aufständische Bewegung zu rekonfigurieren, sind jedoch mit großen Schwierigkeiten konfrontiert gewesen. Vor allem waren dies interne Widersprüche und Streitigkeiten zwischen den Kommandierenden über die Kontrolle von Territorium, Ressourcen und Friedensstrategien, die ihre Organisationsfähigkeit maßgeblich geschwächt haben. Diese Gruppen operieren auf atomisierte Weise mit lokalen Interessen und Zielen, die eine zentralisierte Struktur erschweren, was jedoch in einem starken Auftreten nach Außen von Wichtigkeit wäre. Die traditionelle soziale Basis der FARC-EP, wie z. B. die Bauern und die indigene Bevölkerung, ist nicht mehr bereit, einen langwierigen Krieg zu unterstützen. Diese Gemeinschaften haben während des Konflikts sehr gelitten und fordern nun Frieden und Entwicklung.
Wir beschreiben in den Zeilen unseren Widerspruch zur aufständischen Bewegung sehr drastisch, wollen damit auch ein wenig provozieren, aber zugleich erkennen lassen, dass wir intern in harten Diskussionen um die Zukunft stehen. Es wird zudem immer schwieriger, solidarisch aber kritisch zu gleich über die diversen Entwicklungen zu berichten, die Spaltungen, die Allianzen, die Ziele und Verfehlungen der verschiedenen Strukturen, die sich unter dem Dach, oder unter dem Anspruch eine Guerilla zu sein, versammelt haben. In der nächsten Zeit werden wir uns intensiv mit unserer weiteren Arbeit auseinandersetzen, die bisher, ebenso wie die Interviews – womit wir wider beim Anfang des Artikels wären – geprägt war von einer Gegenöffentlichkeit und kritischen Meinungsbildung zum revolutionären bewaffneten Kampf in Kolumbien.
Quelle: Widerstand in Kolumbien