9. Januar 2025

Der „Lehre des Marxismus folgend“

Übernommen von Unsere Zeit:

Nach fast drei Jahren ist der Prozess um das Berufsverbot gegen den Geoinformatiker Benjamin Ruß zu Ende gegangen. Im August des vergangenen Jahres hat das Arbeitsgericht München gegen Ruß geurteilt, der sich gegen die politisch begründete Ablehnung seiner Anstellung an der Technischen Universität (TU) München gewehrt hatte. Inzwischen liegt das 30-seitige Urteil vor.

Ruß hatte sich im Jahr 2022 zunächst erfolgreich auf eine Stelle als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kartographie und visuelle Analytik an der TU München beworben. Nur die Zustimmung der Personalabteilung stand noch aus. Diese schickte Ruß einige Monate nach der Bewerbung eine Aufforderung zu einer Stellungnahme, weil die in Bayern vorgeschriebene Abfrage beim Landesamt für Verfassungsschutz Erkenntnisse zu seiner Person erbracht hätte. Der Inlandsgeheimdienst warf dem jungen Informatiker nicht nur seine Mitgliedschaft in der Roten Hilfe und sein bereits Jahre zurückliegendes Mitwirken beim Sozialistisch-Demokratischen Studierendenverband der Linkspartei (SDS) vor, sondern auch eine Reihe von politischen Äußerungen und einen vermeintlichen „tätlichen Angriff“ auf einen Polizeibeamten – eine Erfindung des Verfassungsschutzes, wie Ruß in seiner Stellungnahme nachweisen konnte.

In einem Artikel, in dem Ruß sich für eine „Demokratisierung der Betriebe auf Grundlage einer Arbeiter*innenselbstverwaltung“ ausgesprochen hatte, konnte der Geheimdienst eine „klar linksextremistische Orientierung“ erkennen. Schließlich sei damit „die gewaltsame Enteignung von privatwirtschaftlich geführten Unternehmen gemeint“, so der Verfassungsschutz in seinen Ausführungen, die die Personalabteilung der TU unhinterfragt übernahm. Dadurch würde, „der Lehre des Marxismus folgend“, das „Grundrecht auf Eigentum (…) negiert“. Ruß wurde außerdem vorgeworfen, Begriffe wie „Polizeigewalt und -willkür“ zu verwenden, die „oftmals dem linksextremistischen Duktus“ entsprächen. In die gleiche Kategorie wurden auch antirassistische und antikapitalistische Passagen von Ruß‘ Ausführungen einsortiert. Negativ wurde dem Informatiker zudem ausgelegt, dass er sich im Jahr 2015 beim Aktionsbündnis „Stop-G7“ engagiert und sein Grundrecht auf Versammlungsfreiheit wahrgenommen hatte.

Noch während Ruß und die TU München schriftlich über diese Fragen verhandelten, besetzte die Universität die für Ruß vorgesehene Planstelle mit einer anderen Mitarbeiterin. Ruß zog gemeinsam mit dem ver.di-Rechtsschutz vor Gericht, wo er von der ehemaligen Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) vertreten wurde. Doch die erhoffte Gerechtigkeit blieb aus.

Obwohl das Arbeitsgericht München feststellte, dass die Neubesetzung der Stelle noch während des Einstellungsprozesses formal einen Anspruch auf die Wiederherstellung der Stelle begründete, gab es der TU recht, denn: „Der Beklagte durfte ermessensfehlerfrei darauf abstellen, dass der Kläger für die im Raum stehende Stelle als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl nicht geeignet war.“

Auf der politisch-inhaltlichen Ebene folgte das Gericht den Ausführungen des Verfassungsschutzes und legte darüber hinaus eine gewerkschaftsfeindliche Interpretation des Grundgesetzes vor. So könne die Forderung nach einem „politischen Streik gegen die Ausbeutung und Unterdrückung“ laut Urteil „als ‚Lahmlegen‘ von z. B. Betrieben oder Behörden verstanden werden, was zumindest Nötigungshandlungen beinhaltet“.

Auf Anraten seiner Anwältin ließ Ruß die Berufungsfrist verstreichen. Auch vor dem Landesarbeitsgericht, so das Argument, sei kein anderes Urteil zu erwarten. Die Urteilsbegründung stütze sich auf sehr weit auslegbare Begriffe wie „Zweifel“ und „Ermessensspielraum“, gegen die weder juristisch noch logisch argumentiert werden könne. Zudem bestehe die Gefahr, hier einen Präzedenzfall zu schaffen.

Quelle: Unsere Zeit

BayernRepressionUZ - Unsere Zeit