Gefährliche Zuspitzung
Bisher ist die Rechnung der Putschisten in Caracas und ihrer Strippenzieher in Washington nicht aufgegangen. Der selbst ernannte »Übergangspräsident« steht ohne erkennbare (Übergangs-) Regierungsmannschaft da, umgeben immer wieder von jubelnden Anhängern, doch die große Massendemonstration, zu der Herr Guaidó für den Freitag aufgerufen hatte, blieb aus. Nun will er am morgigen Mittwoch einen neuen Versuch starten, Tausende auf die Straße zu bringen. Das birgt, wie ähnliche Aufmärsche in der Vergangenheit gezeigt haben, die immense Gefahr einer Eskalation, wenn sich genügend Randalierer finden, die Gewalt provozieren. Zumal hinter solchen Demonstrationen des Unwillens auch keine erkennbare Organisation steht.
Völlig daneben gegangen sind auch die Bestrebungen der Putsch-Regisseure in Washington, die Selbstdeklaration des Usurpators durch eine geballte Anerkennung aus aller Welt zu unterstützen. Die Regierungen, die sich bisher für eine Anerkennung des »Übergangs-Staatschefs« ausgesprochen haben, sind kaum mehr als zwei Dutzend, bei mehr als 190 Mitgliedstaaten der UNO. Die Debatte im UNO-Sicherheitsrat am Samstag war eher ein Eklat für den USA-Außenminister und früheren CIA-Chef Pompeo. In der ansonsten Washington-hörigen Organisation Amerikanischer Staaten mochten sich lediglich 15 der 34 Mitgliedstaaten der Anerkennung des Putschpräsidenten durch die USA anschließen.
Blamabel ist die Haltung einiger EU-Regierungen. Insgesamt fünf von 28 Mitgliedstaaten der EU haben dem verfassungsmäßig gewählten Präsidenten Nicolás Maduro ein Ultimatum gestellt, Neuwahlen auszurufen, ansonsten würden sie Guaidó als Präsidenten anerkennen. Die Wahlen müßten zudem »frei und fair« sein, fordern Regierende Deutschlands, Frankreichs, Spaniens, Britanniens und der Niederlande. Daß derartige Forderungen weit entfernt sind von Geist und Buchstaben des Internationalen Rechts, muß nicht gesondert betont werden.
Von großer Bedeutung für den Verlauf des Putsches ist die Haltung des Militärs. Sollte es den Putschisten gelingen, einen Teil der Streitkräfte doch noch für einen Militärsputsch zu gewinnen, dann könnte den Law-and-Order-Vertretern in Washington ein Vorwand für ein militärisches Eingreifen geliefert werden. Das wäre zweifellos der Beginn eines Bürgerkrieges, der sehr viele Opfer kosten würde. Bis Redaktionsschluß dieser Ausgabe ist es den USA allerdings nur gelungen, den Militärattaché der Botschaft Venezuelas in Washington auf ihre Seite zu ziehen und für ein Statement samt Aufruf an die venezolanischen Streitkräfte zum Verfassungs- und Eidbruch vor laufenden Kameras zu bezahlen.
Von entscheidender Bedeutung für die Zukunft Venezuelas ist es jedoch, ob es den gesunden Kräften in der Regierung und in der regierenden Vereinigten Sozialistischen Partei endlich gelingt, die richtigen Lehren aus der jüngsten Entwicklung zu ziehen. Dazu ist es, wie die venezolanischen Kommunisten fordern, dringend nötig, eine echte Allianz des Volkes zu befördern, die ihren Ausdruck in einer Regierung findet, die nicht nur den Einfluß der USA zurückdrängt, sondern mit dem Industrie- und Finanzkapital im eigenen Land aufräumt und die Spekulation und Korruption beendet. Es reicht nicht, den Sozialismus zu deklarieren, man muß auch die notwendigen politischen und wirtschaftlichen Schritte unternehmen, um aus der Bolivarischen Revolution von Hugo Chávez eine echte sozialistische Revolution zu entwickeln, die vom Volk getragen wird.
Uli Brockmeyer
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