24. November 2024

„In den Gefängnissen der Türkei ist Folter weit verbreitet und findet systematisch statt“

Der Menschenrechtsverein IHD dokumentiert in seinem „Bericht über Menschenrechtsverstöße in der Südosttürkei im Jahr 2018“ die umfassenden Repressionsmaßnahmen der türkischen Behörden im vorwiegend kurdisch besiedelten Teil des Landes, 12.02.2019

Am 5. Februar 2019 veröffentlichte der in der Türkei ansässige Menschenrechtsverein (IHD – İnsan Hakları Derneği) im Rahmen einer Pressekonferenz in Diyarbakir seinen jährlichen Bericht über Menschenrechtsverstöße in der Südosttürkei. Für das Jahr 2018 wurden u.a. 2.837 Verhaftungen (darunter 54 Kinder), 2.368 Hausdurchsuchungen und 16 Ausgangssperren dokumentiert. Die IHD-Vertreterin Rehşan Bataray Saman sprach von massiven Einschränkungen des Rechts auf Meinungs- und Informationsfreiheit und auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit. Das Hauptziel politischer Maßnahmen bestehe in der Türkei mittlerweile darin, oppositionelle Stimmen durch drakonische Strafen zum Schweigen zu bringen.

Folter und Verweigerung medizinischer Behandlung in Gefängnissen

Zur Situation in den Gefängnissen äußerte sich Bataray wie folgt: „In den Gefängnissen ist Folter weit verbreitet und findet systematisch statt. An vorderster Stelle der Menschenrechtsverstöße in den Gefängnissen stehen Folter, menschenunwürdige Behandlung, die Verweigerung medizinischer Behandlung, Isolationshaft, die Verweigerung von Zeitungen und anderen Medien und die Verhinderung von Besuchen durch Familienangehörige. In den Gefängnissen der Südosttürkei befinden sich unseres Wissens nach 402 schwer erkrankte Gefangene. 154 von ihnen werden aufgrund der Verweigerung medizinischer Versorgung praktisch dem Tod überlassen.“

Menschenrechtsverstöße auf Gefängnisinsel Imrali

Bataray äußerte sich auch zur Situation Abdullah Öcalans und drei weiterer politischer Gefangener, die allesamt auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali fest gehalten werden. Den dort Inhaftierten werde das Recht auf Besuche durch Anwälte und Familienangehörige vorenthalten. Dies stelle eine schwerwiegende Behinderung der Suche nach einer friedlichen Lösung der kurdischen Frage in der Türkei dar. Bataray erinnerte in diesem Zusammenhang daran, dass sich die HDP-Abgeordnete Leyla Güven gemeinsam mit ca. 280 Inhaftierten in verschiedenen türkischen Gefängnissen in einem unbefristeten Hungerstreik gegen die Isolation auf Imrali befinde.

Forderung nach Beendigung der bewaffneten Auseinandersetzungen

Bezüglich der andauernden militärischen Auseinandersetzungen sagte Bataray: „Als Menschenrechtsverteidiger glauben wir fest an die Möglichkeit, den Menschenrechtsverletzungen ein Ende bereiten zu können. Wir alle sind von ihnen betroffen. Wir fordern daher das Parlament in Ankara dazu auf, eine Kommission zur Untersuchung der Menschenrechtsverbrechen einzurichten, zu denen es im Zuge des Ausnahmezustandes gekommen ist, und zugleich auf ein Ende eben dieser Menschenrechtsverbrechen hinzuwirken. Die bewaffneten Auseinandersetzungen müssen sofort beendet und ein dauerhafter Waffenstillstand gewährleistet werden, um neue Verhandlungen zu ermöglichen.“

Beispiele für Menschenrechtsverbrechen in der Südosttürkei im Jahr 2018

Der IHD-Sprecher für die Südosttürkei, Abdusselam İnceören, listete die im Jahr 2018 erfolgten Menschenrechtsverbrechen detailliert auf. Dazu gehörten u.a.:

Vier Tote und vier Verletzte im Zuge wahlloser Tötungen und rechtswidrigen Waffengebrauchs; fünf Tote und drei Verletzte durch Schüsse von Dorfschützern; zwei Tote und sechs Verletzte durch unbekannte Täter; elf Tote und 106 Verletzte durch offiziell anerkannte Fehler und Fahrlässigkeit; ein totes Kind, zwei Tote Erwachsene und acht Verletzte (davon zwei Kinder) durch Unfälle mit Militärfahrzeugen; sieben verdächtige Todesfälle von Soldaten und Polizisten, die offiziell als Selbstmorde deklariert wurden, Tod eines Politikers und eines Arztes, sowie Verletzung eines Lehrer, eines Vertreters der Kommunalsverwaltung, zweier Anwälte und von fünf Ärzten als Folge bewaffneter Angriffe; zwei tote Kinder, und sechs Verletzte (zwei davon Kinder) durch Minen und Bomben in Städten der Region; Ausrufung militärischer Sperrgebiete in 46 Fällen in sechs verschiedenen Städten der Region. Teilweise periodische Verlängerung der zuvor erklärten Sperrgebiete; Ausrufung von Ausgangssperren in 16 Fällen, von denen fünf Städte, 16 Landkreise, 565 Dörfer und 657 Siedlungsflächen betroffen waren; fünf Waldbrände und Brände auf landwirtschaftlichen Flächen aufgrund von Militäroperationen und Gefechten; nicht erfolgte Übergabe des Leichnams mutmaßlicher Mitglieder von Organisationen, die von türkischen Sicherheitskräften bekämpft werden, an die Familienangehörigen in drei Fällen; Schändung von Gräbern mutmaßlicher Mitglieder von Organisationen, die von türkischen Sicherheitskräften bekämpft werden, in fünf Fällen.

Menschenrechtsverbrechen an Frauen und Kindern

Elf Selbstmorde von Frauen und vier Selbstmordversuche; 47 tote und 30 verletzte Frauen aufgrund von Gewalt durch Familienangehörige; 15 vergewaltigte Frauen; elf Übergriffe auf Frauen in der Öffentlichkeit, durch die neun Frauen verletzt wurden; zwei entführte Frauen; acht Frauen, die zur Prostitution gezwungen wurden; drei Selbstmorde von Kindern und vier Selbstmordversuche; drei tote und sieben verletzte Kinder aufgrund von Gewalt durch Familienangehörige; 82 Kinder, die von sexuellem Missbrauch betroffen waren; zehn Übergriffe auf Kinder in der Öffentlichkeit, durch die vier Kinder getötet und sechs verletzt wurden; vier entführte Kinder.

Verstöße gegen das Folterverbot

Mindestens 17 Personen, die in Gewahrsam gefoltert bzw. menschenunwürdiger Maßnahme ausgesetzt wurden; 83 Fälle von Foltern bzw. menschenunwürdiger Maßnahmen im öffentlichen Raum oder im Rahmen von Hausdurchsuchungen; 211 Gefängnisinsassen, die von Folter bzw. menschenunwürdigen Maßnahmen betroffen waren; 20 Personen, die von türkischen Sicherheitsbehörden unter Druck gesetzt wurden, um als Agenten tätig zu werden.

Verstöße gegen Recht auf Freiheitssphäre des Einzelnen

2837 Fälle, bei denen Menschen in Gewahrsam genommen wurden (davon 54 Kinder); 496 Verhaftungen (davon fünf Kinder); 2368 Hausdurchsuchungen.

Verstöße gegen Recht auf Gedankenfreiheit, Meinungsfreiheit und Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit

Verbot des alljährlich stattfindenden „Munzur Natur- und Kulturfestivals“ in der Provinz Dersim; vollständige Beschlagnahmung dreier Zeitungsausgaben und von zwölf Buchauflagen; Hausdurchsuchungen in den Räumlichkeiten eines Verlages, einer Nachrichtenagentur und einer Zeitungsredaktion (zweifach); Schließung von Online-Nachrichtenseiten in acht Fällen; Ermittlungen gegen 77 Personen aufgrund von ihnen getätigter Meinungsäußerungen; Verhängung von Geld- und Haftstrafen gegen 684 Personen, darunter Politiker, Journalisten und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes; Behinderung öffentlicher Veranstaltungen durch Sicherheitskräfte in 13 Fällen; unbefristetes oder monatlich verlängertes Versammlungsverbot in 26 Fällen.

Menschenrechtsverstöße in türkischen Gefängnissen

Verlegung von Inhaftierten in andere Haftanstalten ohne Angabe von Gründen in 165 Fällen; Verweigerung medizinischer Behandlung in 183 Fällen; Unterbindung von Familienbesuchen in 118 Fällen; Verhängung von Isolationshaft gegen mindestens 25 Inhaftierte; Einschränkung des Zugangs zu Medien in 22 Fällen; Verweigerung der Teilnahme an sozialen Aktivitäten in 18 Fällen.

Menschenrechtsverstöße im sozialen und wirtschaftlichen Leben

20 Tote und 12 Verletzte aufgrund ungenügender Sicherheitsmaßnahmen am Arbeitsplatz; Verweigerung der Lohnauszahlung in 200 Fällen; Übernahme einer Kommunalverwaltung durch einen Zwangsverwalter; Entlassung von 259 Bezirks- und Dorfvorsitzenden durch das Innenministerium

Im Original erschien der Bericht am 05.02.2019 unter dem Titel “İHD Doğu ve Güneydoğu Anadolu Bölgesi 2018 Raporu” auf der Nachrichtenseite dokuz8haber.

Quelle:

Civaka Azad – Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V.

Türkei