»Im Dienst des Volkes«
Die eigentliche Überraschung der Stichwahl in Kiew besteht darin, daß eine Reihe selbsternannter Rußland- und Ukraine-Experten am Wahlabend erklärten, sie seien »überrascht« darüber, daß Wladimir Selenski mit einem derartig deutlichen Vorsprung gewonnen hat. Da stellt sich die Frage, ob diese Leute tatsächlich bis zum letzten Moment gehofft haben, es könne anders kommen. Dabei hatten die Umfragen – und auch das ist eine Überraschung – mit beinahe exakten Zahlen dieses Ergebnis vorausgesagt.
Offenbar hatte man in Berlin in der Umgebung des Kanzleramtes nicht verwinden können, daß der Günstling des Westens, der milliardenschwere Oligarch und Rußland-Hasser Petro Poroschenko eine derartig krachende Niederlage erleiden würde. Auch der Versuch der Wahlhilfe in letzter Minute durch einen Empfang bei Kanzlerin Merkel und Präsident Macron konnte das Blatt nicht einmal andeutungsweise wenden. Herr Macron war im Gegensatz zu Frau Merkel wenigstens klug genug, am selben Tag nicht nur Poroschenko, sondern auch dessen Herausforderer Selenski zu einem Gespräch im Élysée zu empfangen.
Nun ist es also amtlich. Der neue Mann auf dem Präsidentensessel der Ukraine wird der Schauspieler und Humorist Wladimir Aleksandrowitsch Selenski. Einige Medien, darunter die Agentur dpa, geben sich große Mühe, die Schreibweise des Namens des neuen Präsidenten irgendwie »ukrainisch«, also auf keinen Fall russisch aussehen zu lassen. Sicherlich könnte man daraus einen Gag in einer neuen Folge der Serie »Im Dienst des Volkes« machen, mit der Selenski als Darsteller eines volksnahen Präsidenten bekannt wurde. Die Rückübersetzung der Schreibweise würde sicher für einige Lacher sorgen…
Mit seiner populären Serie, in der ein Präsident der Ukraine mit dem Fahrrad zum Dienst kommt und teure Uhren als Statussymbol ablehnt, konnte Selenski derartige Erfolge feiern, daß ihm 73 Prozent der Wähler zutrauen, die Rolle des Präsidenten auch im wirklichen Leben spielen zu können. Bemerkenswert dabei ist vor allem, daß Selenski bisher kaum erklärt hat, welche politischen Ziele er eigentlich verfolgen wird. Er wolle den Krieg im Osten des Landes beenden, sagte er, ohne allerdings anzudeuten, wie er das erreichen will. Über Kontakte zu den Regimegegnern im Donbass ist bisher jedenfalls nichts bekannt geworden. Allerdings scheinen vor allem die Wähler im Osten auf Frieden zu hoffen, denn dort konnte er den höchsten Stimmenanteil einfahren.
Bisher wird Selenski unterstellt, daß er den Kurs auf die Anbindung an die NATO und die EU fortsetzen werde, und daß er auch das neue Sprachengesetz unterstützt, mit dem die russische Sprache aus dem öffentlichen Leben des Landes getilgt werden soll. Ob das so ist, muß sich zeigen, denn immerhin stammt er aus dem südöstlichen Teil der Ukraine, in dem die russische Sprache tief verwurzelt ist.
Aber egal was er sich vornimmt – er muß nun dafür sorgen, auch in der Duma den nötigen Rückhalt aufzubauen, denn mangels einer eigenen Partei hat er im Parlament bisher keinen Einfluß. Und die Äußerung von Poroschenko »Ich gehe aus dem Amt, aber ich gehe nicht aus der Politik«, klingt ohnehin eher wie eine Drohung.
Allerdings müssen Herr Poroschenko und seine Freunde im Westen zur Kenntnis nehmen, daß die bisherige Politik der Putschisten in Kiew einen bisher kaum dagewesenen Scherbenhaufen in der Ukraine angerichtet hat. Ob der Neue aus dem Fernsehen damit aufräumen kann, hängt auch davon ab, wie stark der Einfluß ukrainischer Oligarchen und westlicher Rußland-Hasser in der nächsten Zukunft sein wird.
Uli Brockmeyer
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