Die Krokodilstränen des Imperialismus
Vor 30 Jahren, in der Nacht zum 4. Juni 1989, beendeten chinesische Soldaten und Polizisten eine wochenlange Revolte – die alles andere als friedlich war – auf dem Tienanmen-Platz im Zentrum der chinesischen Hauptstadt. Der Platz war von den letztlich gescheiterten Umstürzlern bewußt gewählt: Vom Tor des Himmlischen Friedens rief Mao Tse-tung am 1. Oktober 1949 die Volksrepublik China aus.
Nach Jahrhunderten der Erniedrigung und des Elends, das ihr vom Imperialismus auferlegt wurde, begann die Tausende Jahre alte chinesische Zivilisation vor bald 70 Jahren, unter Führung der Kommunistischen Partei zu ihrem alten Glanz zurückzukehren. Das Land, das ein Viertel der Menschheit repräsentiert, hat eine wirtschaftliche Entwicklung vorangetrieben, die es nicht nur erlaubte, Hunderte Millionen Menschen vom Hunger zu befreien, sondern auch zu wirtschaftlichen und sozialen Rechten zu gelangen, die in anderen Weltteilen immer öfter in Frage gestellt werden oder bis heute nicht verwirklicht sind.
Doch an solchen Menschenrechten sind westliche Liberale wie USA-Außenminister Michael Pompeo oder die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini nicht interessiert. Sie wollen den 30. Jahrestag des »Massakers« auf dem Tienanmen-Platz benutzen, um China mit ewiger Schande zu bedecken und der angeblich höheren Kultur des Westens zu huldigen.
Das war Mitte des 19. Jahrhunderts, als die »freien« Länder des Westens beabsichtigten, China den Handel mit Opium aufzuzwingen, der im Westen aus moralischen Gründen verboten war, nicht anders. Die Opiumkriege wurden seinerzeit ungeachtet der Millionen Toten und Drogenabhängigen von dem einflußreichen liberalen Denker John Stuart Mill als Beitrag zur Sache der »Freiheit« des »Erwerbers« mehr noch als für die des Verkäufers von Opium gefeiert, und von seinem französischen Geistesbruder Alexis de Tocqueville als Beitrag zum Kampf gegen den chinesischen »Immobilismus« .
Die Kommandovokabeln, die heute von Pompeo und Mogherini ausgegeben und von der westlichen Presse willfährig verbreitet werden, unterscheiden sich davon nicht sehr.
Doch 2019 jähren sich nicht nur die Ereignisse in der chinesischen Hauptstadt zum dreißigsten Mal. Am 27. Februar haben Tausende Menschen in Venezuelas Hauptstadt Caracas an den Jahrestag des »Caracazo« erinnert. Bei der blutigen Niederschlagung eines Volksaufstandes gegen die Verarmung der Bevölkerung starben Tausende Menschen. Die Demonstration richtete sich auch gegen die Invasionsdrohungen der USA und den Terrorismus der rechten Opposition. Unbekannte Täter hatten am Morgen im Hafen La Guaira ein staatliches Lager für Lebensmittel in Brand gesteckt.
Bald wird ein weiterer 30. Jahrestag fällig. Im Dezember 1989 stürzten sich US-amerikanische Bomber ohne vorherige Kriegserklärung auf den kleinen mittelamerikanischen Staat Panama und seine Hauptstadt. Nachts wurden dichtbevölkerte Stadtviertel von den Bomben und vom Feuer überrascht, vor allem Zivilisten und Arme starben, mindestens 15.000 Menschen wurden obdachlos.
Es ist leicht vorherzusagen, daß Zeitungen, die derzeit über den Tienanmen-Platz Krokodilstränen vergießen, den Jahrestag der USA-Invasion in Panama genauso übergehen werden wie sie Ende Februar den des Caracazo übergangen haben.
Oliver Wagner
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