Der Kampf um die 35-Stunden-Woche im Sozialbereich hat gesamtgesellschaftliche Dimension
Relativ unbemerkt von einer größeren Öffentlichkeit laufen derzeit die Verhandlungen der Gewerkschaften GPA und Vida im Sozialbereich mit den „Arbeitgebern“ der „Sozialwirtschaft“. Es geht um den Kollektivvertrag für über 120.000 Beschäftigte, darunter ein großer Teil an Pflegepersonal, das sind 70% Frauen, die meist in Teilzeit arbeiten.
Ein Kommentar von Michael Graber, wirtschaftspolitischer Sprecher der KPÖ.
Das Besondere dieser Verhandlungen besteht darin, dass die Gewerkschaften unter Hintanstellung einer konkreten Lohnforderung über die Einführung der 35-Stundenwoche bei vollem Lohn- und Personalausgleich verhandeln wollen. Dies ist das Ergebnis der Erfahrung der Kollektivvertragsverhandlungen vergangener Jahre, in denen jeweils ein Bündel an Forderungen darunter auch die 35-Stundenwoche gestellt wurde, die Arbeitszeitverkürzung aber jeweils auf der Strecke blieb. Die Arbeitgeber zahlten lieber ein paar Netsch mehr, als einer strukturell wirksamen Arbeitszeitverkürzung zuzustimmen. Bisher gelang es nur, einen Tag mehr Urlaub herauszuholen.
Nun sind die Arbeitgeber – darunter natürlich die großen Vereine wie Hilfswerk, Volkshilfe oder Lebenshilfe, aber auch private Anbieter von Pflegeleistungen – gezwungen ernsthaft über die 35 – Stundenwoche zu verhandeln, eine Forderung die seit Jahrzehnten bei allen ÖGB-Kongressen routinemäßig bekräftigt wird.
Und damit handelt es sich bei diesen Verhandlungen um gesellschaftspolitischen Sprengstoff, denn gelingt hier ein Durchbruch, kann das ein Ausgangspunkt auch für andere Branchen sein, noch dazu wenn er in einer Branche gelingt, die nicht so ohne weiteres von Produktivitätsfortschritten profitieren kann, deren Abgeltung anderswo – etwa in der Sachgüterproduktion – den Beschäftigten sowieso seit Jahrzehnten vorenthalten wird.
Nagelprobe auch für die Regierung
Deshalb mischen sich in diese Verhandlungen auch die Sprecher der Wirtschaftskammer und andere „Besorgte“ ein, die erkannt haben, dass es sich hier um eine für die Gewerkschaften und die österreichische Arbeiterklasse strategische Weichenstellung handelt. Zur Erinnerung: die letzte generelle Verkürzung der täglichen Arbeitszeit von 45 in Richtung 40 Stundenwoche fand 1975, also vor 45 Jahren statt. Gesamtgesellschaftliche Bedeutung erhält diese Auseinandersetzung auch dadurch, dass die Sozialvereine zum Teil von öffentlichen Subventionsgebern abhängig sind und diese laut „Presse“ (1.2.2020) „signalisiert“ haben, dass sie den Mehraufwand, den sie zu tragen hätten und der durch die Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich entsteht, nicht bereit seien zu finanzieren. Damit ist die ganze Auseinandersetzung auch eine Nagelprobe für die Regierung, die das Thema Finanzierung der Pflege und Bekämpfung des Pflegenotstandes zur Chefsache erklärt hat. Allerdings liegt bisher außer allgemeinen und unverbindlichen Floskeln seitens der Regierung nichts vor.
Die Erfüllung der Forderung der Gewerkschaften würde für die Teilzeitkräfte, die die Mehrheit der Beschäftigten im Pflegebereich stellen, neben der Arbeitszeitverkürzung durch den Lohnausgleich eine 8,5 prozentige Lohnerhöhung bedeuten und die Vollzeitkräfte würden bei gleichem Lohn von der 35 Stundenwoche profitieren. Zusätzlich würde ein Druck auf weitere Tariferhöhungen entstehen, da sonst der Mangel an Pflegekräften kaum überwunden werden wird.
Der Kampf um eine wesentliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Pflege und Sozialbereich beinhaltet also eine gesamtgesellschaftliche Dimension, die nicht hoch genug einzuschätzen ist. Falls die nächste Verhandlungsrunde wieder ergebnislos endet, sind Streikaktionen geplant. Es versteht sich von selbst, dass die KPÖ mit diesem Kampf uneingeschränkt solidarisch ist.
Salzburg: 4.2.2020, 15:15 Uhr, Platzl, Salzburg
Klagenfurt: 5.2.2020, 17:30 Uhr, Bahnhofsstraße 44 , Klagenfurt
Steiermark: 5.2.2020, 9:00 Uhr, Senecura Graz-Lend, Mariengasse 31, Graz
Tirol: 5.2.2020, 13:45 Uhr Innenhof ÖGB, Südtiroler Platz 14–16, Innsbruck
Wien: 5.2.2020, 14:00 Uhr, Stephansplatz, 1010 Wien
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