SWÖ: Ein KV-Abschluss mit katastrophalen Folgen
Ein Kommentar von Selma Schacht, Betriebsratsvorsitzende, KOMintern-AK-Rätin und Mitglied des großen Verhandlungsteams SWÖ
Nun ist es präsentiert und leider kein „April-Scherz“: Die Gewerkschaften GPA-djp und vida haben einen Kollektivvertragsabschluss im privaten Sozial- und Gesundheitsbereichs (SWÖ) durchgedrückt – ein Abschluss auf drei (!) Jahre, der sich im Wesentlichen nicht von dem zuletzt Anfang März einstimmig (!) abgelehnten Arbeitgeberangebot unterscheidet.
Die Gewerkschaftsspitzen der Branche haben gemeinsam mit den „Arbeitgebern“ offensichtlich die Corona-Krisensituation ausgenutzt. Von Seiten der Gewerkschaften hieß es auf deren Homepages bis Sonntag noch: „Dass momentan keine Verhandlungen oder Streiks stattfinden können, ist klar.“ – nun wurde trotzdem dieser Abschluss auf Biegen und Brechen im Eiltempo durchgedrückt – und das auch noch für drei Jahre! Der Protest ist abgewürgt. Eine demokratische Willensbildung und Diskussion war bei diesem Husch-Pfusch nicht möglich.
Der dynamischste Sektor der österreichischen Gewerkschaftsbewegung der letzten Jahre wurde damit auf bekannte sozialpartnerschaftliche Manier für einen paktierten langen Zeitraum stillgelegt. Die Gewerkschaftsverantwortlichen fielen so den tausenden engagierten und kampfbereiten KollegInnen in den Rücken.
Die Stimmung während der Verhandlungsphase in den Betrieben war gut und kämpferisch. Nun, in der Coronakrise, wird gerade unsere Branche als „systemrelevant“ und die KollegInnen als „HeldInnen des Alltags“ angesehen, die Öffentlichkeit und Medien sind uns gegenüber sehr positiv eingestellt. Statt dies zu nutzen für zusätzlichen Druck hinter die Forderung nach einer 35-Stunden-Woche, wurde durch die Zustimmung zu diesem KV-Abschluss eine an Dynamik zunehmende, gewerkschaftliche Bewegung und die Chance auf tatsächlich substantielle Erfolge unter Federführung der SpitzenrepräsentantInnen des gewerkschaftlichen Verhandlungsgremiums abgewürgt.
Natürlich muss auf die veränderten Rahmenbedingungen aufgrund der Corona-Epidemie eingegangen werden, und viele KollegInnen haben zu recht ihre Gehaltserhöhung dringend erwartet. Doch dies wäre auch mit einem Ein-Jahres-Abschluss als Zwischenlösung möglich gewesen, der nicht auf Jahre hinweg vom Tisch fegt, was in den Betrieben gemeinsam Stück für Stück aufgebaut wurde.
Das ein bisschen nachgebesserte Angebot der Arbeitgeber, welches in seiner Substanz in den realen KV-Verhandlungen letztes Monat noch einstimmig (!) als unannehmbar zurückgewiesen wurde und Basis für weitere Streiktage und eine nochmals ausgeweitete Arbeitskampfwelle war, wurde nun plötzlich unterschriftsreif: ein Dreijahresabschluss mit mauen Erhöhungen für heuer und nächstes Jahr und einer Mini-AZV im Jahr 2022, die wir uns durch den Wegfall jeglicher Gehaltserhöhung und mit einer Verschlechterung der Mehrarbeitszuschläge auch noch selbst zahlen.
Natürlich sinnvoll ist die Vereinbarung einer Corona-Zulage, aber diese ist unabhängig vom Kollektivvertrag zu betrachten. Diese Zulage hätte kein Grund für einen Abschluss sein dürfen, wie in anderen Branchen könnte sie auch unabhängig davon vereinbart werden.
Sang- und klanglos entsorgt wurden die klaren Beschlüsse der Belegschaften, bei Nichterfüllung unserer Forderungen nach der Coronakrise den Druck in Richtung SWÖ und Subventionsgebern weiter zu erhöhen und den Arbeitskampf zu intensivieren. Gleichzeitig wurde damit die bunte, kämpferische Protest- und Streikbewegung kalt abgewürgt – obwohl die Streikfront weiterhin österreichweit stand. „Lieber `sozialpartnerschaftliche Gesamtverantwortung´ als Arbeitskampf für die Interessen der Beschäftigten“ ist die damit klar ausgesprochene unterwürfige Botschaft.
Die Auseinandersetzungen der letzten Jahre, insbesondere heuer, waren mit in ihrer großen Dynamik und Breite die intensivsten, die Schritt für Schritt an Kampfbereitschaft zugelegt haben. Damit war die Branche aktuell die Vorreiterin und Speerspitze auf gewerkschaftlicher Ebene im Kampf um die 35-Stunden-Woche. Mit einem Drei-Jahres-Abschluss wird die Mobilisierungsfähigkeit, das Wissen um die (Selbst-)Organisation von Arbeitsniederlegung, gewonnene Einsichten in die eigene Kraft und die gewerkschaftliche Kampfbereitschaft im Sozial- und Gesundheitsbereich massiv eingebremst und unterminiert bzw. geht über die Jahre auch zum Teil verloren.
Mit diesem Einknicken und klein beigeben der Gewerkschaftsspitzen, den Arbeitskampf nicht in aller Entschlossenheit und Konsequenz bis zum erreichbaren Erfolg zu führen, verwässern die Gewerkschafts-Oberen zugleich die hohe Kampfbereitschaft der Beschäftigten und unsere Aktionen und Streiks.
Und last but not least, so zeigen gerade die aktuellen Erfahrungen mit diesem KV-Abschluss auf, bedarf es neben der breiten, aktiven Einbeziehung der Beschäftigten endlich Urabstimmungen über die Ergebnisse von KV-Runden.
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