Griechische Regierung degradiert Flüchtlinge zur politischen Verhandlungsmasse
PRO ASYL bezeichnet die Haltung der griechischen Regierung als völlig inakzeptabel. Sie verabschiedet sich von Menschenwürde und Menschenrecht. Am 7. Tag nach der Katastrophe sind die Betroffen immer noch weitgehend schutzlos ohne ausreichende Versorgung. Die griechische Regierung degradiert Flüchtlinge zur politischen Verhandlungsmasse, will Haftlager durchsetzen und nur wenigen Anerkannten die Ausreise erlauben.
PRO ASYL fordert die Bundesregierung auf, sich dem entgegenzustellen und alle Schutzsuchende von den griechischen Inseln zu evakuieren. Die heute von Merkel und Seehofer angekündigte Aufnahme von 1500 Kindern und Familien ist nicht ausreichend, zumal dies auch noch teilweise Anerkannte sein sollen.
Der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis hatte gestern angekündigt, dass kein einziger Flüchtling aus Moria ausreisen darf. Schutzsuchende sollen im neuen, provisorischen Lager eingesperrt auf den Abschluss ihres Asylverfahrens warten. Die Zustände sind seit Jahren skandalös, der Zugang zum Rechtsstaat ist nicht gewährleistet.
Auch die Aussage, nur Anerkannte von den Inseln wegzubringen, verkennt drastisch die Lage anerkannter Geflüchteter auf dem Festland. Die Situation der Anerkannten in Griechenland ist perspektivlos. Die ohnehin schwierige Situation wurde durch Gesetzesänderungen der griechischen Regierung dramatisch verschärft.
Eine Gruppe in existenzieller Notlage wird gegen eine andere ausgespielt. Die griechische Regierung führte mit Rückendeckung der anderen EU-Staaten die Situation auf den Inseln sowie auf dem Festland herbei. PRO ASYL befürchtet, dass sie und die EU-Kommission diese Situation nun dafür nutzen, um Asylverfahren in geschlossenen Lagern an der Grenze mit Umverteilung ausgewählter Anerkannter durchzusetzen. Nächste Woche will die EU-Kommission ihren Vorschlag vorstellen. Die Ideen wurden in Deutschland mitentwickelt.
Während Deutschland darum streitet, wie viele aufgenommen werden sollen, wird parallel ein System der Grenzlager mit katastrophalen Auswirkungen auf den Zugang zum Recht auf Asyl zementiert. In Haftlagern an der Grenze gibt es keine fairen Asylverfahren. Die dort Festsitzenden sollen solange ausharren, bis sie zermürbt sind oder in die Türkei und andere Staaten abgeschoben werden können.
Zur Situation von Anerkannten
Die Situation der Anerkannten in Griechenland ist in der Tat hoffnungs- und perspektivlos. Allerdings wurde die ohnehin schwierige Situation durch die Gesetzesänderungen genau dieser griechischen Regierung dramatisch verschärft.
Seit dem Regierungswechsel in Griechenland im Juli 2019 haben sich die Lebensbedingungen für Menschen mit internationalem Schutz weiter verschlechtert. Im April 2020 erklärte der neue Minister für Migration und Asyl, Notis Mitarakis, dass Personen, die einen Schutzstatus erhalten, »von diesem Zeitpunkt an verpflichtet sind, für sich selbst zu sorgen, so wie es jeder Bürger tut«.
Diese Leitlinie wird in den jüngsten Gesetzesänderungen deutlich. Der Zugang zur staatlichen Hilfe bleibt für anerkannte Flüchtlinge mangelhaft, ein umfassendes Integrationsprogramm ist weiterhin nicht vorhanden. Durch hohe Voraussetzungsketten sind elementare Leistungen wie die medizinische Versorgung für viele nicht zugänglich.
Gesetzesnovelle setzt Anerkannte auf die Straße
Bisher wurden international Schutzberechtigte in Griechenland, die während des Asylverfahrens in einer temporären Aufnahmeeinrichtung gelebt hatten, nach positivem Abschluss des Asylverfahrens weitere 6 Monate in den Unterkünften geduldet. Ab 1. Mai sind nun alle Personen verpflichtet, 30 Tage nach Bekanntgabe des Schutzstatus die temporären Wohnungen und Lager zu verlassen. Lediglich in besonderen Härtefällen ist eine Verlängerung möglich.
Trotz zahlreicher Warnungen der griechischen Zivilgesellschaft und des UNHCR wurden somit 11.237 Menschen aufgefordert, ihre Unterkünfte am 01. Juni zu verlassen. Viele sind der Aufforderung nachgekommen. Hinzu kommen Tausende international Schutzberechtigte, die bereits obdachlos sind, inoffiziell in Camps oder unter anderen unzumutbaren Wohnungsbedingungen leben, weil sie nie in Aufnahmeeinrichtungen leben konnten, oder diese bereits verlassen mussten. Und die Zahl der Betroffenen steigt mit jeder Person, die einen Schutzstatus erhält.
Der Irrlauf durch die Behörden
Theoretisch sollten Schutzberechtigten soziale Rechte wie Sozialleistungen, Leistungen des Gesundheitssystems und die Unterbringung in Obdachloseneinrichtungen offen stehen. Dafür wird eine Vielzahl von Dokumenten benötigt. Die Ausstellung dieser Dokumente ist problematisch, da sie an Voraussetzungen geknüpft sind, die viele international Schutzberechtigten nicht erfüllen und teils wechselseitig vom Vorhandensein weiterer Dokumente abhängig sind. Das führt dazu, dass die wenigsten international Schutzberechtigten in der Lage sind, sie zu beschaffen und von den begrenzten Hilfsangeboten ausgeschlossen bleiben.
Ein Beispiel dieser endlosen Schleife ist die griechische Steuer-Identifikationsnummer (AFM) – sie wird benötigt um eine Wohnung zu mieten, eine Sozialversicherungsnummer (AMAK) zu beantragen und Zugang zum Arbeitsmarkt und zur Sozialhilfe zu erhalten und ein Bankkonto zu eröffnen. Um sich für die Ausstellung der AFM beim Finanzamt zu registrieren, ist ein Nachweis über den Wohnsitz notwendig. Menschen, die obdachlos sind oder einen entsprechenden Nachweis nicht vorlegen können, erhalten keine Steuer-Identifikationsnummer. Zwar würde auch ein Nachweis über die Wohnungslosigkeit zur Ausstellung genügen, der allerdings ist für viele fast unmöglich zu bekommen. Der Nachweis ist an die Bedingung geknüpft, dass Streetworker*innen der Stadt Athen Obdachlose persönlich auf der Straße antreffen.
Scheitern betroffene Personen mit internationalem Schutz an der Ausstellung einer Steuer-ID, erhalten sie auch keine Sozialversicherungsnummer (AMKA), die allerdings Grundvoraussetzung ist, um Zugang zum schwer gebeutelten Gesundheitssystem und Arbeitsmarkt zu erhalten. Wer keine Sozialversicherungsnummer hat, muss die Kosten für medizinische Behandlung selbst tragen. Nicht nur in Fällen, in denen eine regelmäßige fachärztliche Behandlung notwendig ist, können sich Betroffene eine medizinische Behandlung daher nicht leisten.
Der Bericht »Recognised but unprotected: The situation of refugees in Victoria Square« (August 2020) von PRO ASYL / Refugee Support Aegean dokumentiert die Situation vulnerabler afghanischer Familien, die im Sommer 2020 begleitet wurden. Der Bericht zeigt, dass selbst Familien mit kleinen oder kranken Kindern keine Hilfe erfahren und stattdessen Opfer von Polizeigewalt werden.
Weitere Informationen zur Lage anerkannter Flüchtlinge finden Sie hier.
Quelle: