König, Krise, Konfrontation
Karl Marx schrieb einst, dass im kapitalistischen Zeitalter die Monarchie letztlich nur noch ihren Reichtum zu verknuspern hätte – politische Macht sollte ihr durch die Entwicklung einer Bourgeoisie sowie durch die eintretende proletarische Revolution fortan versagt bleiben. Seiner Analyse zufolge stehen die aus dem Feudalismus stammenden Strukturen der Bewegung der Geschichte hin zum Fortschritt diametral entgegen. Blickt man auf der Welt umher, existieren bis heute monarchistische Figuren als „Grüßauguste“ einer längst in die Hände der ausgebildeten Bourgeoisie übergegangenen Staatsmacht. Eines der Länder, in denen es noch eine solche Monarchie gibt, ist das unter studentischen Backpackern und deutschen Pauschalurlaubern beliebte Thailand. Zwischen Muay-Thai, Traumstrand und kulinarischen Kuriositäten dürfte den meisten Reisenden kaum bewusst sein, welcher Wind im Königreich weht: Seit 2016 sitzt Maha Vajiralongkorn Bodindradebayavarangkun (Rama X.) auf dem Thron, der dieses Amt von seinem Vater ererbt hat. Seit dem Beginn der konstitutionellen Monarchie im Jahr 1932 segnete die Familienherrschaft weit mehr als 20 politische Putsche ab, der Letzte seiner Art datiert aus dem Jahr 2014 und brachte General Prayut Chan-o-cha an die Schalthebel der Macht.
Schon vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie, bei der Thailand mit rund 3.500 Fällen bei 58 Verstorbenen (Stand: 11. September) vergleichsweise unbeschadet davonkam, obwohl es den ersten Corona-Fall außerhalb von China vermeldete, kam es zu Demonstrationen. Der notwendig gewordene Lockdown verhinderte eine breite Konfrontation, verschärfte jedoch die ökonomischen Probleme der arbeitenden Klasse. Bei gerade einmal 5.000 Baht (136 Euro) monatlicher Sozialhilfe droht der Sturz ins Bodenlose – die Selbstmordrate schwillt an. Die zweitgrößte Nationalökonomie in Südostasien schrumpft nach Angaben der thailändischen Notenbank im zweiten Quartal um 12 Prozent – für das Gesamtjahr sind 8 Prozent prognostiziert. Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise dürften die Verluste der Tsunami-Katastrophe von 2004 sowie die der Asien-Krise der 1990er Jahre übersteigen. 2019 wuchs die Wirtschaft nur leicht, das Aufschließen des Schwellenlandes zu den Industrienationen gelang nicht. Die Zahl der in Armut lebenden Menschen hingegen explodierte binnen fünf Jahren. 2015 lebten 5 Millionen von weniger als 3,10 Dollar am Tag – im Jahr 2020 sollen es mehr als 6,7 Millionen Menschen sein, Tendenz steigend. Gründe zum Aufstand gibt es reichlich: Korruptionsskandale, eine undemokratische Scheinwahl, das strikte Abtreibungsrecht, die Repression gegen demokratische Kräfte, explodierende Ausgaben im Militärhaushalt, miserable Rechte für Arbeiterinnen und Arbeiter, kaum Frauenrechte, die grassierende Armut sowie nicht zuletzt der auf offenes Missfallen stoßende opulente Lebensstil des Monarchen.
Rama X. verbringt kaum Zeit im heimischen Reich, verlebt seine Tage umgeben von Dutzenden Konkubinen in einem Luxushotel in Garmisch oder in seiner privaten Villa am Starnberger See. Dort geriet er in das Visier des Fiskus: Rama X. soll nach dem Ableben seines Vater 2016 rund 10 Milliarden Euro geerbt haben – Erbschaftsteuer sowie fällige Abgaben zahlte er offenbar nie. Nach einer Anfrage der Partei „Bündnis 90/ die Grünen“ mauerte der zuständige Finanzminister Füracker im bayrischen Landtag: Unter Berufung auf das Steuergeheimnis, sei „der Fall aus diplomatischen und außenpolitischen Gründen gesondert“ behandelt worden. Ärger gab es dazu mit dem Gesundheitsamt in Garmisch, da dieses zunächst aufgrund des Verstoßes gegen die Corona-Auflagen ermittelte, die Unterbringung von Gästen war verboten – Rama X. bekam eine staatliche Sondergenehmigung.
Mitte August bahnte sich die anhaltende Wut erneut geballt ihren Weg an die frische Luft, zuvor war die Oppositionspartei „Future-Forward“ des Unternehmer Thanathorn Juangroongruangki verboten worden – Zehntausende Menschen fanden den Weg zu einer Demonstration am „Demokratiedenkmal“ von Bangkok. Dieses erinnert pikanterweise an die Abschaffung der absoluten Monarchie vor 88 Jahren. Die Organisatoren der Gruppe „Free Youth“ formulieren klare Ziele: Auflösung des Parlamentes, eine neue Verfassung, Neuwahlen sowie ein Ende der drakonischen Strafen für Monarchie-Beleidigung.
Beachtenswert ist hierbei die entstandene Dynamik: Die zumeist studentischen Aktivisten aus Thailand beziehen sich offen auf die vom Imperialismus in Beschlag genommenen (oder gegründeten) Bewegungen in Taiwan oder Hongkong, haben aber im Gegensatz zu den Bewegungen dort progressive Forderungen. Während die Demonstrationen in den Metropolen anhalten, bleibt es im Rest des Landes ruhig. Das Bild wird durch Schülerinnen und Schüler sowie Studentinnen und Studenten geprägt – die Arbeiterklasse sucht man weithin vergeblich. Im Strudel zwischen staatlicher Repression, bürgerlich-liberaler Ideologie und organisatorischer Führungslosigkeit droht die Bewegung zerrieben zu werden. Klassenkämpferisch-antiimperialistische Elemente sind nicht zu erkennen. Dies mag auch am langjährigen Verbot einer kommunistischen Partei im Land liegen, trotzdem ist ein erster Schritt im Kampf um Bewusstsein und Befreiung getan.
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