23. November 2024

Briten wollen raus

»Wir sind draußen« titelte der Daily Mirror. Quelle: mirror.co.ukDie Briten haben für den Austritt aus der Europäischen Union gestimmt. Nach Auszählung aller 382 Stimmbezirke votierten 51,9 Prozent der Abstimmungsteilnehmer für den Brexit, das sind 17,4 Millionen Menschen. Damit lagen die EU-Gegner am Ende 1,3 Millionen Stimmen vor denen, die in der EU bleiben wollten. Die Ergebnisse sind in den verschiedenen Landesteilen sehr unterschiedlich. In England und Wales liegt der Brexit offenbar deutlich vorn, dagegen votierten Schottland und Nordirland für einen Verbleib in der EU. Die Beteiligung am Referendum lag bei rund 72 Prozent.

Die Kommunistische Partei Britanniens (CPB) feierte das Ergebnis als einen »Sieg für die Volkssouveränität«, der ein schwerer Schlag für die »herrschende Kapitalistenklasse Britanniens, ihre angeheuerten Politiker und ihre imperialistischen Verbündeten in der EU, den USA, dem IWF und der NATO« darstelle. »Das Volk hat gesprochen, und die Volkssouveränität verlangt nun, dass das Westminster-Parlament seine Entscheidung akzeptiert und umsetzt. Die Linke muss nun ihre Anstrengungen verstärken, damit das Ergebnis des Referendums zu einer Niederlage für die gesamte Achse EU-IWF-NATO wird«, heisst es in dem Statement der Partei (vollständiger Text hier).

Als einer der ersten Politiker hatte der frühere Unterhausabgeordnete George Galloway, der die Labour-Partei 2003 wegen der Unterstützung des Irak-Kriegs verlassen hatte, schon am frühen Morgen den Ausgang des Referendums kommentiert. Auf Twitter schrieb er: »Erst haben sie uns ignoriert. Dann haben sie uns ausgelacht. Dann haben sie uns angegriffen. Dann haben wir gewonnen.«

Die in beiden Teilen irlands aktive Linkspartei Sinn Féin geht davon aus, dass der Austritt aus der EU »massive Auswirkungen für den britischen Staat in seiner bisherigen Form haben« wird. Die Partei will nun offenbar ähnlich wie die schottische Regierung ein Referendum über den Verbleib Nordirlands im »Vereinigten Königreich« durchsetzen. Ein solches Referendum ist im Karfreitagsabkommen von 1998 vorgesehen, wenn ein »nicht unerheblicher Teil« der Bevölkerung dies fordert. Ebenso wie in Schottland hatte sich auch in Nordirland eine große Mehrheit der Wähler für den Verbleib Großbritanniens in der EU ausgesprochen, sie waren jedoch von Wales und England überstimmt worden. Nun dient das als Argument, den Verbleib in der EU durch den Austritt aus dem UK zu erreichen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zeigte sich enttäuscht und erklärte man müsse dafür sorgen, »dass die Bürgerinnen und Bürger konkret spüren können, wie sehr die Europäische Union dazu beiträgt, ihr persönliches Leben zu verbessern«. Der DKP-Vorsitzende Patrik Köbele kann dem nichts abgewinnen: »Die arbeitenden Menschen in Europa spüren konkret, wie das imperialistische Staatenbündnis EU dazu beiträgt, ihr Leben zu verschlechtern. Spardiktat und Abschottung, Demokratieabbau und Kriegspolitik: Die EU ist ein Werkzeug der Banken und Konzerne. Deshalb begrüßt die DKP die Entscheidung der britischen Wähler, die EU zu verlassen. Dabei sehen wir natürlich auch die rechten Kräfte im Brexit-Lager. Sie haben die sozialen Probleme benutzt, um Angst vor Flüchtlingen zu schüren. Diese Kräfte sind und bleiben unsere Gegner. Wir sind mit dem anderen Nein verbunden: Dem Kampf für einen linken EU-Austritt, dem ›Nein‹ zur EU als ›Ja‹ zur internationalen Solidarität, dem ›Leave‹-Votum, das eine soziale Politik fordert. Dieses andere ›Nein‹ zur EU zeigt eine Alternative zur asozialen Politik der EU und zur rassistischen Hetze der Rechten.«

Die Landesorganisation Steiermark der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ) begrüßt das Ergebnis der Abstimmung: »Die Menschen werden sich jetzt selbst ein Bild machen können, ob die vorhergesagten Szenarien im Falle eines Austrittes tatsächlich eintreten. Die Kluft zwischen den Eliten, die von der EU profitieren, und der Bevölkerung, auf deren Kosten dieser Umbau stattfindet, wird immer größer. Die soziale und politische Krise, die immer weitere Teile der EU umfasst, ist davon nicht zu trennen. Die Europäische Union übernimmt als übergeordnetes politisches Gebilde viele Aufgaben, die auf nationalstaatlicher Ebene in den Mitgliedsstaaten auf demokratischem Wege nicht durchzusetzen wären. Privatisierungen und Deregulierungen haben weder vor Industriebetrieben, noch vor dem Bildungswesen, der Gesundheitsversorgung oder den sozialen Sicherungssystemen Halt gemacht. Die Vermögen Weniger sind rasant gestiegen, während die Kaufkraft der breiten Masse stagniert oder sogar gesunken ist. Die EU in ihrer derzeitigen Form hat keine Zukunft. Die Ablehnung der EU wächst. Die Menschen wollen keine Abschottung, aber sie wollen auch ein System nicht mehr mittragen, das ihnen so viele Nachteile bringt.« (Vollständiger Text hier)

Der für die Satirepartei »Die PARTEI« im Europaparlament sitzende Martin Sonneborn teilte über Facebook kurz mit: »Vielen Dank für die Presseanfragen; aber wir haben die ganze Nacht Champagner getrunken…«

Auch mehrere Europaabgeordnete der deutschen Linkspartei meldeten sich am Morgen zu Wort. Die Sprecherin der Linke-Delegation im EU-Parlament, Cornelia Ernst, forderte, dass Ergebnis des Referendums zu respektieren, warnte jedoch, weder die Probleme der Menschen in Großbritannien noch die existentiellen Probleme der EU würden durch den Austritt der Briten gelöst. »Deshalb darf es in der EU nun kein ›Weiter so‹ geben, es braucht tiefgreifende Reformen: Wir wollen kein Europa der Konzerne, wir wollen eine soziale und demokratische Union der Bürgerinnen und Bürger.« Die Fraktionsvorsitzende der Linksfraktion GUE/NGL, Gabriele Zimmer, erklärte: »Die Regierenden in der EU müssen jetzt aufpassen, dass ihnen die weiteren Entwicklungen nicht entgleiten. Der Brexit könnte ein politisches und institutionelles Erdbeben auslösen, mit dem der Erosionsprozess der EU beschleunigt wird. Wir fordern ein schnelles und radikales Umdenken. Niemand kann einfach so weitermachen. Wenn die EU weiter ein Projekt der Banken, Großkonzerne und marktradikalen Eliten bleibt, wird sie für die Mehrheit der europäischen Bevölkerungen eines Tages überflüssig.«

Fabio De Masi forderte, die EU müsse sich grundlegend neu erfinden: »Wir dürfen Europa nicht den Mächtigen und den Märkten überlassen. Wir brauchen einen Aufbruch mit einer Vertragsreform sowie Volksentscheiden in allen EU-Mitgliedstaaten.« Sein Fraktionskollege Thomas Händel hält die Entscheidung der Briten für eine »schlechte Entscheidung« hinsichtlich der Rechte von Beschäftigten: »Bald könnte es viele EU-Schutznormen dort nicht mehr geben. Das ist bedauerlich. Für Europa muss nun gelten: Es braucht eine grundlegende Erneuerung, demokratisch und sozial. Neoliberalismus und Austerität haben fertig!«   Sabine Lösing ihrerseits verweist, dass die Diskussion um den Brexit »auf beiden Seiten oft eine sehr hässliche, rassistische Fratze« getragen habe. »Die tieferliegenden sozialen Probleme wurden aus meiner Sicht weder von der einen noch der anderen Seite angesprochen. Diese Debatte hätte Gutes bringen können, wenn die Menschen sie als Anlass genommen hätten, sich mit den zugrundeliegenden Problemen neoliberaler Politik auseinanderzusetzen. Stattdessen wurde die Zuwanderung zum Sündenbock gemacht. Wie auch immer man diese Entscheidung findet: ich hoffe, dass sie nicht zu noch mehr Fremdenfeindlichkeit führt.«

Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Reiner Hoffmann, bedauerte zutiefst die Entscheidung der britischen Bevölkerung, »Europa verlassen zu wollen«, wie es eine Pressemitteilung des DGB formulierte. »Ich halte die Entscheidung für falsch, aber es ist eine demokratische Entscheidung, sie muss respektiert werden. Nun gilt es, die Austrittsverhandlungen so zu führen, dass sie nicht zulasten der Bürgerinnen und Bürger gehen. Die EU-Kommission und die Regierungen der Mitgliedsstaaten müssen sich jetzt für die Beschäftigten und ihrer Familien und gegen eine weitere Polarisierung der Gesellschaften und soziale Spaltung einsetzen. Wir brauchen jetzt eine offene und ehrliche Debatte über den sozialen Zusammenhalt in Europa. Dazu gehört eine Abkehr vom Sparkurs: Die EU muss investieren, um Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen und die Arbeitnehmerrechte zu stärken. Die Freizügigkeit muss erhalten bleiben.«

Quellen: BBC, Sky News, Guardian, Wikipedia, Kommunistische Partei Britanniens, Sinn Féin / RedGlobe

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