Offener Brief türkischer politischer Gefangener
Nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei am 15. Juli hat sich die Situation für alle Kritiker der AKP-Regierung verschärft. Mit Datum vom 31. August hat sich eine Reihe von politischen Gefangenen zu Wort gemeldet. Die Informationsstelle Kurdistan verbreitete am Montag die deutsche Übersetzung dieses Statements:
Wir schreiben an Sie als VertreterInnen der internationalen Medien, weil wir hoffen, so unserer Stimme Gehör zu verschaffen.
Sie wissen von der Unterdrückung der Presse in der Türkei, bzw. dass die Schließung von Presseeinrichtungen auf der Tagesordnung der AKP-Regierung steht. Aktuell wurde die kurdische Tageszeitung „Özgür Gündem“ geschlossen. Als politische Gefangene aus der PKK und PAJK haben wir jahrelang versucht, über die Zeitung „Özgür Gündem“ die Außenwelt über die existierenden Rechtsverletzungen und Repressionen in türkischen Gefängnissen zu informieren. Doch ist mit der Schließung dieser Zeitung uns die Möglichkeit genommen, gegen ein Rechtssystem, das vollständig dem AKP-Staat mit seiner Politik dient und in dem oppositionelle Medien nahezu ausgeschaltet sind, öffentlich zu kämpfen. Parallel dazu nimmt die Unterdrückung hier zu.
So wie der eigentliche Grund für die grenzüberschreitenden Militäraktionen der Türkei in Nord-Syrien die Einheiten der YPG sind, so ist auch Fethullah Gülen nur ein Vorwand für den Ausnahmezustand (…) In den türkischen Gefängnissen gibt es Zehntausende kurdische politische Gefangene. Abdullah Öcalan befindet sich seit nahezu 18 Jahren unter verschärften Isolationsbedingungen in Haft. Zwar hat Abdullah Öcalan dank der massenhaften Proteste im In- und Ausland nach 1 ½ Jahren zum ersten Mal wieder Kontakt zur Außenwelt in Gestalt seines Bruders Mehmet Öcalan bekommen, doch befindet er sich weiterhin unter dem Vorwand des Ausnahmezustandes unter verschärften Isolationsbedingungen. Die kurdischen politischen PKK/PAJK-Gefangene werden tagtäglich von einem Gefängnis in ein anderes überstellt. Zu den Transporten und bei der Aufnahme in ein neues Gefängnis werden diese vollständig entkleidet und durchsucht und sind der Folter ausgesetzt. Diese Überstellungen und Transporte werden in so hoher Anzahl und so rasch vollzogen, dass viele Angehörige keine Nachricht darüber erhalten und oft nicht wissen, wo sich ihre gefangenen Familienmitglieder befinden. Selbstverständlich dient dies einzig und allein dem Zweck, den Willen der Gefangenen zu brechen. Und in dieser Situation ist der für uns so wichtige Weg an die Öffentlichkeit geschlossen worden.
Abdullah Öcalan führt seit Jahren ein Leben unter verschärften Isolationsbedingungen. Dass Isolation Folter und damit eine Menschenrechtsverletzung bedeutet, ist hinlänglich bekannt. Dazu zu schweigen bedeutet, sich mitschuldig zu machen. Außer um auf die Verletzung der Rechte von politischen Gefangenen hinzuweisen ist der Grund für diesen Aufruf, dass wir das Leben von jedem und jeder politischen Gefangenen in Gefahr sehen – zuallererst das Leben von Abdullah Öcalan. Damit die Öffentlichkeit hierüber nicht in Kenntnis gesetzt werden kann, ist der Weg in Gestalt der Zeitung „Özgür Gündem“ nun geschlossen worden. Es hat immer Misshandlungen und Willkür auch gegen nicht-politische Gefangene gegeben. Wegen Drogendelikten, Diebstahl, Überfall, Mord und ähnlichen Delikten Inhaftierte werden in den Gefängnissen aber heute mehr als je zuvor eher weiter in die Kriminalität getrieben, als dass sie eine Resozialisierung erfahren. Sie werden in sklavenartiger Art und Weise zur Arbeit im Bereich der Reinigung, Küche und verschiedenen Textilwerkstätten herangezogen. Je voller die Gefängnisse werden, desto mehr werden aufgrund neuer Gesetze, sogenannte Amnestie-Gesetze, entlassen. Da es hierbei aber keine Gleichbehandlung gibt, muss man sagen, dass in der Türkei keine gerechte Strafvollstreckung existiert.
Nach dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 trat in der Türkei ein Ausnahmezustand in Kraft. Eigentlich darf der Ausnahmezustand die Grenzen der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht überschreiten. Aber die Maßnahmen des Ausnahmezustandes in der Türkei überschreiten diese ganz klar. Zum Beispiel: die Maßnahmen dürfen nur für die Zeit des Ausnahmezustandes ergriffen werden. Jedoch wird dieser derzeit mit der Begründung des Anti-Terrorkampfes immer weiter verlängert und wird so zum Normalzustand. Die Verlängerung der Incommunicado-Haft auf 30 Tage und die Verhinderung von Anwaltsbesuchen sind Rechtsverletzungen gegen die Person und legalisieren die Isolation der Festgenommenen. Der Folter wird somit Tür und Tor geöffnet.
Im Rahmen des Anti-Terrorkampfes ist es ferner möglich, das für politische Gefangene geltende Besuchsrecht (alle 2 Monate) sowie die zehnminütigen Telefongespräche mit Familienangehörigen zu verweigern, Treffen mit Rechtsanwälten nur unter laufender Kamera oder anwesendem Gefängnispersonal zuzulassen. Dies alles stellt eine Legalisierung der ohnehin schon seit Jahren existierenden Rechtsverletzungen für uns politische Gefangene dar und gleichzeitig verschärft sich die Situation. Es gibt für uns keine Instanz, an die wir uns wenden können, um rechtlich dagegen vorzugehen. Heute unterliegt das Rechtssystem sowie die Presse dem osmanischem Sultan RTE (Recep Tayyip Erdogan) .
Mit der Schließung der Tageszeitung Özgür Gündem ist uns nun die Möglichkeit genommen, unsere Stimme in der Öffentlichkeit hörbar zu machen, zudem können wir die Entwicklungen auf der Welt nicht verfolgen, auch nicht den Verlauf des so nahen Krieges in Syrien. Die Situation in den Gefängnissen der Türkei ist gezeichnet von Verfolgung, Isolation und Deportation, von der Verletzung der Menschenwürde, allein schon durch die Durchsuchungen im unbekleideten Zustand bei den Verlegungen in ein anderes Gefängnis. Es gibt eine Unmenge von Rechtsverletzungen gegenüber den Gefangenen. Es gibt schwerkranke Gefangene, die trotz ihrer Krankheit und Haftunfaähigkeit nicht entlassen werden. Es gibt eine eklatante Ungleichbehandlung bei der Umsetzung der Strafvollzugsgesetze. Es gibt viele Gefangene, die lebenslänglich inhaftiert sind.
Mit allen von uns angesprochenen Punkten versuchen wir Ihnen die Realität der Türkei zu verdeutlichen. Wir hoffen, dass Sie unseren Aufschrei hören und für andere hörbar machen.
Gefangene der PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) und PAJK (Partei der freien Frauen Kurdistans) im Gefängnis von Gebze/Izmit – 31.08.2016
Quelle: Demokratie hinter Gittern / RedGlobe