23. November 2024

junge Welt wird 70 Jahre alt

junge Welt 1947 und 2017. Grafik: Verlag 8. MaiAm Sonntag feiert die in Berlin erscheinende überregionale Tageszeitung »junge Welt« 70 Jahre alt. Dabei schien bereits im April 1995 das Ende der einst auflagenstärksten Zeitung der DDR besiegelt. Mittlerweile ist es der Zeitung gelungen, die verkaufte Auflage wieder auf 20.000 Exemplare zu steigern und ihren Verlag auf ökonomisch stabile Grundlagen zu stellen. Verlagsgeschäftsführer Dietmar Koschmieder führt das nicht nur auf die Inhalte der Zeitung, sondern auch auf die besonderen Eigentumsverhältnisse der Zeitung zurück.

Am 12. Februar 1947 erscheint die erste Ausgabe der »Jungen Welt«. Die Redaktion arbeitet in einem halb zerstörten Haus in der Berliner Kronenstraße. Aus der Wochenzeitung wird eine Tageszeitung und das Organ des Zentralrats der FDJ – Zielgruppe sind Jungleser im Alter von 14 bis 18 Jahren. Dabei bleibt es aber nicht, mit täglich bis 1,5 Millionen Exemplaren entwickelt sie sich zur auflagenstärksten Zeitung der DDR.

Das ändert sich rasch in den Jahren nach 1989. Der Verlag der Zeitung wird wie die meisten sozialistischen Betriebe filetiert und aufgelöst. Interessante Produkte wie die Tageszeitung »Junge Welt« bieten die Abwickler Westinvestoren an. Den Zuschlag bekommt eine Westberliner Mediengruppe. Es folgen wirre Jahre mit diversen Verlagskonstruktionen, Eigentümerwechseln, Auslagerungen von Teilbereichen, nur ein klares inhaltliches Profil ist nicht erkennbar. Die Auflage der »Jungen Welt« sinkt. Es gibt Überlegungen, die Zeitungen »Junge Welt«, »Neues Deutschland« und »Freitag« zur Ostdeutschen Tageszeitung zusammenzulegen mit Hermann L. Gremliza, Gregor Gysi und Günter Gaus als Herausgeber.

Auch daraus wird nichts, immerhin entwickelt Gremliza ein brauchbares inhaltliches Konzept für die »Junge Welt«, das dann im Mai 1994 umgesetzt wird. Zwar interessieren sich durch diese Veränderungen erstmals Leser auch in den alten Bundesländern für das Blatt, die verkaufte Auflage der »jungen Welt« schrumpft trotzdem weiter. Am 5. April 1995 teilen die Westeigentümer der Belegschaft mit, dass die Zeitung eingestellt wird.

Aber es kommt anders: Betriebsratsvorsitzender Dietmar Koschmieder gründet gemeinsam mit einem Kollegen den Verlag 8. Mai GmbH, nur wenige Tage später wird die Produktion der »jungen Welt« wieder aufgenommen. Länger dauert es, bis die eigene Genossenschaft eingetragen und genügend Kapital eingesammelt hat: Im März 1998 übernimmt die Genossenschaft LPG junge Welt eG mit 52 Prozent die Mehrheit am Stammkapital der Verlag 8. Mai GmbH, Geschäftsführer Koschmieder bleibt mit 48 Prozent Minderheitsgesellschafter. Die Genossenschaft gewährt Kredite, finanziert Investitionen, hilft bei bilanzieller Überschuldung. Seit der Jahrtausendwende kann die »junge Welt« auf eine stabile Aboentwicklung bauen – auch weil sich die Nutzer der Onlineausgabe über Onlineabos an den Kosten beteiligen. Aber nicht nur die Abobestände, auch die Einzelverkäufe wachsen bescheiden. Im April 2016 wird durch einen zweiten Druckstandort abgesichert, dass die »junge Welt« in ganz Deutschland, in Österreich und der deutschsprachigen Schweiz im Einzelhandel erhältlich ist.

Bis dahin führen Verlag und Genossenschaft die Geschäfte streng getrennt. Bis Ende 2015 hat sich in den Verlagsbilanzen ein nicht gedeckter Fehlbetrag von über 950.000 Euro angehäuft. Im November 2016 beschließt deshalb eine außerordentliche Vollversammlung der Genossenschaft ein Sanierungsprogramm mit der Absicht, bis zum 70. Geburtstag der »jungen Welt« den Verlag zu stabilisieren. Laut Geschäftsführer sind diese Pläne nun umgesetzt: Das Stammkapital des Verlages beträgt jetzt 286.000 Euro, die angesammelten Schulden wurden durch einen Verzicht der Genossenschaft um 355.000 Euro reduziert. Und bisherige Genossenschaftskredite in Höhe von weiteren 500.000 Euro sind in eine stille Einlage beim Verlag umgewandelt worden. Eine weitere Folge der Entwicklung: Der Genossenschaft gehört heute 95,4 Prozent des Stammkapitals der Verlag 8. Mai GmbH. Koschmieder bleibt Minderheitsgesellschafter mit 4,6 Prozent Anteil.

»Diese Entwicklung war nur möglich, weil die Leserinnen und Leser der ›jungen Welt‹ eine Zeitung, die sich seit 70 Jahren der Sache des Friedens, der Völkerverständigung und sozialen Gerechtigkeit verpflichtet fühlt, gerade heute auf keinen Fall missen mögen«, kommentierte Koschmieder.

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