Abschied von Kurt Gossweiler
Nur zwei Tage vor dem revolutionären Sturm auf das Petersburger Winterpalais kam in Stuttgart Kurt Gossweiler zur Welt – ein historischer Zufall, der dennoch die Prägung von Kurts Leben und Wirken treffend untermalt.
Es war der 5. November 1917, als Kurt Gossweiler in eine revolutionär eingestellte Familie geboren wurde. Als Jugendlicher und junger Mann engagierte er sich im Sozialistischen Schülerbund und im Kommunistischen Jugendverband – und musste 1933 erleben, dass die KPD trotz ihrer Stärke den Faschismus in Deutschland nicht verhindern konnte.
Dies war ein erster Einschnitt, der Kurts wissenschaftliche Karriere inhaltlich bestimmen sollte. Die Fragen: „Wie konnte der Faschismus an die Macht gelangen?“ sowie „Wie ist ein erneuter Faschismus zu verhindern?“ standen im Mittelpunkt seines Forschungsinteresses. Aufbauend auf Georgi Dimitroffs Faschismusanalyse, wurden Kurts Wirken und Werk im Bereich der marxistisch-leninistischen Faschismusforschung und -theorie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu den wichtigsten Beiträgen weltweit. Es ist kein Wunder, dass seine Texte bis heute als Schulungsmaterial auch bei uns in Österreich verwendet werden.
Nicht nur als Jungkommunist in der Illegalität, sondern auch während des Zweiten Weltkrieges sammelte Kurt zudem praktische Erfahrungen im Kampf gegen den Faschismus: 1943, erst 25 Jahre alt, desertierte er aus der deutschen Wehrmacht und lief zur Roten Armee der Sowjetunion über. 1947 kehrte Kurt nach Deutschland zurück und trat in Berlin der SED bei. Ab den 1950er Jahren widmete er sich – zunächst an der Humboldt-Universität – gezielt der wissenschaftlichen Ergründung des Faschismus und insbesondere der Rolle des Monopolkapitals. Von 1970 bis 1983 war er am Zentralinstitut für Geschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR tätig. In diese Zeit fallen zahlreiche bedeutende Publikationen und Vorträge.
Der Sieg der Konterrevolution in der DDR, der UdSSR und allen sozialistischen Ländern Europas ab 1989/90 waren ein zweiter immenser Einschnitt für Kurts Wirken. Wieder stand für ihn eine Frage im Mittelpunkt: „Wie konnte es zur Niederlage des Sozialismus kommen?“ Folgerichtig verlagerte er seine Arbeit ab den 1990er Jahren auf den Bereich der Niederlagenanalyse und Revisionismusforschung, wo ebenfalls ein umfangreiches Werk vorliegt. In dieser Zeit konnten wir Kurt schließlich auch erstmals persönlich in Wien bei Veranstaltungen der „Neuen Volksstimme“ und des Kommunistischen StudentInnenverbandes begrüßen.
Als 2006 in Österreich mit dem Band „Was ist Faschismus?“ eine Darstellung der marxistisch-leninistischen Faschismustheorie erschien, die nicht unwesentlich auf Kurts Werk Bezug nahm, kam es zu einem Briefwechsel mit dem Autor, Tibor Zenker, in dem Kurt seine große Freude zum Ausdruck brachte, dass „all die guten Gedanken“ seiner Arbeiten in gründlichen Händen lägen und auf diese Weise einer neuen Generation junger Menschen in Österreich kompakt zugänglich gemacht wurden.
Im darauf folgenden Jahr, 2007, weilten wir – Otto Bruckner und Tibor Zenker – schließlich als Vertreter der 2005 gegründeten Kommunistischen Initiative Österreich (KI, Vorläuferorganisation der heutigen Partei der Arbeit Österreichs) einige Tage in Berlin, um an den Feierlichkeiten zu Kurts 90. Geburtstag teilzunehmen. Im Anschluss lud uns Kurt zu einer Unterredung in seine Wohnung, um sich über die Situation der kommunistischen Bewegung insbesondere in Österreich auszutauschen. Er lauschte aufmerksam unseren Ausführungen über den Niedergang der KPÖ und die Gründung der KI als marxistisch-leninistischer Sammlungsbewegung. Kurt, der bereits 2001 aus der PDS ausgetreten war, erkannte die Notwendigkeit eines Neubeginns in Österreich, analysierte die Fehlentwicklung der KPÖ messerscharf und ermutigte uns, den Weg – allen Schwierigkeiten zum Trotz – fortzusetzen, denn es bräuchte auch in Österreich eine marxistisch-leninistischen Partei. Mit der Gründung der PdA im Herbst 2013 – wenige Tage vor Kurts 96. Geburtstag – wurde ein wesentlicher Schritt in diese Richtung unternommen.
Nun ist Kurt Gossweiler im Alter von 99 Jahren in Berlin verstorben. Unsere Anteilnahme gilt den Hinterbliebenen, Verwandten und Freunden, insbesondere natürlich seiner Ehefrau Edith, die gut zwei Drittel seines und ihres Lebens an Kurts Seite stand. Kurts Vermächtnis als marxistisch-leninistischer Geschichtsforscher, als revolutionärer Kämpfer und historischer Optimist wird weiterhin vielen Kommunistinnen und Kommunisten ein Wegweiser sowie Vorbild und Antrieb sein.
Otto Bruckner und Tibor Zenker,
für den Parteivorstand der Partei der Arbeit Österreichs
Wien, 19. Mai 2017
Quelle: PdA / RedGlobe