Sturm auf das Kapitol: Zwischen imperialistischer Tradition und rechtem Testballon
Am Mittwoch, 6. Januar, veranstaltete der scheidende US-Präsident Donald Trump in unmittelbarer Nähe zum Kapitol, dem Sitz des Kongresses der Vereinigten Staaten von Amerika, in Washington eine unter dem Motto „Save America March“ stattfindende Demonstration. Dieser Manifestation schlossen sich mehrere Zehntausend Menschen an, trotz Covid-19-Pandemie dichtgedrängt sowie in weiten Teilen ohne Mund-Nasen-Bedeckung. Trump sprach in seiner Rede vor der aufgeputschten Masse von einem „Wahlbetrug durch radikal-linke US-Demokraten“, welche in diesen Minuten im Kongress den „unrechtmäßigen“ Wahlsieg durch den mehrheitlich gewählten Herausforderer Joe Biden manifestieren würden. In der Folge kam es zu einem tumultartigen Angriff auf das US-Kapitol – die Sitzung der Abgeordneten musste in der Folge für Stunden unterbrochen werden. Auffällig ist, dies belegen Dutzende Aufnahmen sowie Augenzeugenberichte, dass die vor Ort anwesenden Sicherheitskräfte den bunten Mob aus rechten Trumpisten und faschistischen Putschisten ungehindert in das architektonische Herzstück der „US-Demokratie“ eindringen ließen. Donald Trump erklärte via Twitter kurz nach der „Erstürmung“, dass es Zeit sei für die Demonstrierenden nach Hause zu gehen – ein kurzes Zurückrudern des Strippenzieher. Nach dem Einsatz von Waffengewalt und Tränengas konnte die Ansammlung letztlich aufgelöst werden. Wie die „Tagesschau“ meldet, seien vier Personen getötet und rund 50 Verdächtigte festgenommen worden – der Kongress hat seine Arbeit indes wieder aufgenommen.
Das Erbe einer imperialistischen Praktik
Man fühlte sich bei der Szenerie in Washington an die Putsch-Praktiken des US-Imperialismus in aller Welt erinnert. Die imperialistische Scharade rund um die Nicht-Anerkennung von Wahlen bei nicht genehmen Wahlentscheidungen, lösten allzu oft geheimdienstlich inszenierte und mit US-Dollars finanzierte Proteste einer angeblichen „Demokratie“-Bewegung rechter bis faschistischer Kräfte in abhängigen Staaten aus. Begonnen mit dem Putsch gegen Mohammed Mossadegh 1953 im Iran, der Fortsetzung einer staatsterroristischen Politik im Kongo gegen Patrice Lumumba 1961, über die todbringende Liquidierung der linken Regierung von Salvador Allende 1973 in Chile bis hin zu den Putschfantasien und Versuchen zuletzt gegen die legitime Regierung von Bolivien (im Oktober/ November 2019), in Venezuela (mit der westlichen US-Marionette Juan Guaido) oder die mannigfaltigen Diversionsversuche gegen das sozialistische Kuba.
Stets an der Seite der US-Falken sowie in deren Windschatten operierten die „liberalen Demokratien“ aus dem Westen, allen voran der deutsche Imperialismus über seine Dominanz in der Euro-EU. Somit sind die Geschehnisse von Washington weniger extremer Sonderfall, „Angriff auf eine intakte Demokratie“ (Biden) oder „Aufruhr“ (Biden), als vielmehr der Übertrag einer über Jahrzehnte praktizierten Politik in das Innere der zerfallenden imperialistischen Hauptmacht. Dass sich folglich rechte Fanatiker, faschistische Mordbrenner und Trumpisten finden, wie auf unausgesprochenen Befehl des abgewählten Milliardärs loszuschlagen, verwundert nicht. Sie ahmen, ob gelenkt oder nicht, die imperialistischen Regierungen und ihr Gebaren in den ökonomisch abgehängten Staaten, nach.
Die Reaktion des deutschen Imperialismus
Keinen Tag ließ die Reaktion der politischen Statthalter des deutschen Imperialismus auf die Geschehnisse in den USA auf sich warten. Wie der Merkur berichtet, gab Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Trump eine Mitschuld am Geschehenen, sie sei „wütend und traurig“. Außenminister Heiko Maas beklagte wehmütig: „Trump und seine Unterstützer sollten endlich die Entscheidung der amerikanischen WählerInnen akzeptieren und aufhören, die Demokratie mit Füßen zu treten“. Weiter sagte der Putschisten-Freund: „Die Verachtung demokratischer Institutionen hat verheerende Auswirkungen.“ Die Krone der Heuchelei erreichte jedoch Jens Stoltenberg, seines Zeichen, Generalsekretär des Kriegsbündnisses NATO: „ Schockierende Szenen in Washington, das Ergebnis dieser demokratischen Wahl muss anerkannt werden.“
Erinnert sei in diesem Zusammenhang an die Vorkommnisse rund um die Corona-Demonstrationen der Bewegung „Querdenken“, in deren Folge es zu einem versuchten Sturm auf den Reichstag kam. Kongruent zu Washington ließen die Berliner Sicherheitskräfte den rechten Mob passieren – die deutschen Herrschenden zogen keinerlei Konsequenzen – die rechten Straßenkämpfer übernehmen eine nützliche Funktion in Zeiten von Pandemie und zyklischer Krise: Sie kanalisieren das Protestpotenzial der Habenichtse in system-freundliche Bahnen. Die Krokodilstränen von Maas und Co. sind verlogen.
Der trumpsche Testballon
Der Versuch eines Putsches durch Donald Trump glich einer Simulation – zuvor hatten relevante Teile des imperialistischen Apparates etwa die Geheimdienste, Armee und Polizei, medial verkündet, sich nicht einzumischen. Objektiv scheint die herrschende Klasse der USA auf Biden zu setzen. Nach kurzer Zeit konnte die Polizei das Theater beenden, Trump ruderte öffentlich leicht zurück. Was gewiss ist: Auch unter einem Präsidenten Joe Biden werden die USA ein kapitalistischer Schurkenstaat bleiben, die sozialen Verwerfungen werden unvermindert weitergehen. Ob sich die Lage hinsichtlich eines rechten Putsches entscheidend entspannt, muss skeptisch beurteilt werden, schließlich verschwinden die kapitalistischen Nutznießer einer reaktionären Politik nicht und die Verelendung der breiten Massen im Gleichklang mit der Erosion des US-Imperialismus schreitet voran. Diese Entwicklung war abzusehen und stellt einen vorläufigen Höhepunkt dar.
Stellungnahme der Internationalen AG der SDAJ, 07. Januar 2021
Quelle: SDAJ – Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend – Sturm auf das Kapitol: zwischen imperialistischer Tradition und rechtem Testballon