Staat und Polizei drehen an der Repressionsschraube
Wir dokumentieren nachstehend eine Erklärung des Bündnisses »Welcome to Hell« zur Repression gegen die G20-Proteste in Hamburg:
Vollmundig versprach Hamburgs Bürgermeister Scholz am Samstag der Weltöffentlichkeit, dass er einen sicheren Ablauf des Gipfels garantieren könne. Die Ereignisse der letzten Woche und Stunden haben gezeigt, dass Politik und Polizei den radikalen Widerstand gegen den G20 mit allem Mitteln verhindern wollen. Wir wollen trotzdem mal sehen, ob Scholz da den Mund nicht doch zu voll genommen hat. Deshalb laden wir nochmals – zornig und herzlich – dazu ein, nach Hamburg zu kommen, zu campen, zu demonstrieren, Widerstand gegen den Gipfel und seinen reibungslosen Ablauf zu organisieren! Am Donnerstag wollen wir mit Euch die Gipfelteilnehmer*innen »begrüßen«. Wir sind schon da, wenn sie kommen!
Alles, was von Seiten der Behörden in den letzten Tagen noch einmal an Aktivitäten gestartet wurde, und soeben in der Räumung des Protestcamps in Entenwerder vorläufig gipfelte, setzt eine Linie fort, massiv und gezielt Proteste und Widerstand weitgehend in konforme, zahnlose Formen zu zwingen. Wo das nicht aussichtsreich erscheint, wird versucht, sie zu delegitimieren, zu schikanieren und sie möglichst zu verhindern. Seit Monaten arbeiten Politik und Polizei Hand in Hand daran, auf zwei recht verschiedenen, aber doch miteinander verflochtenen Ebenen den Gipfel in Hamburg propagandistisch vorzubereiten.
Einerseits bemühen sie sich, dem Spektakel eine politische Sinnhaftigkeit anzudichten, die über den realen Kern der ganzen Veranstaltung hinwegtäuscht: Der G20 ist schlicht ein Treffen, das Absprachen zwischen den Vertreter*innen der wirtschaftlich stärksten Staaten des Globus über den weiteren Ausbau ihrer Macht und so über eine noch effektivere Ausbeutung des »Rests der Welt« ermöglichen soll. Begleitet wird dies andererseits von einer reichlich martialischen Mobilmachung gegen die geplanten Protestaktionen, die von Teilen der Medien begierig aufgegriffen wurden. Es scheint fast, als sollte die ausufernde Dämonisierung von schwarzen Blöcken, Autonomen etc. pp. im fadenscheinigen Umkehrschluss beweisen, dass etwas (der G20), das einen so bösen Gegner („die“ Autonomen, Radikalen, Aufmüpfigen) hat, ja eigentlich so schlecht nicht sein könne. Dieser Effekt ist aber nur ein Nebenprodukt. Tatsächlich geht es seit Wochen bereits darum, unsere und andere radikale Mobilisierungen und anstehende sowie gelaufene Aktivitäten gegen den Gipfel zu diskreditieren, delegitimieren und zu verhindern.
In den letzten Tagen haben Propaganda und Repression noch einmal deutlich zugenommen: Es wurden bei einzelnen Personen Hausdurchsuchungen vorgenommen. Exponierte Vertreter*innen der verschiedenen Spektren der radikalen Linken wurden durch den Verfassungsschutz auf der offiziellen Hamburg-Homepage mit vollem Namen verunglimpft und persönlich angegriffen. Hierbei dient die Gretchenfrage der Gewalt, egal wie hergeholt und konstruiert, als Vehikel der Kriminalisierung und Diffamierung.
Das ist ein Versuch, alle Strukturen, Bündnisse, Aktivist*innen und Demonstrant*innen zu verunsichern und zu spalten. Die einen sollen zur Distanzierung gezwungen werden, um die anderen zu isolieren.
Das bereitet zugleich bereits einen Boden vor, auf dem die eventuelle Kriminalisierung von Teilen des Protestes gedeihen können soll. Und damit wären wir beim nächsten, und für den Moment noch vordringlicheren Teil des staatlichen/polizeilichen Aktionsplans: Mit effektiven Maßnahmen und pingelig-bürokratischem Rumnerven uns und anderen nicht allein die Vorfreude auf unsere Aktionen zu vermiesen, sonderntatsächlich ganz handfest Protestaktionen zu verhindern oder soweit wie möglich zu erschweren.
In den letzten Tagen überschlugen sich die Ereignisse um die Genehmigung der beiden Camps. Das Camp in Lurup darf stattfinden, aber keiner darf essen, und keiner darf vor Ort schlafen. Camp ohne alles! Allen ist klar, dass das nur eine Farce sein kann. Das antikapitalistische Camp, das ursprünglich im Stadtpark stattfinden sollte, hat in der letzten Nacht von Samstag auf Sonntag eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtes erkämpfen können, im Park in Entenwerder ein Camp abhalten zu können. Der dauerhafte Aufenthalt, inklusive Schlafen und Essen wurden explizit als Teil des Ganzen höchstrichterlich genehmigt. Damit ist das Hin und Her jedoch noch nicht beendet. Den ganzen Sonntag über behinderte ein großes Polizeiaufgebot den Aufbau einer Camp-Infrastruktur, setzten sich über den richterlichen Beschluss hinweg und eskalieren seit dem späten Abend die Situation. Der Ausgang ist derzeit noch offen.
Diese Taktik, die Camps zu verbieten, und wo das nicht funktioniert, gewaltsam Fakten zu schaffen, ist die vorläufige Krönung einer langen Reihe von Schikanen und teilweise sehr kreativen Versuchen, Protest zu verhindern, zu vertreiben und zu blockieren: Die Demoverbotszone, die Grenzkontrollen, aber auch die ganzen kleinen Schikanen der letzten Tage setzen sich mit der Blockade der Camps zu einem unerfreulichen Gesamtbild zusammen. Da der Traum der Einsatzleitung und städtischen Führung, nach vielen Jahren erstmals wieder eine mehr als umstrittene politische Großveranstaltung mitten in einer Großstadt (die überdies noch den Ruf genießt, viele aktive linke und linksradikale Bewohner*innen zu haben) ganz ohne Protestaktionen und Demonstrationen durchzuziehen, auf jeden Fall Utopie bleiben wird, sollen diese zumindest in einen wirkungs- und bedeutungslosen Rahmen zurückgedrängt werden.
Die eingesetzten Hebel sind nicht schlecht gewählt, denn wenn Menschen schon weit vom Ort des Geschehens an der Weiterreise gehindert werden, und dann, wenn sie es doch bis nach Hamburg schaffen, nirgendwo in größerer Zahl unter- und zusammenkommen können, wird Frust produziert und noch mehr Energien auf die Schaffung infrastruktureller Grundlagen umgelenkt. Das Reagieren auf die eingesetzten Mittel führt in der Konsequenz dazu, dass die inhaltlichen Gründe, den Gipfel radikal in Frage zu stellen und das auch praktisch werden zu lassen, in den Hintergrund treten, was eine Entpolitisierung des wahrnehmbaren Widerstands zur Folge hat.
Indem die Polizei so vehement als Gegenpart in Stellung gebracht wird, wie es derzeit der Fall ist, wird die Linie der inhaltlichen und praktischen Auseinandersetzung verschoben. Ob das Kalkül aufgehen wird, wird sich in den nächsten Tagen zeigen. Tatsache ist, dass Zehntausende von Menschen nach Hamburg kommen werden, um gegen den G20 zu protestieren und den Herrschenden in ihre Hummersuppe zu spucken. Dass Stadt und Polizei nun alle Register ziehen, um ihnen das Zeltdach über’m Kopf zu verweigern, während für die Staatschefs und ihre Delegationen die besten Hotels der Stadt gerade gut genug sind, wird die Bereitschaft zum Protest kaum einschläfern, sondern die Wut auf das Spektakel, seine Protagonist*innen und deren Scherg*innen hoffentlich nur befeuern.
Sie wollen die Welcome-to-Hell-Demo am Donnerstag zum Gradmesser für die folgenden Tage machen? Gut! Sorgen wir dafür, dass radikale Kritik und entschlossener, wirkungsvoller Protest und Widerstand gegen G20 das Bild der sich anschließenden Gipfeltage mit prägen wird. Versauen wir ihnen die Hochglanzbilder! Machen wir ihnen ihre eigene Hölle heiß!
Quelle: Welcome to Hell / RedGlobe