Beim Aufwärmen für den Wahlkampf können die »Zozialisten« so richtig radikal werden
Diese Woche war im Tageblatt, das gegenwärtig verstärkt darum bemüht ist, den LSAP-Wirtschaftsminister und Bewunderer des französischen Präsidenten als »Hoffnungsträger« darzustellen, ein erstaunlicher Titel zu lesen. »Genossen wollen über Mindestlohn und Arbeitszeiten reden« hieß es in der Berichterstattung über die Neujahrsfeier der LSAP.
Nun haben die »Zozialisten« auch schon in der Vergangenheit über den Mindestlohn und die Arbeitszeiten geredet – aber was haben sie während der 13 Jahre getan, während denen sie inzwischen ununterbrochen der Regierung angehören?
Hauptsächlich während jener Jahre, in denen die LSAP zusammen mit der CSV die Regierung stellte, entstand der Nachholbedarf beim gesetzlichen Mindestlohn, von dem die »Chambre des salariés« bereits 2013 feststellte, er belaufe sich auf 20 Prozent. Seit der Amtsübernahme durch die Dreierkoalition von LSAP, DP und Grünen wurde dieser Nachholbedarf nicht kleiner.
Mit der Arbeitszeit ist es nicht anders. Sie wurde gesetzlich dereguliert und flexibilisiert, und die 40-Stundenwoche wurde aus den Angeln gehoben, ohne dass die LSAP das kritisiert, geschweige Anstalten gemacht hätte, es zu verhindern.
Im Gegenteil, die Minister und Abgeordneten der LSAP waren aktiv an der Deregulierung beteiligt und rechtfertigten diese Maßnahmen sogar, die zu immer längeren Referenzperioden und zu immer mehr nicht bezahlten Überstunden führten. Wer soll da den »Hoffnungsträger« noch ernst nehmen, wenn er neun Monate vor den Chamberwahlen die langjährige kommunistische Forderung einer Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich pauschal übernimmt?
Dass die LSAP ganz plötzlich den Mindestlohn und Arbeitszeitverkürzung entdeckt, fällt unter das Kapitel »Aufwärmen fürs Wahljahr«, und man darf gespannt sein, was während der nächsten Monate noch alles an sozialen Forderungen im Wahlprogramm und in der Propaganda der LSAP auftauchen wird. Denn während Wahlkampagnen können die »Zozialisten« so richtig radikal werden, und es kostet sie keine Anstrengung, die Kommunisten, die sie ansonsten »stalinistische Betonköpfe« beschimpfen, links zu überholen. Nach den Wahlen wird die soziale Revolution, mit der die Stimmen der Lohnabhängigen und Gewerkschafter gesichert werden sollen, schnell wieder eingepackt, insbesondere dann, wenn Ministerposten in einer bürgerlichen Regierung winken.
Die Unglaubwürdigkeit der LSAP und ihres Führungspersonals beschränkt sich aber nicht nur auf soziale Fragen. Auch in Gesellschaftsfragen scheint das Ende der Geschichte für die LSAP schon gekommen, denn die Partei, die einst den Kapitalismus durch Reformen überwinden wollte, hat sich längst mit dem bestehenden Ausbeutersystem arrangiert und einen neoliberalen Schwenk nach rechts vollzogen, während sie den Rest ihres sozialdemokratischen Gedankenguts in Zwischenwahlzeiten einem Dutzend »Linkssozialisten« überlassen oder an déi Lénk weitergereicht hat, die mit einem gewissen Erfolg den alten sozialdemokratischen Wein in neuen sozialistischen Schläuchen verkauft.
Wenn es heute eine Partei gibt, die eine echte Gesellschaftsalternative darstellt, weil sie nicht nur Sozialabbau ablehnt und soziale und gesellschaftliche Reformen im Sinne der Schaffenden durchsetzen will, sondern auch die Besitzverhältnisse in der Wirtschaft umkrempeln und antikapitalistische Veränderungen durchsetzen will, dann sind das die Kommunisten. Und natürlich haben sie keine Berührungsängste, wenn ehrliche Sozialisten und Linke mit ihnen zusammen an gesellschaftlichen Alternativen arbeiten wollen.
Ali Ruckert
Aus: Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek