23. November 2024

»Wie weiter« – Leitantrag des 37. KPÖ-Parteitags

Resolution des KPÖ-Parteitags, 2./3. Dezember 2017, Wien-Liesing

Das Ergebnis der Nationalratswahl vom 15.Oktober und die Politikder zu erwartenden Rechtsregierung aus ÖVP und deutschnationaler FPÖ stelltdie gesellschaftliche Linke vor große Herausforderungen. Die KPÖ ist dabeibestrebt, durch ihre Politik und zivilgesellschaf­tliche Bündnisse nicht nurWiderstand gegen die zu erwartenden Angriffe auf soziale und demokratischeRechte zu leisten, sondern diesen in Kämpfen um konkrete soziale Alternativenweiterzuentwic­keln.

 

Bis vor kurzem stieg die Arbeitslosigkeit in Österreich stetig an undstagniert derzeit bei über 400.000 gemeldeten Arbeitssuchenden. Das istabsolut und relativ die höchste Zahl seit der unmittelbaren Nachkriegszeit.Dass die Zahl der Beschäftigten ebenfalls steigt und die Arbeitslosigkeit inanderen EU-Ländern noch höher liegt, kann diesen Skandal nicht relativieren.Das ist das Ergebnis von 30 Jahren neoliberaler Politik. Es wächst vor allemdie Zahl Atypisch- und Teilzeitbeschäftig­ter. Immer mehr Menschen,insbesondere Frauen, können nicht von ihrer Arbeit leben. Die Prekarisierungerfasst immer mehr Lebensbereiche.

Die in Österreich von der Gewerkschaftsführung betriebeneSozialpartnerschaft hat sich nicht als Schutz vor dieser Entwicklung erwiesen,im Gegenteil. Jetzt gilt es, die weitere Flexibilisierung und Ausdehnung der“Normal”-Arbeitszeit auf 12 Stunden zu verhindern. Mit zunehmenderAutomatisierung und Digitalisierung droht ein weiteres dramatisches Anwachsender Arbeitslosigkeit. Dagegen anzukämpfen bedeutet Kampf um die30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich, die Nutzung desProduktivitätswachst­ums für höhere Löhne, den Ausbau der öffentlichenDienste, des Gesundheits- und Pflegewesens, finanziert durch dieWertschöpfungsab­gabe der Unternehmen und durch Vermögens- undErbschaftsteuern. Wir wollen eine andere Verteilung von Arbeit, Zeit und Geldzwischen den Geschlechtern. Wir streben ein bedingungsloses, personenbezogenesGrundeinkommen für alle in existenzsichernder Höhe an.

Wir sagen: Es geht nicht um die Konkurrenz zwischen PensionistInnen undMindestsicherun­gsbezieherInnen, sondern um eine Umverteilung von Oben nachUnten, es geht um linke, emanzipatorische und feministische Politik, stattrechter und rassistischer Hetze, es geht um Ausweitung der Demokratie stattautoritärer Politik, es geht um einen progressiven Sozialstaat für alle, stattethnischer, religiöser und kultureller Spaltung.

Selbst der Internationale Währungsfonds erkennt die wachsende sozialeUngleichheit innerhalb und zwischen den Ländern der Welt als wichtigsten Faktorder möglichen Destabilisierung der herrschenden kapitalistischenProduktionsweise. Nicht einmal ein Dutzend Supermilliardäre besitzt so viel wiedie ärmere Hälfte der Menschheit. Kaum 500 Großkonzerne beherrschen unterdem Deckmantel des Freihandels Rohstoffe, industrielle Produktion und Handel.Der Finanzkapitalismus, der sich daraus speist, beherrscht die Staatsfinanzenund plündert die Steuern über die öffentliche Verschuldung. Dieser Herz- undLungenmaschine der Umverteilung von Unten nach Oben zur Erzielunghöchstmöglicher Profite muss der Stecker gezogen werden. Jeder Schritt zurEindämmung der Macht dieser Konzerne findet die Unterstützung derKommunistInnen, die für eine solidarische Gesellschaft kämpfen. Österreichgehört zu den Ländern in der EU, in denen die Einkommens- und insbesondere dieVermögensverteilung am meisten polarisiert sind. Es geht auch um die politischeSchlussfolgerung aus der Erkenntnis, dass der neoliberale Kapitalismus die Weltweder menschengerecht noch naturverträglich macht. Daher sind wir für dieÜberwindung des Kapitalismus.

Die KPÖ betreibt seit Mai dieses Jahres eine Kampagne für leistbaresWohnen. Der Mangel an leistbarem Wohnraum stellt sich immer mehr als einer derbrisantesten sozialen Brennpunkte heraus. Wohnen ist ein Menschenrecht. DieErfolge der KPÖ in der Wohnungspolitik in Graz haben die dort regierendenRechtsparteien veranlasst, der KPÖ das Wohnungsressort zu entziehen. Nichtzuletzt deshalb hat die Partei sich dafür entschieden, 10.000 Unterschrif­tenfür eine parlamentarische Petition zu sammeln, welche die Forderungen derKPÖ – einheitliche niedrigere Mietobergrenzen, Ausbau des kommunalenWohnbaus, Abschaffung der Maklerprovision für MieterInnen, Abschaffung derVergebührungspflicht von Mietverträgen und keine Privatisierung öffentlichenWohnraums – bekräftigen soll. Diese und weitere wichtige Forderungen zumsozialen Wohnbau werden zu einem wohnungspolitischen Programm der KPÖentwickelt.

Der neoliberale, konservative und rechte Umbau der Gesellschaft bringt Frauenzwischen Ausbeutung und Selbstermächtigung zunehmend unter Druck. ErkämpfteRechte der Frauenbewegung wie etwa der Schwangerschaf­tsabbruch geraten unterrechtskonservativen Beschuss. Rückwärtsgewandte Rollenbilder werden ebenso wiekarrierebewusste Weiblichkeit ideologisch gestützt. In diesem Widerspruch sindFrauen für unterschiedliche Interessen ausbeutbar. Das Machtgefälle zwischenden Geschlechtern lässt unter- oder unbezahlte Dienstleistungen von Frauen inder Kinder- oder Altenpflege als selbstverständlich und „natürlichgewollt“ erscheinen. Zeit und Geld sind nicht auf der weiblichen Habenseite zuverbuchen im Gegensatz zur (Haus-) Arbeit, die ungleich verteilt ist undAbhängigkeiten festigt.

Dieses Klima fördert Konkurrenz- und Gewaltverhältnisse und forciertsexistische Erniedrigungen. Im KPÖ-Frauenprogramm heißt es: „Wir wollen diegleichberechtigte Teilnahme aller Menschen an gesellschaftlichen Entwicklungen.Eine Gesellschaft, in der Menschen nicht aufgrund ihres Geschlechts, ihrersozialen oder ethnischen Herkunft und anderer – auch unterstellter –Unterscheidungen eingeschränkt, ausgegrenzt und diffamiert werden, kann nurdurch umfassende Demokratisierung erreicht werden. (…) Frauensolidarität istTeil des Selbstverständnis­ses der KPÖ. Sich positiv aufeinander zu beziehenund einander anzuerkennen, ist unser Anspruch.“

Die Feindbilder der alten und der neuen Regierung sind Flüchtlinge undMigration. Das Schüren von Ängsten, die Gleichsetzung von Flüchtlingen undMigration mit Terrorgefahr und Kriminalität dienen dazu, die österreichischeBevölkerung zur Duldung von Aufrüstung des Bundesheeres, der Polizei und desÜberwachungsstaates zu bewegen. Dafür werden zusätzliche Milliarden Euro zurVerfügung gestellt, während es zu wenig LehrerInnen, ÄrztInnen undPflegepersonal gibt. Einmal ist es die Burka, ein andermal sind esDoppelstaatsbürger­schaften, ein drittes Mal sind es die Kinderbeihilfen fürnichtösterreichis­che Familien, mit denen Stimmung gemacht wird.

Aber diese Politik, das Spiel mit Symbolen, löst kein Problem, sondernspaltet die Bevölkerung. Sie erschwert das Leben vieler Menschen und dient alsNebelvorhang, hinter dem Sozialleistungen gekürzt und der Sozialstaatdemontiert werden. Die führenden Politiker konkurrieren mit inhumanenVorschlägen etwa für höhere Mauern und dichtere Zäune, bezeichnen dieRettung von Flüchtlingen als „Wahnsinn“ und fordern die Einrichtung vonInternierungslagern in Nordafrika, die auch mit österreichischen Soldatengesichert werden sollen. Dieser Irrsinn hat Methode. Er bereitet den Boden fürden weiteren Aufstieg des Rechtsextremismus und des Rassismus in der Mitte derGesellschaft.

Wir sagen: Geht’s den Flüchtlingen gut, geht’s uns allen gut. Wir brauchenmehr LehrerInnen und den Ausbau des Gesundheitssystems. Wir brauchen gleicheRechte für alle, die in Österreich leben. Wir brauchen Investitionen in diesoziale Infrastruktur, leistbare Wohnungen, billigere und in Perspektivekostenlose Öffentliche Verkehrsmittel, eine Energiegrundsiche­rung, Pensionen,von denen man/frau leben kann und eine Entwicklung zu einem Grundeinkommen, dasdie soziale Absicherung bedingungslos gewährleistet.

Der populistische Rechtsextremismus droht sich in Mittel- und Osteuropa zukonsolidieren. Nationalismus und Rassismus finden weiterhin einen Nährboden. Esist die Politik der europäischen Eliten, Regierungen und Konzerne, dieMillionen Menschen in den Ländern der EU aus sozialer Sicherheit, ausBeschäftigung und demokratischer Mitsprache drängen. Die EU ist auf einemScheideweg: Entweder es gelingt in den einzelnen Ländern und auf EU-Ebene einradikaler Kurswechsel, der die sozialen und kulturellen Belange der Bevölkerungan die Spitze stellt, oder die Desintegration der EU wird sich beschleunigen undnationalistischen und autoritären Regimes wie in Ungarn oder Polen den Bodenbereiten. Einer sozialen Neugründung der EU steht die Politik der herrschendenEliten entgegen, die auf eine weitere Stärkung der Konzernmacht in Europa, aufeine weitere Militarisierung der Politik der EU nach innen und außen und aufeine weitere Segmentierung der Völker Europas setzen. Eine solche Politik istauch das Gegenteil der Sicherung des Friedens. Die Kriegsgefahr steigt in vielenTeilen der Welt, wobei die EU-Außenpolitik an vielen Kriegen wie in Syrien, inAfghanistan, aber auch in der Ukraine maßgeblich beteiligt ist. Nicht dieFlüchtenden, sondern die Fluchtursachen zu bekämpfen heißt auch, die Kriegezu beenden, mit denen die USA und EU Staaten die Gesellschaften zerstört undzerbombt haben und ein Verbot von Waffenexporten durchzusetzen.

Wir brauchen eine offensive Neutralitätspo­litik, die sämtlicheEinbindungen in NATO-Institutionen kappt, sich gegen geostrategische undimperialistische Ressourcenkriege richtet und sich anstelle der Militarisierungder EU für ein kollektives europäisches und globales Sicherheitssystemeinsetzt, das die bestehenden militärischen Blöcke auflöst und allen Länderngleiche Sicherheit gewährleistet.

Die herrschenden EU-Eliten bevorzugen als Ausweg aus der Krise der EU einEuropa der „unterschiedlichen Geschwindigkeiten“ bei Beibehaltung derbisherigen Richtung. Statt die bestehenden Ungleichgewichte zu verringern, kanneine solche Politik diese nur verfestigen oder weiter vergrößern und dienationalistischen Zentrifugalkräfte antreiben. Ein solches Europa wird zwischenneoliberaler Austeritätspolitik und rechtsextremem Populismus bzw.Nationalismus zerrieben und ist zum Scheitern verurteilt. Es liegt in derVerantwortung der europäischen Linken, einen dritten Pol der demokratischen undsozialen Alternative im Prozess der Integration Europas zu entwickeln, zu demdie KPÖ nach Kräften beitragen will.

Seit dem Regierungsantritt von Donald Trump ist die Welt noch unsicherergeworden. Die neue Administration hat keinen einzigen Krieg, an dem die USAbeteiligt sind, beendet. Im Gegenteil: In Syrien wurde erstmals ein massiverLuftschlag, allerdings nicht gegen den IS-Terror, ausgeführt, in Afghanistandie größte „konventionelle“ Bombe abgeworfen und die Spannungen auf derkoreanischen Halbinsel verschärft, neue Sanktionen gegen Russland wurdenverhängt und tausende zusätzliche Soldaten nach Afghanistan geschickt. AmBeispiel Trumps zeigt sich überdies die Verlogenheit des Populismus derRechten. Aus dem Kampf gegen die „Eliten“ wurde ein elitäres Kabinett, demfast ausschließlich Millionäre, Milliardäre und Banker der Wallstreetangehören. Aus dem Kampf für den kleinen Mann und für die US-ArbeiterInnenklasse wurde das größte Steuerentlastun­gspaket für Konzerneund Superreiche sowie Versuche zur Liquidierung der allgemeinenKrankenversiche­rung. Aus der versprochenen Entspannung mit Russland wurde eineneue Konfrontation. Aus der angesagten „Obsoletheit“ der Nato wurde eineBekräftigung der Angriffsfähigkeit des Bündnisses, wofür die europäischen„Partner“ mehr zahlen und aufrüsten sollen. Aus „Amerika first“, wasviele WählerInnen als Konzentration auf die inneren Probleme der USA verstandenhatten, wurde ein neuer Machtanspruch in der Welt: „Wir wollen Kriegegewinnen“ (Trump).

Die Kräfte des Kapitals, die sich unter dem Dogma des Neoliberalismusgesammelt haben, riskieren eine solche Entwicklung, denn nicht sie, sondern diegroße Mehrheit der Bevölkerungen, die arbeitenden Menschen, diePensionistInnen, die Jugend, die Frauen werden die Kosten zahlen und dieLeidtragenden sein.

Das Bestreben der KPÖ, auch mit Wahlallianzen das Stimmgewicht der Linkenjenseits von Sozialdemokratie und Grünen zu erhöhen, und die Umorientierungder Jungen Grünen hat für die Nationalratswahl 2017 zur Wahlallianz KPÖ Plusgemeinsam mit AktivistInnen der Jungen Grünen und zahlreichen unabhängigenKandidatInnen auf den offenen Listen der KPÖ geführt. Dies ist trotz desenttäuschenden Wahlergebnisses eine gute Basis für die Fortsetzung derKooperation sowie für deren Ausweitung mit dem Ziel, politisch in relevantemMaßstab handlungsfähig zu werden – vor Ort und national, mit Respekt vorden Unterschieden, die sich aus unterschiedlichen Zugängen und Erfahrungenergeben. Es geht um die praktische Organisierung von sozialen, ökonomischen undkulturellen Interessen bzw. Alternativen vor Ort.

Wir kämpfen für eine Demokratisierung der Wahlsysteme für Bund undLänder. Jede Stimme muss gleiches Gewicht haben, die Vier-Prozent-Hürde fürden Nationalrat muss fallen. Das Wahlrecht muss auf derResidenzbürge­rInnenschaft aufbauen, denn immer mehr Menschen, die inÖsterreich leben, sind vom Wahlrecht ausgeschlossen. Die Schikanen für dieEinreichung von Kandidaturen müssen abgeschafft werden.

Am 3. November 2018 jährt sich das Gründungsdatum der KPÖ zumhundertsten Mal und es ist der hundertste Geburtstag der Republik Österreich.Beide Ereignisse hängen eng zusammen und sind eine Folge der revolutionärenEntwicklung im Ergebnis des Ersten Weltkriegs und der russischen Februar- undOktoberrevolution. Die österreichische ArbeiterInnenschaft hat unmittelbar vonder russischen Revolution profitiert: der 8-Stunden-Tag, Urlaub,Krankenversiche­rung, Mieterschutz, Betriebsrätegesetz und Arbeiterkammernwurden erstritten; das Frauenwahlrecht wurde erkämpft. Bis zum Untergang derSowjetunion ermöglichte die Systemkonkurrenz weitere große sozialpolitischeFortschritte. Noch ist es in den letzten 25 Jahren nicht gelungen, all dies zuvernichten. Aber es verstärken sich die Kräfte, die – wie in der ErstenRepublik den „revolutionären Schutt“ – heute die sozialen Errungenschaftenund den Sozialstaat beseitigen wollen.

Die KPÖ wird den 100. Jahrestag ihrer Gründung würdig begehen und ihrenBeitrag zum Marxjahr 2018 leisten. Dieses Jubiläum ist nicht nur Anlass zufeiern, Erreichtes zu würdigen und Verfehltes zu erkennen. Wir wollen ausdiesem Anlass auch reflektieren welche Funktion unsere Partei in der aktuellenpolitischen Lage erfüllt und erfüllen kann, welche Zukunftsbilder undstrategische Optionen wir haben, wie wir die Entwicklung unserer Partei sehenund welcher Name zur Partei passt. Der Bundesvorstand wird dazu eine breit undlängerfristig angelegte Diskussion einleiten, die alle Mitglieder undParteigruppen einbindet und in Form unterschiedlicher Diskussions- undBildungsangebote stattfinden soll. Diese Auseinandersetzung überSelbstverständnis, Identität, Funktion, Entwicklung und Bezeichnung darfallerdings nicht zur reinen Selbstbeschäftigung führen, sondern soll diePartei in ihrer gesellschaftlichen Auseinandersetzung stärken. Dabei werdenauch Dialog und Kooperation mit der KPÖ Steiermark fortgesetzt, mit dem Zieldie gemeinsamen Positionen hervorzuheben und die unterschiedlichen Positionen inTheorie und Praxis in einer konstruktiven und solidarischen Atmosphäre zubearbeiten. Hierfür soll ein gemeinsamer Fahrplan ausgearbeitet und die jeweilsdazu zweckmäßigen Foren vereinbart werden. Unterschiedliche Ansichten zudiversen Positionen darf und wird es weiter geben, ebenso der wechselseitigeRespekt dafür. Ziel ist die sach- und kampagnenbezogene Zusammenarbeit zuerweitern und letztlich die Rückkehr der KPÖ-Steiermark in dieBundesstrukturen der KPÖ zu ermutigen und zu befördern.

Einstimmig beschlossen vom 37. Parteitag der KPÖ am3. Dezember 2017


Quelle:

Kommunistische Partei Österreichs

 

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