24. November 2024

Rede des Außenministers Russlands, Sergej Lawrow, in einem hochrangigen Segment der 37. Sitzung des UN-Rats für Menschenrechte am 28. Februar 2018 in Genf

Sehr geehrter Herr Vorsitzender,

sehr geehrte Damen und Herren,

die internationalen Beziehungen erleben gerade Zeiten von kardinalen Veränderungen – vor unseren Augen etabliert sich eine neue, demokratische und faire, polyzentrische Weltordnung. Dieser Prozess wird von umfassenden Herausforderungen und Gefahren begleitet, die kollektive Reaktionen und die Vereinigung von Potenzialen im Interesse einer effizienten Suche nach optimalen Wegen zur Gestaltung einer gleichen und unteilbaren Sicherheit, zum Ausbau der allseitig nützlichen Wirtschaftskooperation, zur Umsetzung von im Laufe von Jahrzehnten entwickelten humanitären Standards verlangen.

In den letzten Jahren wurde eine ganze Reihe von Jubiläen im Menschenrechtsbereich begangen. In diesem Jahr feiern wir das 70-jährige Jubiläum der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Wir sehen darin eine gute Möglichkeit, einige Ergebnisse zusammenzufassen und die neuen Richtungen für die Bündelung der Kräfte der internationalen Völkergemeinschaft zu bestimmen.

Diese Arbeit ist umso wichtiger, weil immer neue Versuche unternommen werden, die Menschenrechte den konjunkturbedingten Interessen gewisser Kräfte anzupassen. Es lassen sich gefährliche Tendenzen beobachten, wenn die Menschenrechtsthematik als Vorwand für den Druck auf diese oder jene „unerwünschte“ Länder ausgenutzt wird.

Vor einem Vierteljahrhundert hatten die Mitglieder der Weltgemeinschaft auf der Internationalen Konferenz für Menschenrechte in Wien einstimmig anerkannt, dass alle Rechte, insbesondere das Recht auf die Entwicklung, universal, unteilbar, gegenseitig abhängig und miteinander verbunden sind. Aber auch 25 Jahre später bestehen einige Länder darauf, dass die politischen und Bürgerrechte vorrangig wichtig sind, und dabei den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Aspekt ignorieren. Das widerspricht jedoch unmittelbar den in der Wiener Erklärung und im entsprechenden Aktionsprogramm verankerten Prinzipien und führt zu wesentlichen Fehlern bei der Wahl der Mechanismen zur Förderung und Verteidigung der Menschenrechte.

Heute findet eine diesem Thema gewidmete hochrangige Diskussion statt, die in diesem Jahr von Russland initiiert wurde.

Diese Plattform bietet umfassende Möglichkeiten für einen offenen Meinungsaustausch über Menschenrechtsprobleme und die Wege zu ihrer Lösung. Wir rechnen damit, dass diese Diskussion hilfreich für die Beseitigung von Mängeln in der Arbeit des UN-Menschenrechtsrats sein wird, die es leider gibt.

Das Hauptproblem des Menschenrechtsrats besteht in den andauernden Versuchen einiger Mitgliedsländer, die bestehenden Trennungslinien aufrechtzuerhalten und seine Arbeit zu politisieren. Das behindert die Bemühungen um die effiziente Suche nach Antworten auf die für die ganze Menschheit gemeinsamen Herausforderungen, um die Förderung des richtigen Respekts für die menschliche Würde und die menschlichen Werte.

Nicht zu übersehen ist, dass einige Mitglieder des Rates nicht bereit sind, unter dem Vorwand der Meinungsfreiheit den internationalen Terrorismus in jeglichen Formen und Äußerungen zu verurteilen. Wir halten es für unzulässig, dass Terroristen in „gute“ und „böse“ aufgeteilt werden, besonders wenn das abhängig von den Ziele oder Finanzquellen gemacht wird, die die Extremisten deklarieren. Russland wird auch weiterhin gegen solche Doppelstandards kämpfen, indem es unter anderem die syrische Regierungsarmee bei deren Kampf gegen die terroristische Gefahr unterstützen wird.

Die Terrorbekämpfung sollte in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht und nationalen Gesetzen erfolgen. In diesem Zusammenhang ist die Entscheidung der US-Administration sehr bedauernswert, das illegale Gefängnis in Guantanamo weiter aufrechtzuerhalten, wo Gefangene regelmäßig gefoltert werden.

Wir wollen in dieser Tagung des Menschenrechtsrats einen Resolutionsentwurf zur Einheit des Gerichtssystems präsentieren, der eine wichtige Bedeutung für den gleichen Zugang zur gerechten Justiz für alle hat. Wir rechnen mit einem konstruktiven Zusammenwirken im Rahmen der Diskussion.

Ich muss feststellen, dass einige Länder Vorwürfe, jemand würde die Menschenrechte verletzen, immer öfter als Vorwand für einseitige Wirtschaftssanktionen nutzen, die illegitim sind und in vielen Resolutionen der UN-Vollversammlung verurteilt wurden bzw. werden. Der Menschenrechtsrat sollte auch eine klare Position in Bezug auf diese rechtswidrige Politik einnehmen, die die Lage einfacher Menschen sehr negativ beeinflusst.

Äußerst gefährlich sind Spekulationen um die Menschenrechtsverletzung zwecks Rechtfertigung von militärischen Einsätzen zum Regimewechsel in souveränen Staaten. Vor kurzem sagte der Papst Franziskus: „Man darf nicht gegen das Übel mit einem anderen Übel kämpfen.“ Egal wie man sich zu Saddam Hussein oder Muammar al-Gaddafi verhält, sollten die Kräfte, die sie gestürzt haben, die einfache Frage beantworten: Haben denn die illegalen Interventionen menschliches Leiden verhindert? Wurde dadurch das allerwichtigste Menschenrecht verteidigt – das Recht auf das Leben? Die Antwort ist offensichtlich. Noch nie in der Geschichte der Menschheit führte eine bewusste Zerstörung von Staaten zu positiven Folgen für einfache Menschen. Im Gegenteil: Es folgten immer humanitäre Katastrophen für die zivile Bevölkerung. Darauf lassen sich auch die beispiellosen Wellen der illegalen Migration zurückführen, von denen Europa betroffen wurde, wie auch der nie dagewesene Aufschwung des Terrorismus, die Verfolgung der Christen und Vertreter anderer Konfessionen.

Das syrische Volk erlebt heutzutage eine äußerst schwierige humanitäre Krise. Die Resolution 2401 des UN-Sicherheitsrats schafft den Rahmen für die Vereinbarung der Bedingungen zwecks Erleichterung des Lebens einfacher Menschen auf dem ganzen Territorium Syriens. Russland hat gemeinsam mit der Regierung Syriens bereits die Einrichtung von humanitären Korridoren in Ost-Ghouta verkündet. Jetzt sollen die auf der anderen Seite bleibenden Kämpfer und ihre Sponsoren, die die Zustellung von Hilfsgütern für die Einwohner dieser Region und die Evakuierung der Menschen behindern sowie Damaskus weiterhin beschießen, ihren Teil der Arbeit erledigen. Wir rufen die Mitglieder der von den USA angeführten Koalition auf, den humanitäre Zugang in die von ihnen kontrollierten Gebiete Syriens zu ermöglichen, insbesondere zum Flüchtlingslager Rukban und in den Raum um at-Tanf. Außerdem sollte eine gemeinsame Mission der UNO und des Internationalen Roten Kreuzes unverzüglich nach Rakka geschickt werden, das von der Koalition zerstört wurde und wo riesige Räume vermint bleiben.

Trotz der Bemühungen um die Bekämpfung der Diskriminierung, des Fremdenhasses und Radikalismus lässt sich in vielen Regionen der Welt ein Aufschwung des Rassismus, aggressiven Nationalismus und der religiösen Intoleranz beobachten. Die Träger von radikalen Ideologien spüren die Straflosigkeit, und zwar wegen der Position einiger Länder, die dem Artikel 4 des Internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung.

Zu einem krassen Beispiel für den historischen Revisionismus wurde das vor kurzem in Kraft getretene lettische Gesetz, dem zufolge die Rechte der Veteranen des Zweiten Weltkriegs und der Kollaborateure der Nazis einander gleichgesetzt wurden, wobei die letzteren an den Leiden und am Tod von Millionen Menschen schuldig sind. Besonders beunruhigend sind die Neudeutung der Geschichte und die Rechtfertigung der nazistischen Kollaborateure in Litauen und der „Krieg gegen Denkmäler“ sowjetischer Soldaten in Polen. In der Ukraine gelten die SS-Mithelfer inzwischen als nationale Helden. Dort organisieren die ultraradikalen Kräfte furchtbare Fackelzüge und Pogrome, verbrennen Häuser und fühlen sich als Herren der Lage, wobei die nominalen Behörden das völlig „übersehen“. In der Ukraine herrscht inzwischen die Atmosphäre der Angst und Gewalt. Sehr verbreitet ist die Praxis zur Verfolgung von Journalisten und Geistlichen, zur Bekämpfung des Andersdenkens. Ausländische Vertreter der kulturellen Kreise dürfen in die Ukraine nicht einreisen; es werden Bücher, TV- und Radiosender verboten. Es werden immer wieder Kulturzentren nationaler Minderheiten und diplomatische Vertretungen anderer Länder überfallen. Internationale Menschenrechtsstrukturen sollten auf solche Unterdrückung der grundlegenden Rechte und Freiheiten klar und deutlich reagieren. Ein besonderes Augenmerk sollte dabei auf das von den Kiewer Behörden verabschiedete Gesetz gerichtet werden, das das Recht nationaler Minderheiten auf die Ausbildung in ihrer Muttersprache beschränkt. Entsprechende Hinweise der Venezianischen Kommission werden in Kiew schlicht ignoriert.

Sehr geehrte Damen und Herren,

heute ist die Aufgabe zur Aufrechterhaltung der Verständigung zwischen verschiedenen Ethnien und Konfessionen akut wie nie zuvor. Es sollten Bedingungen für eine friedliche Koexistenz von Vertretern verschiedener Kulturen, Religionen und Ethnien geschaffen werden. Russland wird auch weiterhin die Prinzipien des zwischenzivilisatorischen Dialogs auf multilateralen Plattformen vorantreiben.

Zum Schluss möchte ich darauf verweisen, dass die ganze Arbeit im Menschenrechtsbereich in Übereinstimmung mit dem allgemein anerkannten Völkerrecht erfolgen sollte. Die Versuche, anderen Ländern einseitige Vorgehensweisen aufzuzwingen, Ultimaten zu stellen anstatt nach Konsensen zu suchen, werden die kollektiven Bemühungen um die Verteidigung der Menschenrechte und der moralischen Werte, die für alle wichtigsten Konfessionen und Zivilisationen gleich sind, nur behindern.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Arbeit.

Quelle:

Außenministerium der Russischen Föderation

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