18. Dezember 2024

Dreister Antiziganismus auf deutschen Bahnhöfen

Große Töne spucken die Herrschenden, ihre Medien und selbst die Privatwirtschaft über die Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine – sie werden, zumindest verglichen mit allen anderen Flüchtlingen aus Kriegen, die auf’s Konto der westlichen Imperialismen gehen, mit Samthandschuhen behandelt. Alle sollen aufgenommen werden, alle sollen Zugang zu Schulbildung und Arbeitsmarkt haben. Wirklich alle?

In der Tat gehören Menschen aus Roma-Volksschichten nicht dazu. Geflüchtete Roma-Familien werden bei der Ankunft äußerster Ungleichbehandlung ausgesetzt. Dabei gehören sie im Krieg zu den besonders betroffenen Menschen, da sie vor Bombenangriffen noch weniger geschützt sind und im politischen Klima der Ukraine auch nicht gerade in Schutzbunker eingeladen werden. Es liegt auf der Hand, dass sie zu den vulnerablen Gruppen gehören, die besonderen Schutzes bedürfen. Immerfort Diskriminierung ausgesetzt, ziehen viele Familien von einem ukrainischen Ort zum nächsten und nur ein Bruchteil wagt sich über die Grenzen des Landes hinaus.

Zutritt verwehrt

Am 24. März kam es zu einem besorgniserregenden Vorfall in Mannheim, der vom Verband Deutscher Sinti und Roma in Baden-Württemberg und der Organisation Sinti Powerclub e.V. bestätigt wurde. Geflüchtete Familien aus der Ukraine wurden in jener Nacht per racial profiling nicht in die von der Deutschen Bahn eigens dafür hergerichteten Räumlichkeiten gelassen. Es handelte sich dabei nämlich um Familien aus ukrainischen Roma-Gruppen. So hätten „mutmaßliche Beamte der DB-Sicherheit“ einen Trennungsstrich zwischen den Familien gezogen, „antiziganistische Vorurteile wiedergegeben“ und den Roma-Familien gänzlich den Zutritt verwehrt. Besonders perfide macht den Sachverhalt, dass in diesen Aufenthaltsräumen, die eigens für ukrainische Flüchtlinge eingerichtet wurden, etwa auch Übernachtungsmöglichkeiten geboten werden. Zumindest dann, wenn die Geflüchteten auch der westlichen Vorstellung äußerer Merkmale von Ukrainerinnen und Ukrainern entsprechen. Den Flüchtlingen wurde nämlich einfach vom äußeren Erscheinungsbild ausgehend nicht geglaubt, dass sie aus der Ukraine stammten. Familien mit Kindern, die es in den Geflüchtetenbereich geschafft hatten, wurden sogar von der Bundespolizei wieder herausgezogen und zum Verlassen der Räumlichkeiten aufgefordert.
Verantwortliche der Organisation Sinti Powerclub, die oft schon vorher über die Ankunft von Familien in Kenntnis gesetzt werden, wurden in jener Nacht angerufen und über die eklatante Ungleichbehandlung informiert.

Wer soll das bezahlen?

Eine anwesende, tief schockierte Bahnhofshelferin erzählt von der Diskriminierung der mitgenommenen und erschütterten Roma-Familien und der extremen Heuchelei der Angestellten der Deutschen Bahn:

„Mir wurde mehrfach von verschiedenen Seiten gesagt, dass die Räumlichkeiten nicht für ‚solche‘ Menschen gedacht seien, dass sie nicht rein könnten. Es gäbe auch keine Hotelgutscheine, wie ich sie sonst zuvor für andere Geflüchtete (weißer Hautfarbe) an der DB-Information bekam. Auf meine Nachfrage erhielt ich die Antwort: ‚Wer soll das bezahlen? Die DB hat dafür kein Geld.‘ “, so Natice Orhan-Daibel, die der grotesken Szenerie beigewohnt hat.

In der Tat fehlt das Geld überall. Infolge der Covid-19-Pandemie sind auch im hochentwickelten Westen Prekarität und Verarmung, gepaart mit massiven Teuerungen auf dem Rücken der werktätigen Bevölkerung, auf der Tagesordnung. Trotzdem hat man riesige Unsummen aus dem Boden gestampft, um die Kriegsindustrie aufzupeppen, trotzdem werden auch einige Summen für die ukrainischen Kriegsflüchtlinge aufgetrieben: Durch den Staat selbst, durch öffentliche und private Gelder, durch Benefiz- und andere Marketingveranstaltungen. Vor den geflüchteten Roma-Familien zeigt die EU aber ihr wahres fremdenfeindliches Gesicht – sie gehören nicht zu den Menschen, die man erwartet hat und deren glückliche Einreise man erhofft hat. Im Angesicht dieser Menschen, die nicht ins westliche Werteschema passen, werden plötzlich luzide Fragen gestellt: Wer soll das bezahlen?

Die Bundespolizei indes, so Natice Orhan-Daibel, kontrollierte vor den Augen der anderen anwesenden Ukrainerinnen und Ukrainern nur die Ausweise der geflüchteten Roma-Gruppen. Die anderen durften sich vom Sicherheitspersonal ungestört überall aufhalten. Auf ihre Nachfrage hin, warum nur Männer aus Roma-Familien kontrolliert wurden, antwortete die Bundespolizei verlogen, dass sie „keine anderen Männer gesehen“ hätte.

Schlimmeres gewöhnt

Eine Sprecherin der Deutschen Bahn sah sich nach den Hinweisen auf die rassistischen Vorfälle dazu bemüßigt, eine öffentliche Entschuldigung auszusprechen: „Wir bedauern an dieser Stelle ausdrücklich, dass es in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag im Rückzugsraum für Geflüchtete des Mannheimer Hauptbahnhofes zu Missverständnissen gekommen ist.“

Bahnhofshelferin Orhan-Daibel ist sich jedoch gewiss, dass dieses Missverständnis keinen Einzelfall dargestellt hat. Tatsächlich sind Sinti und Roma dauernder Abgrenzung und in der Öffentlichkeit auch Schikanen ausgesetzt – in der Ukraine ganz besonders, aber die rassistischen Vorurteile bestehen auch im Westen weiter:

„Was mir viel Angst bereitet, ist der Satz eines Helfers: ‚Diese Familie hat den Vorfall nicht als besonders schlimm empfunden … Leider sind sie Schlimmeres gewöhnt.‘ Worauf ich nur antworten kann: Und deshalb wird es Zeit, diesen Menschen zu zeigen, dass man sich vor sie stellt, sie schützt und ihnen zeigt, dass sie Menschen sind und kein Abfall.“

QuelleFrankfurter Rundschau

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Quelle: Zeitung der Arbeit

Menschenrechte