„Die Respektierung des Rechts des anderen bedeutet Frieden.“
Von der Solidaritätsgruppe Cuba Sí bin ich gebeten worden, hier einige Worte zu sagen. Ich werde aber keine offizielle Erklärung von Cuba Sí zu jetzigen Situation hier verlesen, und auch nicht im Namen der Gesellschaft für Frieden und internationale Solidarität, in der ich auch mitwirke. Ich möchte lediglich einige von mir angestellte Überlegungen in der Hoffnung zur Sprache bringen, dass sie zum Nachdenken anregen.
Ich bin besorgt und erschrocken angesichts der Situation, in der wir uns befinden. Mir machen vor allem die zu beobachtende doppelte Moral und die Massenhysterie zu schaffen. Dadurch sind für mich viele Fragen aufgeworfen worden, und sicherlich nicht nur bei mir, sondern auch bei vielen von euch. Bei der Beantwortung war mir mein Engagement für Lateinamerika sehr hilfreich, weil ich dadurch auf grundsätzliche Aussagen einiger Politiker stieß, die mich die jetzige Situation hier besser verstehen ließen. Drei davon möchte ich hier erwähnen.
So lautete eine Grundthese von Benito Juárez, des ersten indigenen Präsidenten Mexikos: „Die Respektierung des Rechts des anderen bedeutet Frieden.“ Ich frage mich also:
- Wer respektierte hier nicht das Recht des anderen? Hat nicht jeder Staat ein Recht auf Sicherheit für seine Bürger?
- Warum wurde nicht auf Vorschläge eingegangen, ein gesamteuropäisches Sicherheitssystem zu schaffen?
- Wo ist das europäische Haus mit Wohnungen für alle Länder geblieben, von dem nach dem Ende des Kalten Krieges 1990/91 die Rede war?
- Warum wurde nur ein Militärblock aufgelöst, während sich der andere entgegen von Zusagen weiter ausdehnte?
- Warum existiert der andere Militärblock weiter, obwohl dessen Grund, die angebliche Verteidigung gegen das andere gesellschaftliche System, nicht mehr vorhanden war?
- Wenn es nicht mehr gegen ein System ging und geht, worum geht es dann?
- Wer profitiert von der Aufrüstung gegen einen nicht mehr existierenden Gegner? Was steckt dahinter?
- Bis vor Kurzem hieß es noch im Sinne von Bismarck, der Frieden in Europa kann nur mit, aber nicht gegen Russland gesichert werden. In Abkehr von dieser These erklärt nunmehr Rolf Mützenich, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion: „Auf absehbare Zeit wird es jedoch Sicherheit nur gegen und nicht länger mit Russland geben können.“ Ist das Ausdruck der Unterordnung unter die geostrategische Politik der USA, die sich auf eine Auseinandersetzung mit China vorbereiten und zunächst erstmal die Schwächung Russlands durch den Ukrainekrieg anstreben und sich dabei u.a. Deutschlands bedienen, obwohl das nicht unbedingt im deutschen Interesse liegt? Ist das die Aufgabe einer eigenen Sicherheits- und Entspannungspolitik im nationalen Interesse?
Durch meine Beschäftigung mit Lateinamerika stieß ich naturgemäß auch auf die Beziehungen zwischen den USA und Lateinamerika und auf Äußerungen des ehemaligen Präsidenten Obama, seines damaligen Vizepräsidenten und jetzigen US-Präsidenten Biden und anderer einflussreicher US-Politiker sowohl von der Demokratischen wie auch von der Republikanischen Partei. Sie alle waren sich in einem Punkt einig und vertraten ihn in aller Öffentlichkeit z.B. vor den Absolventen der West Point Militärakademie und der Luftwaffenakademie in Colorado Springs: „Die USA sind die einzige unentbehrliche Nation in der Welt“ (1). Diese Aussage muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Alle anderen Nationen sind also entbehrlich? Warum erfolgt da kein öffentlicher Aufschrei? Ist das nicht Nationalismus und Chauvinismus in höchster Vollendung? Warum wird darüber nicht offen und ausführlich diskutiert? Wer hat ein Interesse daran, dass das nicht geschieht und warum? Ähnelt das nicht dem Anspruch eines Herrenvolkes, dessen Auswirkungen wir aus unsere eigener Anschauung und Geschichte kennen? Ich kenne keinen russischen oder chinesischen Politiker, der eine solche rassistische Überheblichkeit gegenüber anderen Nationen zum Ausdruck gebracht hätte. Da denke ich doch wieder an Benito Juárez.
A propos Rassismus: Meine Vorfahren väterlicherseits waren Sorben. Unter dem deutschen Faschismus war es den Sorben verboten, Sorbisch zu sprechen und ihre Kultur zu pflegen. Ebenso gab es im faschistischen Spanien das Verbot für die Katalanen Katalanisch zu sprechen und ihre Kultur zu pflegen. Ein gleiches Verbot galt für die Basken, und die galizische Sprache wurde in Galizien stark unterdrückt. Hatten und haben diese nationalen Minderheiten nicht ein Recht auf ihre Sprache und Kultur, die sie jetzt in einem Autonomiestatus genießen? Nichts anderes wollte die russischsprachige Minderheit in der Ukraine, als nach dem Maidan-Putsch extrem nationalistische und faschistische Strömungen die Regierung in Kiev übernahmen und den Gebrauch der russischen Sprache verboten. Hat die russische Minderheit nicht dasselbe Recht auf Pflege ihrer Sprache und Kultur wie die Sorben in Deutschland und die Basken und Katalanen und Galizier mit ihrem Autonomiestatus in Spanien? Warum wird dieses Thema nicht in den Leitmedien angesprochen? Zeugt das nicht von doppelter Moral und doppelten Standards, die angelegt werden? Statt Autonomie gab es Krieg. Ja, es ist Krieg in der Ukraine, aber nicht erst seit dem 24. Februar, sondern schon seit 2014, seitdem die sich autonom deklarierten Gebiete bombardiert worden sind mit tausenden zivilen Opfern. Die Minsker Abkommen sollten dem ein Ende setzen. Warum wurden sie nicht umgesetzt? Warum drängten die Garantiemächte Deutschland und Frankreich die Ukraine nicht, das Minsker Abkommen einzuhalten, die Bombardierung zu beenden und Gespräche mit der russischsprachigen Minderheit aufzunehmen?
Warum belügen uns Politiker wie Steinmeier und Annalena Baerbock, der jetzige Krieg sei der erste Krieg in Europa nach 1945, wo doch gerade ihre Parteien, als sie an der Regierung waren, den Krieg gegen Jugoslawien bzw. Serbien vom Zaune brachen? Warum damals nicht der Aufschrei in den Medien wie heutzutage? Warum nicht die aufgepeitschte Stimmung wie heute beim Angriffskrieg der USA gegen Irak aufgrund der falschen Behauptung, dort seien Massenvernichtungswaffen? Warum nicht dieser Aufschrei und die Stimmungsmache beim Krieg der USA in Afghanistan?
Und das führt mich zu einem anderen Zitat, und zwar von Egon Bahr, der im Dezember 2013 in Heidelberg im Gespräch mit Gymnasiasten sagte: „In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie und Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.“
Egal, was uns die Politiker und Medien vorsetzen, Krieg darf nicht geführt werden zur Durchsetzung von politischen und wirtschaftlichen Interessen. Der Ausgleich sollte vielmehr erreicht werden durch die Respektierung berechtigter Interessen aller beteiligten Seiten. Dafür sollte eine Friedensbewegung sich einsetzen und mit dieser Forderung viele um sich scharen, um stark und mächtig zu werden.
Vielen Dank
(1) So bezeichnete z.B.:
- Madeleine Albright im Jahr 1998 die USA als „unentbehrliche Nation“.
- Am 23.05.2012 bekräftigte Barrack Obama vor den Absolventen der Luftwaffenakademie in Colorado Springs, dass die USA außergewöhnlich seien und immer die einzige unentbehrliche Nation im Weltgeschehen sein werden. Keine andere Nation könne diese Rolle übernehmen, und das schließe die Gestaltung der globalen Institutionen mit ein.
Am 22.10.2012 formulierte es Obama ganz ähnlich: „Amerika bleibt die einzige unentbehrliche Nation. Die Welt braucht ein starkes Amerika.“
Am 28. Mai 2014 wiederholte er diese Aussage vor den Kadetten der West Point Militärakademie im Bundesstaat New York. - Am 26.04.2016 bilanzierte Barack Obama in einer Grundsatzrede an dieser legendären Militärakademie West Point erneut die Rolle der Vereinigten Staaten von Amerika als „unentbehrliche Nation“.
Noch am 01.09.2018 beteuerte er in seiner Trauerrede zur Beisetzung des ultrarechten Senators McCain, mit George W. Bush bezüglich der USA-Rolle als der einzigen unentbehrlichen Nation übereingestimmt zu haben.
Diese eindeutige Botschaft brachten weitere führende USA-Politker zum Ausdruck:
- Joe Biden bei einer Preisverleihung in Washington am 2. April 2013 und am 18.1.2017 auf dem Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos;
- Hillary Clinton sagte zu diesem Thema am 31.8.2016 im Wahlkampf gegen Trump: „…Und ein Teil dessen, warum wir eine einzigartige Nation sind, ist, dass wir auch eine unentbehrliche Nation sind. Tatsächlich sind wir die unentbehrliche Nation.“
- Michelle Bachmann (republikanische Kongreßabgeordnete) am 25.01.2011, ;
- Chris Christies (republikanischer Gouverneur von New Jersey),
- Jeb Bush (republikanischer Gouverneur von Florida),
- Bobby Jindal am 3.12.14 (republikanischer Gouverneur von Louisiana),
- Marco Rubio am 26.4.2012 (republikanischer Senator für Florida).
Sie alle scheuten nicht davor zurück, von den USA als der einzigen unentbehrlichen Nation in der Welt zu sprechen.
Quelle: Cuba Sí