Provozieren ohne Ende
Den Strategen in den Regierungen der selbsternannten führenden westlichen Staaten fällt zur Zeit offenbar nichts anderes ein, als permanentes Störfeuer zu schießen. Während das kapitalistische System in aller Welt mit politischen und wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen hat, die Folgen der seit über zehn Jahren anhaltenden Krise alles andere als überwunden sind, scheint die Losung »Angriff ist die beste Verteidigung« immer mehr um sich zu greifen.
Dabei gäbe es in den Ländern des ach so freien Westens wahrlich genügend Probleme zu lösen. Arbeitslosigkeit, Altersarmut, Pflegenotstand, Wohnungsnot, ein krankes Gesundheitssystem und Bildungsmisere sind nur einige der Baustellen, um die sich die Herrschenden zu kümmern hätten. Hunderttausende Bürger – zumeist junge und gut ausgebildete – verlassen EU-Länder wie Griechenland, Spanien, Portugal, Italien, Ungarn oder Polen, die meisten von ihnen auf Nimmerwiedersehen. Die Zahlen deuten auf eine regelrechte Flüchtlingskatastrophe hin. Und gleichzeitig lamentieren die Verantwortlichen der EU und vieler ihrer Mitgliedstaaten über eine andere »Flüchtlingskrise«, das heißt über Menschen, die wegen der Kriege und der schweren Krisen in ihren Heimatländern in Asien und Afrika eine bessere Zukunft in EU-Ländern erhoffen, obwohl EU-Staaten zu den Verursachern der Kriege und Krisen gehören.
Da man der Probleme im eigenen Land nicht Herr wird, sucht man in bewährter Weise wieder einmal den Feind außerhalb der eigenen Landesgrenzen. Wenn heute in Kuba das vom Volk gewählte Parlament einen neuen Präsidenten wählt, dann soll diese Wahl nach dem Willen einflußreicher Kreise nicht anerkannt werden, denn angeblich sei das Volk von der Wahl ausgeschlossen worden. Wenn demnächst das Volk von Venezuela einen neuen Präsidenten wählt, wollen etliche westliche Staaten diese Wahl mit der gleichen dummen Begründung nicht anerkennen – ganz im Gegensatz zu Honduras, wo dank Wahlmanipulationen der Kandidat des Kapitals auf den Präsidentensessel gehievt worden war.
Beliebtester Angriffspunkt ist allerdings Rußland, das sich zwar seit fast drei Jahrzehnten zu einem kapitalistischen Staat entwickelt hat, aber immer noch in den Boulevardmedien als Hort eines verkappten Kommunismus behandelt wird. Ohne viel Argumentation wird »der Russe« als Inkarnation des Bösen an jeden verfügbaren Pranger gestellt. Und gibt es keine konkreten Anhaltspunkte, dann werden eben welche erfunden.
Ein mutmaßlicher Anschlag auf einen abgehalfterten Doppelagenten in England – der Russe war’s. Ein angeblicher Angriff mit Chemiewaffen in Syrien – der Russe war’s, in diesem Fall zusammen mit den bösen Syrern, also jenen, die treu zu ihrer Regierung stehen. Gewinnt bei Wahlen irgendwo in der Welt ein Kandidat, der nicht den Vorstellungen der im Westen Herrschenden entspricht – russische Wahlmanipulation. Finden demnächst irgendwo Wahlen statt – Vorsicht vor russischen Hackerangriffen! Die Liste ist lang, und sie wird noch viel länger, je näher die Fußball-WM in Rußland in das Zentrum der Aufmerksamkeit rückt.
Für die Bekräftigung all dieser Verteufelungen scheut man auch nicht vor militärischen Angriffen zurück, wie jüngst von den USA, Britannien und Frankreich exerziert. Sie gehen also schon so weit, einen neuen Weltkrieg zu provozieren, um von den eigenen Problemen abzulenken. Sollte etwas schief gehen – der Russe war’s. Es könnte aber sein, daß nach einem solchen Krieg niemand mehr danach fragt, und niemand mehr da ist, eine Antwort zu geben.
Uli Brockmeyer
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